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18.06.09 , 10:28 Uhr
SSW

Lars Harms zu TOP 6 - Pflegegesetzbuch Schleswig-Holstein - Zweites Buch - (PGB II)

Presseinformation
Kiel, den 18. Juni 2009 Es gilt das gesprochene Wort



Lars Harms
TOP 6 Pflegegesetzbuch Schleswig- Pflegegesetzbuch in Schleswig-Holstein – Zweites Buch – Gesetz zur Stärkung von Selbstbestimmung und Schutz von Behinderung Menschen mit Pflegebedürftigkeit oder Behinderung Drs. 16/2704

Die Landesregierung hat mit dem neuen Teilhabe- und Pflegegesetz einen großen Schritt
nach vorne gewagt. Pflege wird in den nächsten Jahren sowohl quantitativ als auch
qualitativ stärker ins Bewusstsein rücken, weil in unserer alternden Gesellschaft die Zahl
der Menschen mit Pflegebedarf zunehmen wird, während gleichzeitig in den Familien
weniger Unterstützer zur Verfügung stehen. Der Anteil professioneller Pflege wird also
zunehmen. Auf der anderen Seite wachsen die Ansprüche nach selbst bestimmten und
individuellen Angeboten.
Der Gesetzgeber stellt sich dieser Herausforderung und legt neue, moderne
Rahmenbedingungen fest. Das klassische Heimrecht wird in Schleswig-Holstein mutig
reformiert. Das unterstützt der SSW ausdrücklich. 2
Bei der Anhörung lobten die Experten durchweg die Qualität des Gesetzentwurfes und
forderten eine baldige Verabschiedung.
Unbestritten ist, dass bei einer Pioniertat immer Unwägbarkeiten bleiben; viele
Vorschläge zu besseren, treffenderen und eindeutigeren Formulierungen liegen vor. Die
Änderungsanträge der FDP und der GRÜNEN sind in vielen Bereichen richtig. Sie in allen
Einzelheiten zu diskutieren, hieße allerdings, den Fortgang des Gesetzgebungsprozesses
zu behindern.
Ich möchte daher gleich von vornherein betonen, dass der SSW das neue Gesetz
unbedingt auf den Weg bringen möchte und dementsprechend der
Beschlussempfehlung folgen wird. Wir sollten keinen Schritt zurückgehen und keine
weitere kostbare Zeit verschenken.


In zwei Jahren sollten wir allerdings sowohl die gesetzlichen Regelungen als auch die
neuen Strukturen einer gründlichen Evaluation unterziehen. Erst dann können wir
beurteilen, ob die guten Absichten in der Praxis auch tatsächlich genutzt werden können
und wo sie sich als zu ungenau oder zu kompliziert erwiesen haben. Ich bin allerdings
davon überzeugt, dass eine Klagewelle aufgrund schwammiger Rechtsbegriffe nicht zu
erwarten ist.


Der über die Jahre gewachsene Pflegesektor wird durch das Gesetz transparenter
gemacht. Das behagt einigen Trägern überhaupt nicht; für den SSW ist das allerdings ein
sicheres Zeichen, dass wir auf dem richtigen Weg sind. Viele Entscheidungen beruhten
im Pflegebereich immer noch auf willkürlichen oder personenabhängigen
Entscheidungen. Das neue Gesetz will das abschaffen. Einheitliche Zertifikate sind zwar
kein Allheilmittel, doch können sie ein sinnvolles Instrument zur Qualitätssicherung und 3
zum Vergleich der Einrichtungen sein. Dabei kommt es selbstverständlich nicht in Frage,
die Unterschiedlichkeit der Angebote durch die Hintertür einzuebnen. Außerdem sind
Zertifikate keine Garantie, dass sie auch wirklich die Bereiche, die den Kunden
interessieren, betreffen. Ein Zertifikat gibt lediglich eine Orientierung; die Entscheidung
für oder gegen die Einrichtung sollte immer erst nach einer gründlichen Bewertung
durch unabhängige Beratungsstellen und einem Beratungs- und Informationsgespräch
vor Ort erfolgen.


Bereits bestehende Möglichkeiten, wie die DIN-Norm für das betreute Wohnen, das
analog zur Hotelbranche ein Sterne-System ermöglicht, sollten unbedingt genutzt
werden. Die Leistungsangebote, die sich unter dem Oberbegriff „Betreutes Wohnen“
finden lassen, unterscheiden sich zum Teil erheblich. Trotzdem stehen einige Betreiber
diesen neuen und für sie ungewohnten Instrumenten immer noch etwas skeptisch
gegenüber, obwohl sie eindeutig die Vergleichbarkeit für die Kunden verbessert. Ich bin
aber optimistisch, dass im Zuge des neuen Gesetzes auch diese Verfahren verstärkt auf
dem hiesigen Pflegemarkt Einzug halten werden.


