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Lars Harms zu TOP 6 - Pflegegesetzbuch Schleswig-Holstein - Zweites Buch - (PGB II)
PresseinformationKiel, den 18. Juni 2009 Es gilt das gesprochene WortLars HarmsTOP 6 Pflegegesetzbuch Schleswig- Pflegegesetzbuch in Schleswig-Holstein – Zweites Buch – Gesetz zur Stärkung von Selbstbestimmung und Schutz von Behinderung Menschen mit Pflegebedürftigkeit oder Behinderung Drs. 16/2704Die Landesregierung hat mit dem neuen Teilhabe- und Pflegegesetz einen großen Schrittnach vorne gewagt. Pflege wird in den nächsten Jahren sowohl quantitativ als auchqualitativ stärker ins Bewusstsein rücken, weil in unserer alternden Gesellschaft die Zahlder Menschen mit Pflegebedarf zunehmen wird, während gleichzeitig in den Familienweniger Unterstützer zur Verfügung stehen. Der Anteil professioneller Pflege wird alsozunehmen. Auf der anderen Seite wachsen die Ansprüche nach selbst bestimmten undindividuellen Angeboten.Der Gesetzgeber stellt sich dieser Herausforderung und legt neue, moderneRahmenbedingungen fest. Das klassische Heimrecht wird in Schleswig-Holstein mutigreformiert. Das unterstützt der SSW ausdrücklich. 2Bei der Anhörung lobten die Experten durchweg die Qualität des Gesetzentwurfes undforderten eine baldige Verabschiedung.Unbestritten ist, dass bei einer Pioniertat immer Unwägbarkeiten bleiben; vieleVorschläge zu besseren, treffenderen und eindeutigeren Formulierungen liegen vor. DieÄnderungsanträge der FDP und der GRÜNEN sind in vielen Bereichen richtig. Sie in allenEinzelheiten zu diskutieren, hieße allerdings, den Fortgang des Gesetzgebungsprozesseszu behindern.Ich möchte daher gleich von vornherein betonen, dass der SSW das neue Gesetzunbedingt auf den Weg bringen möchte und dementsprechend derBeschlussempfehlung folgen wird. Wir sollten keinen Schritt zurückgehen und keineweitere kostbare Zeit verschenken.In zwei Jahren sollten wir allerdings sowohl die gesetzlichen Regelungen als auch dieneuen Strukturen einer gründlichen Evaluation unterziehen. Erst dann können wirbeurteilen, ob die guten Absichten in der Praxis auch tatsächlich genutzt werden könnenund wo sie sich als zu ungenau oder zu kompliziert erwiesen haben. Ich bin allerdingsdavon überzeugt, dass eine Klagewelle aufgrund schwammiger Rechtsbegriffe nicht zuerwarten ist.Der über die Jahre gewachsene Pflegesektor wird durch das Gesetz transparentergemacht. Das behagt einigen Trägern überhaupt nicht; für den SSW ist das allerdings einsicheres Zeichen, dass wir auf dem richtigen Weg sind. Viele Entscheidungen beruhtenim Pflegebereich immer noch auf willkürlichen oder personenabhängigenEntscheidungen. Das neue Gesetz will das abschaffen. Einheitliche Zertifikate sind zwarkein Allheilmittel, doch können sie ein sinnvolles Instrument zur Qualitätssicherung und 3zum Vergleich der Einrichtungen sein. Dabei kommt es selbstverständlich nicht in Frage,die Unterschiedlichkeit der Angebote durch die Hintertür einzuebnen. Außerdem sindZertifikate keine Garantie, dass sie auch wirklich die Bereiche, die den Kundeninteressieren, betreffen. Ein Zertifikat gibt lediglich eine Orientierung; die Entscheidungfür oder gegen die Einrichtung sollte immer erst nach einer gründlichen Bewertungdurch unabhängige Beratungsstellen und einem Beratungs- und Informationsgesprächvor Ort erfolgen.Bereits bestehende Möglichkeiten, wie die DIN-Norm für das betreute Wohnen, dasanalog zur Hotelbranche ein Sterne-System ermöglicht, sollten unbedingt genutztwerden. Die Leistungsangebote, die sich unter dem Oberbegriff „Betreutes Wohnen“finden lassen, unterscheiden sich zum Teil erheblich. Trotzdem stehen einige Betreiberdiesen neuen und für sie ungewohnten Instrumenten immer noch etwas skeptischgegenüber, obwohl sie eindeutig die Vergleichbarkeit für die Kunden verbessert. Ich binaber optimistisch, dass im Zuge des neuen Gesetzes auch diese Verfahren verstärkt aufdem hiesigen Pflegemarkt Einzug halten werden.Das neue Gesetz stellt die Menschen mit Pflegebedarf in den Mittelpunkt undunterscheidet konsequenterweise nicht mehr länger zwischen dem altersbedingtenDemenzkranken und dem jungen Schwerbehinderten mit Pflegebedarf. Übrigens geradebei letzteren müssen wir uns um genaue Begrifflichkeiten bemühen, um nicht alleMenschen mit Behinderung zu Pflegebedürftigen abzustempeln. Viele Menschen lebenmit ihrer Behinderung ein selbständiges Leben in den eigenen vier Wänden und sindnicht auf Unterstützung angewiesen. 