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Henning Höppner zu TOP 14+33: Umfassendes gemeinsames Lernen für alle verwirklichen
Presseinformation der SPD-Landtagsfraktion Kiel, 26.03.2009 Landtag Es gilt das gesprochene Wort! Sperrfrist: Redebeginn aktuellTOP 14 + 33: Förderung der inklusiven Bildung (Drucksache 16/2559 und 16/2560)Henning Höppner:Umfassendes gemeinsames Lernen für alle verwirklichenDeutschland ist der UN-Konvention über die Rechte behinderter Menschen beigetre- ten, die den Vertragsstaaten ein integratives Bildungssystem auf allen Ebenen abver- langt, erläutert der bildungspolitische Sprecher der SPD-Landtagsfraktion, Dr. Henning Höppner. Die Förderzentren in Schleswig-Holstein sollen sich zu Schulen ohne Schü- ler entwickeln und mit den Regelschulen eng zusammenarbeiten, sie beraten und un- terstützen. Auch bei Unterrichtung in einem Förderzentrum sollte das Ziel sein, die Rückkehr in eine Regelschule zu ermöglichen. Die von den Grünen vorgeschlagene Übergangszeit von drei Jahren für die Verwirklichung der vollständigen Inklusion hält Höppner für zu kurz; realistisch sind zehn Jahre. Denn es geht auch um die Leh- rerausbildung, die nicht durch immer neue zusätzliche Belastungen unattraktiv ge- macht werden darf. Der Übergang von Kindern mit besonderem Förderbedarf in die Sekundarstufe I muss der Regelfall, nicht die Ausnahme werden, so Höppner. Erfah- rungen haben gezeigt, dass dies an allen Schularten, einschließlich der Gymnasien, grundsätzlich möglich ist.Die Rede im Wortlaut:Herausgeber: Landeshaus SPD-Landtagsfraktion Postfach 7121, 24171 Kiel Verantwortlich: Tel: 0431/ 988-1305/1307 E-Mail: pressestelle@spd.ltsh.de Petra Bräutigam Fax: 0431/ 988-1308 Internet: www.spd.ltsh.de -2-Es gibt eine gute Nachricht: Schleswig-Holstein ist es gelungen, den Anteil der Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf, die in den Unterricht der Regelschulen integ- riert sind, in den vergangenen 15 Jahren von 18 auf 45 % zu steigern. Und es gibt eine schlechte Nachricht: Im europäischen Ausland liegt der Standard bereits bei 85 %. Es ist also auch für uns noch ein langer Weg, auch wenn wir weiter sind als die meisten anderen Bundesländer.Zum 1. Januar 2009 ist Deutschland der UN-Konvention über die Rechte behinder- ter Menschen beigetreten, die in Art. 24 sagt: „Die Vertragsstaaten anerkennen das Recht von Menschen mit Behinderungen auf Bildung. Um dieses Recht ohne Diskrimi- nierung und auf der Grundlage der Chancengleichheit zu verwirklichen, gewährleisten die Vertragsstaaten ein integratives Bildungssystem auf allen Ebenen…“.Entsprechend einer Empfehlung der UNESCO-Weltkonferenz der Bildungsminister im vergangenen November in Genf, dass die Mitgliedsstaaten der UNESCO ihre Bil- dungssysteme nach dem Grundsatz der Inklusion gestalten sollen, steht das Jahr 2009 unter dem Motto „Jahr der inklusiven Bildung“.Im Englischen entspricht „inclusion“ meistens dem deutschen Begriff der Integration. Im Deutschen hat sich aber durchgesetzt, dass mit Inklusion eine entscheidende Wei- terentwicklung des Prinzips der Integration gemeint ist. Danach werden Kinder nicht nach ihrer so genannten Marginalisierung wegen ihrer ethnischen Zugehörigkeit, Krankheiten und Behinderungen, ihrer sozialen Stellung oder aus anderen Gründen wahrgenommen, sondern jedes Kind bringt Stärken und Schwächen mit, auf die ge- meinsam eingegangen wird. Der gemeinsame Unterricht in einer Regelklasse ist der Grundsatz, von dem es Ausnahmen geben kann, während in der früheren Logik die getrennte Unterrichtung der Regelfall war, von dem es Ausnahmen geben konnte. -3-Wir Sozialdemokraten vertreten das Ziel des möglichst umfassenden gemeinsamen Lernens. Weder Herkunft noch Behinderung dürfen grundsätzlich ein Argument dage- gen sein. Dabei müssen wir uns auch vor Augen halten, dass gerade die früheren Sonderschulen für Lernbehinderte lange als Auffangstation für Kinder herhalten mussten, über deren Schicksal ihre soziale oder ethnische Zugehörigkeit entschied. Man denke nur daran, wie viele Sinti- und Roma-Kinder ohne jede Not an Sonderschu- len gelandet sind, womit ihre berufliche Zukunft von vornherein entschieden war.Eine ganze Reihe von Verbänden und Medien haben Formulierungen geprägt wie: „das Ende der Sonderschule“. Auch bei dieser Strukturfrage sind wir einen deutlichen Schritt weiter als viele andere Länder, denn es ist keine Kosmetik, dass wir im neuen Schulgesetz von Förderzentren statt von Sonderschulen sprechen.Die aus unserer Sicht bestmögliche Perspektive für diese Schulen ist es, sich so wie das Landesförderzentrum Sehen in Schleswig zu einer Schule ohne Schüler zu entwickeln, also zu einer Einrichtung, die mit den Regelschulen eng bei