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23.07.09 , 11:36 Uhr
SSW

Anke Spoorendonk zu - Vorzeitige Beendigung der 16. Wahlperiode (Vertrauensfrage)

Presseinformation
Kiel, den 22.07.2009 Es gilt das gesprochene Wort



Anke Spoorendonk
Vorzeitige Beendigung der 16. Wahlperiode durch den Ministerpräsidenten (Vertrauensfrage)

Es ist gar nicht einfach, hier noch etwas zu sagen, denn die Vorgänge der vergangenen Tage
hinterlassen einen zunächst sprachlos. Der Verfall der politischen Kultur in Schleswig-Holstein
geht so rapide vonstatten, dass man nur fassungslos zusehen kann. Der anschwellende
Machthunger einiger Politiker zermalmt gerade das seit 1988 mühsam wiederaufgebaute
Renommee unseres Landes. In den Kommentaren der Medien sind längst wieder die Namen
Barschel und Engholm gefallen. Schleswig-Holstein ist wieder zum Synonym für politischen
Skandal und für das unsaubere Miteinander von CDU- und SPD-Politikern geworden.


Niemand zweifelt daran, dass der politische Verfall längst ein Stadium erreicht hat, das eine
Vertrauensabstimmung rechtfertigt. Hätte es wirklich noch eines Beweises bedurft, dass diese
Regierung schon lange ihre Mindesthaltbarkeitsdauer überschritten hat, dann haben die
unversöhnlichen Diskussionsbeiträge, die Lügenbezichtigungen und Halbwahrheiten der SPD
und der CDU ihn in den letzten Tagen hinreichend geliefert. Diese Koalition ist schon vor zwei
Jahren verdorben, und die Bevölkerung hat längst gemerkt, dass hier etwas zum Himmel stinkt. 2
Einen deutlicheren Wink als drei Umfragen, die unabhängig voneinander die Große Koalition
vom Spielfeld schicken, kann es kaum geben. Die Bevölkerung hat das Vertrauen in diese
Regierung verloren, und das sollten wir respektieren.


Nachdem die SPD nicht gewillt war, selbst daraus die Konsequenz zu ziehen, stimmen wir heute
über das Vertrauen in den Ministerpräsidenten und sein neues Kabinett von freiwilligen und
unfreiwilligen Superministern ab. Aber das ändert nichts daran, dass es noch einmal um die
gesamte Koalition und um ihr plötzliches Ende geht. In den letzten Tagen gibt es jeden Tag neue
Beschuldigungen. Jeder schiebt die Schuld auf den anderen. Dabei hat auch die Öffentlichkeit
schon längst gemerkt, dass für beide Parteien eine Unschuldsvermutung vollkommen fehl am
Platze wäre. Es gehören immer zwei zum Tangotanzen, und den Todestanz dieses Regierungs-
bündnisses haben Ralf Stegner und Peter Harry Carstensen schon ausgiebig geprobt. Deshalb
sei der SPD auch nochmals angeraten, endlich die Rolle des Unschuldslamms aufzugeben, die ihr
ohnehin niemand mehr abnimmt. Angesichts der Form der Zusammenarbeit, die der SPD-
Fraktionsvorsitzende in den letzten zwei Jahren gewählt hat, kann die SPD nicht glaubwürdig
über eine böse CDU lamentieren. Ralf Stegner hat selbst dieses Bündnis mehrfach in Situationen
gebracht, wo alle Welt Verständnis gehabt hätte, wenn die CDU vielen Dank und auf
Wiedersehen gesagt hätte. Deshalb nimmt ihm niemand die Opferrolle ab.


Dies gilt allerdings ebenso für Peter Harry Carstensen. Der Gute-Laune-MP kann seit dem Beginn
der Finanzkrise nicht mehr Punkten, weil an der Spitze des Landes jetzt ein handlungsstarker
Politiker gefragt ist. Da liegt es nahe, den Koalitionspartner dafür verantwortlich zu machen,
dass die Bilanz seiner Regierung auf einen Bierdeckel passt. Der Versuch des Minister-
präsidenten, seine mangelnde Durchsetzungsfähigkeit und seine mäßige Politik allein mit Ralf
Stegner zu entschuldigen, ist einfach erbärmlich. Für den Bruch der Koalition trägt er ebenso viel
Verantwortung, denn natürlich ist auch Carstensens Weste bei den Schulhofprügeleien der
Großen Koalition nicht weiß geblieben. Er hat es bisher nur besser verstanden, den eiskalten
Machtpolitiker hinter der Maske einer menschlich-naiven Unschuld vom Lande zu verbergen. 3
Seine Taktik, den Koalitionsbruch monatelang hinauszuzögern, um am Tag der Bundestagswahl
auch den Landtag wählen zu lassen, und der unwürdig kurzfristige Rausschmiss der SPD-
Minister sprechen aber für sich. Offen, anständig und vertrauenswürdig sieht anders aus.


