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Lars Harms zu TOP 50 - Bericht des Landesbeauftragten für Menschen mit Behinderung
PresseinformationKiel, den 17. Juli 2009 Es gilt das gesprochene WortLars HarmsTOP 50 Tätigkeitsbericht des Landesbeauftragten für Menschen mit Behinderung Drs. 16/2722Die Entscheidung, den Landesbeauftragten für Behinderte beim Landtag anzusiedeln,war richtig. Denn jetzt halten wir einen Bericht in den Händen, der nicht noch zuvor dasKabinett passieren musste. Es ist der ungeschönte Bericht einer Situation in unseremLand mit positiven Beispielen, aber auch vielen schwarzen Stellen.Herrn Hase ist es gelungen, dass sich Schritt für Schritt die Erkenntnis durchsetzt, dassMenschen mit Behinderungen in die Mitte der Gesellschaft gehören. SeineÖffentlichkeitsarbeit war in diesem Zusammenhang sehr hilfreich. Sicherlich spielt beidieser Entwicklung aber auch das steigende Lebensalter in unserer Gesellschaft eineRolle, so dass sich das persönliche Risiko, selbst eine Behinderung zu bekommen, erhöht.In der Politik ist es eine wohl bekannte Weisheit: dort, wo die eigene Betroffenheitbeginnt, sind Veränderungen am leichtesten durchzusetzen. Viele Menschen erleben,dass sie mit altersbedingten Sinneseinschränkungen oder zunehmender Immobilität ihr 2gewohntes Leben nicht fortsetzen können, weil Rampen fehlen, Schilder nicht zuerkennen sind oder akustische Signale fehlen.Der Beauftragte schlägt vor, dass bei Neu- und Umbauten die Barrierefreiheit die gleichePriorität wie der Brandschutz haben muss. Denn, wenn man von Beginn an dieBarrierefreiheit einplant, ist eine Umsetzung ungleich einfacher als nachträglicheLösungen, die mühsam und teuer an die Gegebenheiten angepasst werden müssen.Mittels eines Standards, Barrierefreiheit frühzeitig einzuplanen, wird darüber hinaus dasEngagement der Behindertenverbände und –politiker erleichtert.Ich habe vor kurzem eine Kleine Anfrage zu akustischen Signalen bei Bahnübergängengestellt. Der Tenor der Antwort war: Sowohl die DB AG als auch privateBahninfrastruktur-Betreiber haben kaum für solche Signalanlagen gesorgt, weil es keineVorschrift gibt, die sie verpflichten würde. Wie soll dann ein blinder Mensch einenBahnübergang alleine ohne Hilfe überqueren können, wenn es keine akustischen Signalegibt? Die Anschaffung wäre nicht sehr teuer, aber die Betreiber ziehen sich auf einejuruistische Argumentation zurück. Was nicht vorgeschrieben ist, brauchen sie nicht zutun, sagen sie. Zumindest die teilweise in Landeseigentum befindlichen Betreiber solltenhier aber trotzdem mit gutem Beispiel voran gehen.Es werden ohne Zweifel immer wieder neue, schlechte Beispiele folgen, weilBarrierefreiheit in der Ausbildung der Architekten einfach nicht vorkommt. DieArchitekten wissen nicht viel mehr über Barrierefreiheit als der Bauherr selbst. IhnenSachverständige zur Seite zu stellen, wie das in anderen Bundesländern üblich ist, gehtauch nicht, weil es keine entsprechenden Ausbildungsgänge gibt. Hier hinkt Schleswig-Holstein hoffnungslos hinterher. Es müssen dringend Strukturen geändert werden undBarrierefreiheit integraler Teil der Ausbildung aller Bau-Profis werden. 