der Förde- rung der Schülerinnen und Schüler mit Sehschädigung zusammenarbeitet und sie be- rät und unterstützt.Wir sind uns sicher darüber einig, dass es eine gänzliche Abschaffung der Förderzent- ren auch auf lange Sicht nicht geben kann, weil immer ein Teil der Kinder und Jugend- lichen mit Behinderungen Lernvoraussetzungen mitbringt, die bei einem integrativen bzw. inklusiven Unterricht beide Seiten überfordern und einem Erfolg im Wege stehen würden. Aber auch in solchen Fällen muss es nicht so sein, dass die Unterrichtung in einem Förderzentrum eine unumkehrbare Entscheidung ist. Auch dann sollte das Ziel sein, die Rückkehr in eine Regelschule zu ermöglichen.Ein ehemaliger Sonderschullehrer – also jemand, der es wissen muss, und der über dem Verdacht steht, die Sonderpädagogen des Versagens zu bezichtigen - hat kürz- -4-lich in einem Offenen Brief vor einer Umschulung von der Regelschule ins Förder- zentrum Lernen mit drastischen Worten gewarnt: „Fast alle Kinder/Jugendlichen in den Förderzentren Lernen stammen aus armen und unterprivilegierten Familien. Sie sind durch die sozialen Verhältnisse in ihrer Entwick- lung beeinträchtigt worden. Somit hat die ihnen zugeschriebene Behinderung in der Regel keine individuellen, sondern gesellschaftliche Ursachen. … Die Sonderschullehrerinnen und Sonderschullehrer können bei allem Einsatz die Fol- gen der Umschulung nicht kompensieren. Der Besuch eines Förderzentrums Lernen verhilft den Schülerinnen und Schülern nicht zu besseren Leistungen, sondern führt vielmehr zu lebenslanger Beschämung und dauerhaft geringem Selbstwertgefühl, zu Frust und Aggressionen.“BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN haben zum „Jahr der inklusiven Bildung“ eine Parla- mentsinitiative mit einem Entwurf zur Änderung des Schulgesetzes und einem Ent- schließungsantrag gestartet. Sie gehen von einer Übergangszeit von lediglich 3 Jahren für Ihr Modell aus, in dem es keinen Unterricht mehr in Förderzentren für Kinder mit Lern-, Sprach- oder Verhaltensbehinderungen gibt. Das setzt natürlich zusätzliche Qualifikationen für die Lehrkräfte an den Regelschulen voraus und ein ganz erheb- liches Maß von Bauinvestitionen.Bei diesem Zeitplan können wir Ihnen nicht folgen. Die Schulreform, die im Schulge- setz von 2007 verankert ist, verlangt von nahezu allen Schulen große Anstrengungen. Das wird sich auch in den nächsten Jahren nicht ändern.Selbstverständlich müssen alle Lehrkräfte im Studium, im Referendariat und in der Fort- und Weiterbildung auf individuelle Förderung sowohl von Kindern mit besonderen Problemen als auch von solchen mit besonderen Begabungen trainiert werden. Das tun wir auch, und wir werden die pädagogische Kompetenz der Lehrerinnen und Lehrer auch in Zukunft auf individuelle Förderung hin ausbauen. -5-Aber das, was Sie in Ihrem Zeitplan der „Turbo-Inklusion“ vorsehen, kann, fürchte ich, nicht geleistet werden. Wir müssen uns auch davor hüten, die Lehramtsausbildung, die durch die konsekutiven Studiengänge und durch den neu geregelte Vorbereitungs- dienst verkürzt und verdichtet worden ist, durch immer neue zusätzliche Belastungen, denen keine Entlastungen gegenüber stehen, unattraktiv zu machen.Unsere Vorstellungen sind folgende: Wir wollen einen realistischen Zeitplan, um den europäischen Durchschnitt von rund 85 % bei der integrativen bzw. inklusiven Unter- richtung von Schülerinnen und Schülern mit besonderem Förderbedarf zu erreichen und gehen dabei von einem Zeitraum von maximal zehn Jahren aus.Um dies vorzubereiten, muss die vorschulische Prävention, besonders im Bereich der Sprachförderung und der Sprachheilförderung, verstärkt werden; dazu sollen künftig Kindertagesstätten mit einem Förderzentrum zusammenarbeiten.An den bisherigen Förderzentren Lernen sollen zunächst die beiden Klassen der Eingangsphase auslaufen und frühestens zum dritten Jahrgang eine Aufnahme eines Kindes in ein Förderzentrum beschlossen werden. Die Förderzentren sollen sich schrittweise weiterhin darauf orientieren, zur Schule ohne Schüler zu werden und mit den Regelschulen zusammenzuarbeiten.Der Übergang von Kindern mit besonderem Förderbedarf in die Sekundarstufe I muss der Regelfall, nicht die Ausnahme werden. Erfahrungen haben gezeigt, dass dies an allen Schularten, einschließlich der Gymnasien, grundsätzlich möglich ist.Wir sind uns mit Ihnen in der Zielperspektive weitgehend einig, nicht im Weg dorthin. Ich schlage deshalb vor, Ihren Gesetzentwurf – so wie sich das ohnehin von selbst versteht – in den Bildungsausschuss zu überweisen und dasselbe auch mit Ihrem Ent- -6-schließungsantrag zu tun. Wir sollten dort nach Möglichkeiten suchen, ob wir im Aus- schuss zu einer gemeinsamen Entschließung kommen können.