4Das Gesetz sieht vor, dass Strukturen in Zukunft eine geringere Bedeutung spielen,stattdessen sind die individuellen Bedürfnisse und Bedingungen entscheidend. In dennächsten Monaten wird es darum gehen, die Norm der Selbstbestimmung auchtatsächlich umzusetzen, ohne dabei weder den Menschen mit Behinderungen dennotwendigen Schutz zu versagen noch Abhängigkeit einfach wegzudefinieren.Bezüglich der Älteren hat sich mancherorts eine bevormundete Pflegepraxis eingespielt,die es schleunigst zu modernisieren gilt. Nach vielen Jahren, in denen Pflegebedürftigefroh sein konnten, wenn ein Heim sie trotz langer Warteliste aufnahm, ist es schwer, denParadigmenwechsel vom Bittsteller hin zum Kunden zu realisieren – auf beiden Seiten.Das neue Gesetz will genau das schaffen.Das Gesetz will die Strukturen den Menschen anpassen und nicht umgekehrt. Dazu ist esunumgänglich, dass die Betroffenen auf Augenhöhe mit den Profis umgehen können.Wir kommen in der Zukunft nicht um umfassende Schulung und Beratung herum. Dabeisind nicht nur die Menschen mit Pflegebedarf gemeint, sondern auch deren Angehörigeund Ehrenamtler in den Einrichtungen, die über ihre Möglichkeiten umfassend inKenntnis gesetzt werden müssen. Das ist eine Form des Verbraucherschutzes, die wirhier in Schleswig-Holstein in die Tat umsetzen.Sicherlich wird die Ministerin konkrete Erlasse begleitend zum Gesetz herausgeben.Selbstverständlich sollte dabei vermieden werden, dass auf diese Art und Weise - amLandtag vorbei - ein Neben-Gesetz entsteht. Darum sollten auch die Erlasse in die vonmir eben erwähnte Evaluierung miteinbezogen werden. 5Es ist uns in vielen Bereichen gelungen, die Obrigkeitsbürokratie abzuschaffen;zumindest weitgehend. Ähnliches steht der Heimaufsicht bevor. Sie wird nicht mehrlänger nur die Einhaltung starrer Vorschriften kontrollieren und gegebenenfallssanktionieren, sondern Sie wird stärker als bisher als Coach nachgefragt werden. Zielmuss eine intelligente Steuerung zu Gunsten der Menschen mit Pflegebedarf sein.Zukünftig werden selbstorganisierte, genossenschaftliche Pflegeformen entstehen, diestrukturell gar nichts mehr mit den klassischen Heimen oder Einrichtungen zu tunhaben. Dennoch müssen auch in diesen Projekten sowohl die Pflegequalität als auch dieRechte der Beschäftigten gesichert werden. Momentan ist noch unsicher, wie dasvonstatten gehen soll. Das neue Gesetz erscheint aber flexibel genug, auch diesenAnforderungen zu entsprechen.Bei der Anhörung wurde deutlich, dass sich mit dem neuen Gesetz nicht nur die Situationin den Einrichtungen ändern wird, sondern dass die Veränderungen weit darüber hinausreichen. So entstehen neue Kommunikationswege zwischen den Trägern. DasNebeneinander von Behindertenbetreuung und Altenpflege scheint sich allmählichaufzulösen. Diesen Prozess sollte die Landesregierung weiter unterstützen, weil davonImpulse für die Arbeit mit Menschen mit Pflegebedarf zu erwarten sind. Die Transparenzder Einrichtungen wird auch zur größeren Durchlässigkeit gegenüber der Umgebungführen. Es gibt immer weniger traditionelle Heime, die vor der Stadt, fernab allerVerkehrswege die Isolation der Bewohner befördern. Sie sind inzwischen mittendrin.Ehrenamtliche Visitationen analog zu den Grünen Damen im Krankenhaus werdenweiter dazu beitragen, die künstlichen Grenzen zu überwinden. Noch fehlenentsprechende Anreize; aber es sollte auch nicht alles per Gesetz geregelt werden. 6Zusammenfassend ist das vorliegende Gesetz ein Meilenstein in der Versorgung vonMenschen mit Pflegebedarf. Es stellt das Individuum in den Mittelpunkt. Wie flexibel esdann tatsächlich ist, und wie groß die Durchsetzung gegenüber demBeharrungsvermögen bestehender Strukturen ist, wird sich erst erweisen. Eines ist aberschon heute sicher: der Gesetzesvollzug ist auf qualifizierte Kräfte in der Betreuungangewiesen. Eine weitere Akademisierung ist abzusehen. Diese Entwicklung istwünschenswert: Endlich werden ausreichend qualifizierte Arbeitsplätze geschaffen, sodass sich das Studium der Pflegewissenschaft auch lohnt. Hoffentlich schließen sichmöglichst viele Bundesländer dem Vorreiter Schleswig-Holstein in der Gesetzgebung an.Der SSW stimmt der Beschlussvorlage zu.