3Wie dieses Beispiel, versteht der SSW auch andere Darstellungen des Berichtes alsAufforderung, gesetzgeberisch tätig zu werden. Nicht immer ist alles möglich, wie dieDiskussion um die Landesbauordnung gezeigt hat. Doch die Fortschritte sind spürbar. Jefrühzeitiger die Barrierefreiheit in den Planungen, ob nun bei einem IT-Portal, einemMuseumsneubau oder einer öffentlichen Veranstaltung, berücksichtigt wird, desto mehrMenschen können später das Angebot tatsächlich auch nutzen. Darum geht meindringender Appell an die Ausrichter des Schleswig-Holstein-Tages 2010, sich die Kritikdes Beauftragten zu Herzen zu nehmen und bereits jetzt die Barrierefreiheit in ihrenPlanungen zu berücksichtigen. Ich bin optimistisch, dass die Aussteller eine Lösungfinden werden, die sowohl Menschen im Rollstuhl und auch Müttern mit Kinderwagenden Zugang zu den Zelten leichter ermöglichen wird.Doch es geht beim vorliegenden Bericht nicht nur um starre Strukturen, die es mit großerAusdauer zu ändern gilt und die sich durchaus, wenn auch in kleinsten Schritten,bewegen, sondern es geht um die zahlreichen Belege für einen eindeutigenRückwärtstrend. Gerade an dieser Stelle lässt es der Beauftragte nicht an Deutlichkeitfehlen – und das begrüßt der SSW ausdrücklich.So schildert der Beauftragte konkrete Verschlechterungen der Situation von Menschenmit Behinderungen. Die so genannte Gesundheitsreform hat für die Betroffenen vorallem eines gebracht: massive Kürzungen. Auch die Situation auf dem Arbeitsmarktverschlechtert sich kontinuierlich; es ist zu erwarten, dass die Arbeitslosenzahlen derMenschen mit Behinderung im Zuge der Finanzkrise weiter steigen werden. Der dritteArbeitsmarkt, also die Arbeit in den Werkstätten für Behinderte, wird mehr und mehr zurEndstation. Eine Integration in den regulären Arbeitsmarkt kommt nicht zustande, weil 4dem Einrichtungsinteressen, fehlende Information potenzieller Arbeitgeber undunzureichende Integrationsunterstützung entgegenstehen. Fachwissen, das bei denArbeitsagenturen angesiedelt ist, muss bei ArGen und Optionskommunen erst nochaufgebaut werden.Leider ist darüber hinaus festzustellen, dass das Land nicht mit gutem Beispiel vorangehtund bevorzugt Menschen mit Behinderungen einstellt.Tatsächlich berühren die meisten Einzelanfragen, die den Beauftragten erreichen,Probleme im Zusammenhang mit der Arbeitswelt. Menschen mit Behinderungenerfahren regelmäßig, dass sie wegen ihrer Behinderung keinen Job finden oder dassihnen kaum Hilfen gewährt werden. Das Nebeneinander der jeweiligen Rehabilitations-,Eingliederungs- und Förderstellen führt zu Doppelverfahren, langen Wartezeiten,Intransparenz und degradiert die Antragsteller zu Bittstellern. Hier täte Abhilfe dringendNot. Einheitliche Ansprechpartner wird es aber angesichts egoistischer Einzelinteressenund der bürokratischen Eigenlogiken auch auf absehbare Zeit nicht geben. DieserProblemkomplex wird uns bedauerlicherweise noch viele Jahre erhalten bleiben. Sowerden der Beauftragte und sein Team kurzerhand selbst zu Lotsen imZuständigkeitsdschungel. Sie gleichen mit großem Sachverstand und persönlichemEinsatz bürokratische Defizite aus. Das ist gar nicht hoch genug zu bewerten und zuloben; bleibt aber dennoch nur eine Krücke, die rechtliche Defizite nur ausgleichen, abernicht beseitigen kann.Diese tatkräftige Hilfe des Beauftragten entlässt uns als Gesetzgeber keineswegs aus derVerantwortung, die Integration von Menschen mit Behinderungen aktiv durch Gesetze,Initiativen und die Schaffung barrierefreier Strukturen voranzutreiben. Gleichwohldanken wir unserem Beauftragten und seinem Team für die hervorragende Arbeit.