Das neue Gesetz stellt die Menschen mit Pflegebedarf in den Mittelpunkt und
unterscheidet konsequenterweise nicht mehr länger zwischen dem altersbedingten
Demenzkranken und dem jungen Schwerbehinderten mit Pflegebedarf. Übrigens gerade
bei letzteren müssen wir uns um genaue Begrifflichkeiten bemühen, um nicht alle
Menschen mit Behinderung zu Pflegebedürftigen abzustempeln. Viele Menschen leben
mit ihrer Behinderung ein selbständiges Leben in den eigenen vier Wänden und sind
nicht auf Unterstützung angewiesen. 4
Das Gesetz sieht vor, dass Strukturen in Zukunft eine geringere Bedeutung spielen,
stattdessen sind die individuellen Bedürfnisse und Bedingungen entscheidend. In den
nächsten Monaten wird es darum gehen, die Norm der Selbstbestimmung auch
tatsächlich umzusetzen, ohne dabei weder den Menschen mit Behinderungen den
notwendigen Schutz zu versagen noch Abhängigkeit einfach wegzudefinieren.
Bezüglich der Älteren hat sich mancherorts eine bevormundete Pflegepraxis eingespielt,
die es schleunigst zu modernisieren gilt. Nach vielen Jahren, in denen Pflegebedürftige
froh sein konnten, wenn ein Heim sie trotz langer Warteliste aufnahm, ist es schwer, den
Paradigmenwechsel vom Bittsteller hin zum Kunden zu realisieren – auf beiden Seiten.
Das neue Gesetz will genau das schaffen.


Das Gesetz will die Strukturen den Menschen anpassen und nicht umgekehrt. Dazu ist es
unumgänglich, dass die Betroffenen auf Augenhöhe mit den Profis umgehen können.
Wir kommen in der Zukunft nicht um umfassende Schulung und Beratung herum. Dabei
sind nicht nur die Menschen mit Pflegebedarf gemeint, sondern auch deren Angehörige
und Ehrenamtler in den Einrichtungen, die über ihre Möglichkeiten umfassend in
Kenntnis gesetzt werden müssen. Das ist eine Form des Verbraucherschutzes, die wir
hier in Schleswig-Holstein in die Tat umsetzen.


Sicherlich wird die Ministerin konkrete Erlasse begleitend zum Gesetz herausgeben.
Selbstverständlich sollte dabei vermieden werden, dass auf diese Art und Weise - am
Landtag vorbei - ein Neben-Gesetz entsteht. Darum sollten auch die Erlasse in die von
mir eben erwähnte Evaluierung miteinbezogen werden. 5
Es ist uns in vielen Bereichen gelungen, die Obrigkeitsbürokratie abzuschaffen;
zumindest weitgehend. Ähnliches steht der Heimaufsicht bevor. Sie wird nicht mehr
länger nur die Einhaltung starrer Vorschriften kontrollieren und gegebenenfalls
sanktionieren, sondern Sie wird stärker als bisher als Coach nachgefragt werden. Ziel
muss eine intelligente Steuerung zu Gunsten der Menschen mit Pflegebedarf sein.
Zukünftig werden selbstorganisierte, genossenschaftliche Pflegeformen entstehen, die
strukturell gar nichts mehr mit den klassischen Heimen oder Einrichtungen zu tun
haben. Dennoch müssen auch in diesen Projekten sowohl die Pflegequalität als auch die
Rechte der Beschäftigten gesichert werden. Momentan ist noch unsicher, wie das
vonstatten gehen soll. Das neue Gesetz erscheint aber flexibel genug, auch diesen
Anforderungen zu entsprechen.


Bei der Anhörung wurde deutlich, dass sich mit dem neuen Gesetz nicht nur die Situation
in den Einrichtungen ändern wird, sondern dass die Veränderungen weit darüber hinaus
reichen. So entstehen neue Kommunikationswege zwischen den Trägern. Das
Nebeneinander von Behindertenbetreuung und Altenpflege scheint sich allmählich
aufzulösen. Diesen Prozess sollte die Landesregierung weiter unterstützen, weil davon
Impulse für die Arbeit mit Menschen mit Pflegebedarf zu erwarten sind. Die Transparenz
der Einrichtungen wird auch zur größeren Durchlässigkeit gegenüber der Umgebung
führen. Es gibt immer weniger traditionelle Heime, die vor der Stadt, fernab aller
Verkehrswege die Isolation der Bewohner befördern. Sie sind inzwischen mittendrin.
Ehrenamtliche Visitationen analog zu den Grünen Damen im Krankenhaus werden
weiter dazu beitragen, die künstlichen Grenzen zu überwinden. Noch fehlen
entsprechende Anreize; aber es sollte auch nicht alles per Gesetz geregelt werden. 6
Zusammenfassend ist das vorliegende Gesetz ein Meilenstein in der Versorgung von
Menschen mit Pflegebedarf. Es stellt das Individuum in den Mittelpunkt. Wie flexibel es
dann tatsächlich ist, und wie groß die Durchsetzung gegenüber dem
Beharrungsvermögen bestehender Strukturen ist, wird sich erst erweisen. Eines ist aber
schon heute sicher: der Gesetzesvollzug ist auf qualifizierte Kräfte in der Betreuung
angewiesen. Eine weitere Akademisierung ist abzusehen. Diese Entwicklung ist
wünschenswert: Endlich werden ausreichend qualifizierte Arbeitsplätze geschaffen, so
dass sich das Studium der Pflegewissenschaft auch lohnt. Hoffentlich schließen sich
möglichst viele Bundesländer dem Vorreiter Schleswig-Holstein in der Gesetzgebung an.


Der SSW stimmt der Beschlussvorlage zu.

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