Diese Webseite verwendet ausschließlich für die Funktionen der Website zwingend erforderliche Cookies.
Silke Hinrichsen zu TOP 02 - Änderung des Wahlgesetzes
PresseinformationKiel, den 19.11.2009 Es gilt das gesprochene WortSilke HinrichsenTOP 2 Änderung des Wahlgesetzes (Drs. 17/10)Es ist nicht das erste Mal, dass der Landtag sich mit den Problemen des Landeswahlgesetzes aus-einandersetzt. Aber es ist das erste Mal, dass wir die Konsequenzen so direkt vor Augen haben.Wir sehen jetzt, was passiert, wenn eine Partei viele Wahlkreise direkt gewinnt und es so nichtnur zu einer deutlichen Vergrößerung des Landtages, sondern auch zu einer Verzerrung desWahlergebnisses kommt. Nach der Landtagswahl am 27. September haben die CDU und die FDPgemeinsam eine Mehrheit von drei Mandaten im Landtag, obwohl sie nur 46,4 % der Zweit-stimmen beziehungsweise 49 % der hier im Parlament vertretenen Zweitstimmen auf sichvereinigen konnten. Deutlicher kann das Missverhältnis kaum noch werden.Wir hätten auf diese Veranschaulichung gut verzichten können, denn die Konsequenz ist, dassdas Vertrauen vieler Wählerinnen und Wähler in das Wahlrecht und in die demokratischeLegitimation von Landtag und Landesregierung zerrüttet ist. Viele Bürger fragen sich nunverständlicherweise, ob es rechtens sein kann, dass man mit einer Minderheit der abgegebenenStimmen eine Regierungsmehrheit bekommen kann. Im Moment hängt es von der eigenenparteipolitischen Präferenz der Menschen ab, ob sie dem Wahlrecht vertrauen oder nicht, unddas kann nicht sein. 2Der SSW hat bereits 2004 und 2008 gemeinsam mit den Grünen und der FDP darauf aufmerk-sam gemacht, dass die Zahl der Wahlkreise und die daraus folgende höhere Wahrscheinlichkeitvon Überhangmandaten Probleme bereiten werden. Gewinnt eine Partei viele Wahlkreise direkt,dann wird immer eine Reihe von Ausgleichsmechanismen gestartet werden, damit dieMandatsverteilung im Landtag die Wählerstimmen widerspiegeln – also die Zweitstimmen.Diese Verteilungsregeln können immer nur eine Annäherung darstellen, da nur ganzeLandtagsmandate vergeben werden, während die Wahlergebnisse in der Regel mitKommastellen ausgewiesen werden. Durch die Wahl der Mechanismen kann das Parlament aberdazu beitragen, dass das Zweitstimmenergebnis besser oder schlechter abgebildet wird unddamit die Unschärfe des Proportionalverfahrens reduziert wird. Sowohl die CDU als auch die SPDsind über diese Kritik hinweg gestiegen, weil dieses Wahlsystem abwechselnd einer der großenParteien Vorteile bietet. Sie haben die Warnungen ignoriert und insbesondere die schiefeMandatsverteilung in Kauf genommen, die jetzt eingetreten ist.Dabei ist das Problembewusstsein – menschlich verständlich – jeweils auf der Seite wenigerausgeprägt, die gerade davon profitiert. 2009 ist es die CDU-FDP-Koalition, die wenigEngagement entwickelt. Im Koalitionsvertrag ist zwar das Thema behandelt, aber es gibt nichtsKonkretes. Es wird lediglich darauf verwiesen, dass CDU und FDP zeitnah das Landeswahlrechtmit der Zielsetzung überarbeiten wollen, eine Überschreitung der in der Landesverfassungvorgesehenen Landtagsmandate zu vermeiden. Diese Formulierung ist nicht nur vage, siereduziert das Problem auch auf die Größe des Landtags und bezieht keine Stellung zurmehrheitsverzerrenden Wirkung. Damit gibt es keine Garantie dafür, dass die Probleme mit denÜberhang- und Ausgleichsmandaten dauerhaft politisch gelöst werden. Insofern begrüßen wirden Gesetzentwurf der Grünen, der mit der Reduzierung der Wahlkreise von 40 auf 30 und derAblösung des D’Hondtschen Höchstzählverfahrens nicht nur das Anwachsen des Landtagsverhindern würde, sondern auch die Wahrscheinlichkeit einer Verzerrung reduziert. 