Peter Harry Carstensen muss sich hier und heute aber vor allem für das verantworten, was er
und seine Koalition in den letzten vier Jahren getan hat – und was sie nicht auf die Reihe
bekommen haben.


Eines hat der Ministerpräsident mit Sicherheit in den ersten vier Jahren gekonnt. Er hat es
geschafft, beliebt zu werden, wie kaum ein Regierungschef vor ihm. Der „Ich-kümmere-mich-
persönlich-drum“-Ministerpräsident Carstensen hat persönlich Starterlaubnisse für
Privatflugzeuge und Baugenehmigungen besorgt. Bei einem Besuch bei der Museumswerft in
Flensburg, wo der Leiter erklärte, ihm fehle ein bestimmtes Holz, das schwer zu beschaffen sei,
griff der Ministerpräsident sofort zum Telefon um den Holzhändler seines Vertrauens anzurufen.
Das ist die Politik von Peter Harry Carstensen – und das kam lange gut an. Insofern hat er es
zumindest am Anfang der Karriere geschafft, das Vertrauen in sein Amt und in die Landespolitik
zu stärken. Er hat es auch vermocht, als Moderator eine Koalition zusammenzuhalten, die von
Anfang an nicht richtig zusammenhing und immer größere Fliehkräfte entwickelte. Das ist eine
Leistung, die wir vom SSW auch mehrfach gelobt haben. Nur, die Kehrseite dieser Rolle ist, dass
Peter Harry Carstensen nie eine eigene Politik hatte. In den wirklich wichtigen Fragen hat er
andere für sich arbeiten lassen, nicht zuletzt die gefeuerten SPD-Minister, und in der Finanz- und
Wirtschaftskrise stand die Regierung ohne Führung da.


Als die HSH Nordbank und mit ihr das Land Schleswig-Holstein im Winter 2008/2009 vor dem
finanziellen Abgrund stand, war der Ministerpräsident abgetaucht. Er duckte sich weg und ließ
seinen Finanzminister gewähren, der konsequent die Pläne des HSH-Chefs Nonnenmacher
umsetzte. Ein Krisenmanagement des Regierungschefs gab es nicht. Das Beispiel HSH Nordbank
ist das krasseste, aber man kann noch eine Reihe weiterer zentraler politischer Diskussionen 4
nennen, in denen der Ministerpräsident durch Abwesenheit glänzte. In kaum einer Frage war der
Chef durch eigene Positionen sichtbar. Nur, wenn Projekte der Koalition ihm und seinem Image
gefährlich wurden, kümmerte er sich und sammelte die Politik der Koalition eigenmächtig
wieder ein, so zum Beispiel bei den Schülerbeförderungsgebühren oder der Kreisgebietsreform.
Dass Carstensen in den letzten Wochen große Töne zum AKW-Krümmel spuckte und Pläne zur
Haushaltssanierung vorlegte – beides übrigens ohne konkrete Konsequenzen –, dürfen wir mit
dem Wissen von heute getrost dem Vorwahlkampf zuschreiben. Wenn wir Peter Harry
Carstensen in den letzten vier Jahren einmal politisch erlebt haben, dann ging es um seine
persönlichen machtpolitischen Interessen. Eigene politische Vorstellungen, wie dieses Land
besser und zukunftssicher zu gestalten ist, und eigene Vorschläge zur Lösung der großen
Probleme des Landes hat er noch nie zum Besten gegeben.


Schleswig-Holstein braucht heute nicht zuerst einen Ministerpräsidenten, der sich als
Landesvater und Ober-Bürgerbeauftragten versteht, sondern einen qualifizierten, handlungs-
starken Regierungschef, der mit den Folgen der Finanzkrise und anderen ungelösten Problemen
umgehen kann. Eben deshalb, weil wir nicht das Vertrauen haben, dass Peter Harry Carstensen
die erforderlichen Qualifikationen hat, um die großen Probleme des Landes zu lösen und dieses
Land zu gestalten, wird der SSW dem Ministerpräsidenten nicht das Vertrauen aussprechen.


-


Zur Vertrauensfrage gehört aber auch eine Bewertung der Koalition, die diesen Minister-
präsidenten gewählt und getragen hat. Ohne die Fraktionen und Parteien wäre die Politik und
Nicht-Politik von Peter Harry Carstensen gar nicht möglich wesen. Im öffentlichen Bewusstsein
ist diese Regierungskrise zunächst ein Duell zwischen zwei Männern, aber die Wahrheit ist
natürlich komplizierter. Es geht hier nicht um einen Kampf der Titanen, sondern eher um einen
Hahnenkampf, bei dem die Zuschauer zwischen Schaulust und Angewidert-Sein schwanken.
Diese Situation konnte erst dadurch entstehen, dass die meisten in der CDU und der SPD viel zu 5
lange zugeschaut haben, ohne etwas zu unternehmen. Natürlich tragen die CDU und die SPD in
Schleswig-Holstein eine große Verantwortung dafür, was in den letzten Jahren geschehen ist.
Sie haben Peter Harry Carstensen und Ralf Stegner gewähren lassen und falsch beraten. Sie
haben keine Kompromisse zustande gebracht oder faule Kompromisse abgeschlossen. Sie haben
eine Politik mitgetragen, die sie selbst nur schwer oder gar nicht verteidigen konnten. Kurz, die
Mitverantwortung für die Große Koalition tragen alle Abgeordneten, Regierungsmitglieder und
Parteifürsten der CDU und der SPD in Schleswig-Holstein.


Die CDU hat hingenommen, dass Peter Harry Carstensen eine unpolitische One-Man-Show
durchzog, ohne ihm eine politisch-inhaltliche Führung abzuverlangen. Sie hat sich in der
persönlichen Popularität des Ministerpräsidenten gesonnt und viel zu lange akzeptiert, dass
wichtige politische Fragen nicht Aufgabe des Ministerpräsidenten waren. Viele andere CDU-
Politiker haben zwar erkannt, dass auch das unmittelbare Umfeld des Ministerpräsidenten sein
Handwerk nicht versteht, aber sie haben viel zu spät interveniert. Erst im April 2009, nachdem
der Schaden durch das dilettantische Management der HSH Nordbank-Krise geschehen war, hat
die CDU-Landtagsfraktion gegen die miserable Arbeit der Staatskanzlei rebelliert. Und letztlich
hat sie sich auf den Pott setzen lassen und sich damit zufrieden gegeben, dass eine „arme Seele“
geopfert wurde, nämlich der Regierungssprecher, der es nicht verstanden hatte, das Versagen
des Ministerpräsidenten ins rechte Licht zu rücken.


Wie dilettantisch diese Staatskanzlei arbeitet, lässt sich übrigens auch blendend an der jüngsten
Affäre um das Schreiben des Ministerpräsidenten an den Landtagspräsidenten zu den Sonder-
zahlungen für HSH-Chef Nonnenmacher ablesen. Dass Peter Harry Carstensen eine solche
stümperhafte Arbeit auch noch unterschreibt, zeigt nur, wie wenig er sich um die wichtigen
Fragen kümmert. Mir wird angst und bange, wenn ich daran denke, was der Ministerpräsident
sonst noch unterschrieben haben könnte. 6
Aber auch die SPD hat Vertrauen eingebüßt. Sie ist diesem Ministerpräsidenten gefolgt und sie
hat zentrale Positionen über Bord geworfen, um an der Macht zu bleiben. Der größte Sündenfall
dieser SPD war es, ein Polizeigesetz des Innenministers Stegner zu unterstützen, das sich nicht
einmal ein Otto Schily getraut hätte. Der größte Fehler war es, dem lästigen Innenminister Ralf
Stegner mit dem Fraktionsvorsitz genau die Position in der SPD zu geben, auf der er am besten
seine Neigung zu ungezügelten Attacken auf Freund und Feind ausleben konnte. Und ich muss
sagen, es ist auch enttäuschend, dass Ex-Justizminister Döring nun, wo er seinen Dienstwagen
losgeworden ist, plötzlich mit der ungeschminkten Wahrheit über die HSH Nordbank
herausrückt. Er hat einen Amtseid geleistet, der ihn verpflichtet hätte, schon vorher Tacheles zu
reden.


Durch das Festhalten an einer maroden Koalition haben die CDU und die SPD gemeinsam
Vertrauen verspielt. Ihre Parteichefs haben so viele taktische Pirouetten gedreht, dass sie längst
den Horizont des politischen Anstands aus den Augen verloren haben. Was Schleswig-Holstein
gerade geboten bekommt, ist einfach unterirdisch. Der Preis für diesen Kamikaze-Wahlkampf ist
unermesslich hoch, denn viele Bürgerinnen und Bürger wenden sich angewidert von der Landes-
politik ab. Der Schaden für die Demokratie in Schleswig-Holstein reicht weit über die Landtags-
wahl hinaus. Deshalb fordern wir Peter Harry Carstensen und Ralf Stegner nochmals auf, sich
endlich zusammenzureißen und der Verantwortung gerecht zu werden, die ihnen als die heraus-
ragenden Vertreter der beiden Volksparteien im Land obliegt. Sollten sie es nicht schaffen, zu
einer sachlichen Auseinandersetzung zurück zu finden, dann kann man nur hoffen, dass andere
die Verantwortung übernehmen und das Ruder an bessere Politiker übergeben. Denn das, was
wir im Moment erleben, kann man den Menschen in Schleswig-Holstein nicht bieten.


Seit Beginn dieser Wahlperiode hat die Politik in Schleswig-Holstein sehr viel von ihrer
Glaubwürdigkeit und ihrer Würde verloren. Unser Land braucht dringend politische Leitfiguren,
die abrüsten können – die Vertrauen schaffen, ohne Waffen. Denn das Vertrauen ist erst einmal
dahin.

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