3Entscheidend ist aber, dass mit der Streichung des § 3 Absatz 5 des Landeswahlgesetzes der Kerndes Problems angegangen wird. Da in dieser Vorschrift eine Begrenzung der Ausgleichsmandatevorgesehen ist, ist heute ein vollständiger Ausgleich der Überhangmandate nicht zwingendvorgeschrieben. Werden diese Direktmandate nicht vollständig ausgeglichen, dann wird derWählerwille beziehungsweise das Zweitstimmenergebnis durch diese Einschränkung imRahmen der Sitzverteilung im Landtag nicht richtig wiedergegeben. Die Folge ist, dass Parteienmit einer Minderheit der Zweitstimmen eine Mehrheit der Mandate im Parlament erhaltenkönnen - oder anders formuliert, dass die Wählerstimmen nicht gleich viel wert sind. Nach demjetzigen Wahlergebnis waren deshalb für ein Mandat der CDU nur 14.811,53 Stimmenerforderlich, während für ein SSW-Mandat 17.359,5 Stimmen nötig waren.Von einem gleichen Erfolgswert der Stimmen und damit von einer Gleichheit der Wahl kanndaher nicht die Rede sein – zumindest nicht solange nicht alle Möglichkeiten ausgeschöpft sind,diesen Effekt durch andere Verteilungsverfahren zu minimieren. Alle Mandate sind gleich vielWert. Deshalb dürfen Direktmandate nicht bevorzugt behandelt werden. Das hat nichts damitzu tun, dass wir die demokratische Legitimation der Direktmandate in Zweifel ziehen, wie es derCDU-Fraktionsvorsitzende unterstellt hat. Aber die Zahl der Überhangmandate darf nicht dazuführen, dass die Wahl der Bevölkerung durch den Erfolgswert verzerrt wird.Diese Verzerrung ist aber nach der Landtagswahl 2009 so gravierend, dass Mitte Oktoberverfassungsrechtliche Bedenken gegen das Landeswahlgesetz geäußert wurden. Während dieLandesverfassung vorschreibt, dass Überhangmandate durch Ausgleichsmandate ausgeglichenwerden, lässt § 3 Absatz 5 Satz 3 des Wahlgesetzes eben zu, dass dieser Ausgleich auch nur imbegrenzten Umfang vorgenommen wird. Eben dies hat die Landeswahlleiterin ja getan. Deshalbmöchte ich auch noch einmal unterstreichen: das Problem ist nicht zuerst, wie die Landeswahl-leiterin und der Landeswahlausschuss entschieden haben, das war und ist durch das Wahlgesetzgedeckt, sondern das Problem ist die gesetzliche Norm selbst, die angewendet wurde. 4Durch die Frage der Verfassungsmäßigkeit hat diese Diskussion eine neue Qualität bekommen.Es geht nicht mehr nur darum, ob die eine oder andere Seite mehr profitiert und ob das Gesetzbesser gestaltet werden kann, um eine Auseinandersetzung zu vermeiden. Es geht jetzt darum,ob das Wahlgesetz überhaupt so aussehen darf. Wir können nicht mit verfassungsrechtlichenZweifeln am demokratischen Wahlsystem in Schleswig-Holstein leben. Wenn diese Frage nichtschnell geklärt wird, kann das Vertrauen in die demokratische Legitimation von Parlament undRegierung dauerhaft Schaden nehmen. Es ist die Pflicht aller Parteien, eine solche fataleEntwicklung im Keim zu ersticken. Deshalb haben der SSW und die Grünen das Landesverfas-sungsgericht im Rahmen eines Normenkontrollverfahrens um Klärung gebeten. Weder dasParlament noch die Regierung können fünf Jahre lang mit dem Vorwurf leben, dass Schleswig-Holstein mit einer verfassungswidrigen Mehrheit regiert wird. Leider gibt es hierfür keinenanderen Weg als den juristischen.In der Frage des Verhältnisausgleichs zur Landtagswahl 2009 geht es nicht darum, ob einpolitischer Block oder der andere die Macht bekommt. Es gibt politisch keine Mehrheit für eineSPD-geführte Landesregierung, egal wie die Mandatsverteilung vorgenommen wird. Deshalbmuss diese Situation zuerst genutzt werden, um ein für alle Mal die Ungerechtigkeiten imWahlrecht auszuräumen, die bei kommenden Wahlen zu weit größeren Spannungen undUngerechtigkeiten führen können. Hinzu kommt, dass die politische Landschaft in Deutschlandsich im Wandel befindet. Es ist sehr wahrscheinlich, dass im Landtag auch in Zukunft mehrerekleine und mittelgroße Parteien vertreten sind. Dies verschärft zusätzlich das grundsätzlicheProblem, das durch die Begrenzung der Ausgleichsmandate entsteht. Es muss also gehandeltwerden. Wir sind sicher, dass das Landesverfassungsgericht dem Landtag dabei auf die Sprüngehelfen wird. Angesichts des Vertrauensverlustes, den diese Wahl mit sich geführt hat, wäre esaber angebracht, dass das gesamte Parlament auch ohne Nachhilfe vom Gericht deutlich erklärt:Die möglichst genaue Umsetzung des Wählerwillens ist wichtiger als der kurzfristige partei-politische Gewinn durch ein unscharfes Wahlgesetz.