Diese Webseite verwendet ausschließlich für die Funktionen der Website zwingend erforderliche Cookies.

Datenschutzerklärung

29.01.10 , 10:49 Uhr
SSW

Anke Spoorendonk zu TOP 32 - Einsetzung einer Enquetekommission "Chancen und Risiken einer norddeutschen Kooperation"

Presseinformation
Kiel, den 29. Januar 2010 Es gilt das gesprochene Wort



Anke Spoorendonk
TOP 32 Enquetekommission „Chancen und Risiken einer norddeutschen Kooperation“ (Drs. 17/181)

Die Zusammenarbeit mit unseren norddeutschen Nachbarländern ist eine wesentliche
strategische Perspektive für die Entwicklung unseres Landes und seiner Verwaltungsstrukturen.
Schleswig-Holstein ist keine Insel, die autark und unabhängig ist, sondern kann gar nicht ohne
seine Nachbarn existieren. Der SSW hat sich aus diesem Grund stets dafür stark gemacht, die
Beziehungen zu unseren Nachbarn auf stabile Füße zu stellen, damit die Kooperations-
verpflichtungen Regierungswechseln und Wirtschaftskrisen standhalten. In der Vergangenheit
hat der SSW viele konkrete Projekte unterstützt oder sogar selbst in Gang gebracht, um auf
diesem Wege Schleswig-Holstein möglichst viele Optionen zu eröffnen. Dabei haben wir uns
nicht auf die Zusammenarbeit mit unseren dänischen Nachbarn beschränkt, wie mancher
vielleicht unterstellen möchte, sondern uns auch für eine stärkere norddeutsche Kooperation
eingesetzt, zum Beispiel in der Hafenwirtschaft.


Die Möglichkeiten in diesem Bereich sind mit Sicherheit noch nicht ausgereizt. Ja, sie sind noch
nicht einmal ausgelotet und bestehende Kooperationen und Fusionen noch nicht evaluiert. Von 2
daher begrüßen wir viele der Fragen und Vorschläge im vorliegenden Antrag der Grünen und der
SPD. Aber die Option eines Nordstaates halten wir aus mehrerlei Gründen für den falschen
Ausgangspunkt eines solchen Prozesses und vor allen auch für die falsche Perspektive für unser
Land. Ich möchte sieben Gründe nennen.


Grund 1: In einem Nordstaat droht den Schleswig-Holsteinern die politische Ohnmacht. Uns
würde dasselbe Schicksal ereilen, wie in vielen menschlichen Beziehungen. In der Paarungs-
euphorie wird über Unterschiede und Differenzen hinweggesehen. Wenn der Alltag beginnt,
dann geht die vermeintlich gleiche Augenhöhe aber schnell verloren. Bereits jetzt zeigt sich in
der Metropolregion, wie dominierend Hamburg gegenüber seinem Umland seine Interessen
durchzusetzen weiß. Akkurat das droht dem gesamten Land Schleswig-Holstein, wenn wir uns
einseitig auf Hamburg ausrichten und andere Optionen vernachlässigen. Dies wäre nicht zuletzt
eine Bedrohung für jene Regionen, die heute schon nicht im Zentrum der schleswig-
holsteinischen Politik stehen. Die Wirtschaftspolitik ist schon heute sehr stark auf die
Metropolregion Hamburg konzentriert. Dies würde sich in einem Nordstaat noch verstärken. Als
„Juniorpartner“ in einem solchen Gebilde hätte Schleswig-Holstein eine schwächere
Ausgangsposition, verschiedene regionale Interessen im Land würden untergehen.


Grund 2: Andere Möglichkeiten der Kooperation werden eingeschränkt. Im Antragstext spielen
die anderen Kooperationspartner des Landes Schleswig-Holstein eine untergeordnete Rolle,
obwohl auch zu anderen ausgezeichnete und feste Beziehungen bestehen. Die Zusammenarbeit
mit Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen und Bremen spielt in diesem Antrag eindeutig
die zweite Geige und weder die Kooperation mit Dänemark noch die im Ostseeraum sollen
seitens der Kommission bewertet und deren Potenzial berücksichtigt werden. Indem im
vorliegenden Antrag Alternativen beschränkt werden, wird eine Entscheidung für Hamburg
bereits vorweggenommen. 3
Grund 3: Der Nordstaat hält gar nicht, was er verspricht. Befürworter des Nordstaats argumen-
tieren vor allem damit, dass Schleswig-Holstein angeblich zu klein ist, um seine Aufgaben als
Bundesland ordentlich erledigen zu können. Ein größeres Land kann eine modernere, schlankere
Verwaltung haben, glauben sie. Aber wenn die Größe von Estland ausreicht, um EU-Mitglied und
Vorzeigeland in Sachen Bürokratieabbau und schlanker Staat zu werden, weshalb sollte
Schleswig-Holstein dann zu klein sein, um als Bundesland zu funktionieren? Auch das Argument,
dass dadurch finanzpolitische Probleme behoben werden können, ist falsch. Nur weil zwei Hartz
IV-Empfänger heiraten, wird aus Ihnen noch lange keine Mittelstandsfamilie. Das sieht übrigens
auch der allseits geschätzte Klaus von Dohnanyi so, der bei der letzten Nordstaat-Debatte 2007
urteilte: „Ein Nordstaat bringt uns kein bisschen weiter“. Der ehemalige regierende Bürger-
meister Hamburgs wies darauf hin, dass die Einsparungen in der Verwaltung gemessen an den
Gesamtkosten verschwindend gering seien und dass die Nachteile einer Fusion viel schwerer
wiegen würden. Dem kann ich nur beipflichten. Dass auch der Länderfinanzausgleich geändert
werden müsste, füge ich nur in Klammern hinzu.


Grund 4: Mit Demokratie hat der Nordstaat wenig zu tun. Der Nordstaat ist eine Idee von
Technokraten, deren einzige Bewertungsmaßstäbe die schiere Größe und die Einheiten Euro und
Cent sind. Aus demokratischer Sicht geht in einem Nordstaat aber die Bürgernähe verloren, die
bislang noch unsere Landespolitik von der Bundespolitik unterscheidet. Wir wollen eine
bürgernahe Demokratie und die erreicht man nicht, indem man blind dem Motto „big is
beautiful“ verfällt. Wenn wir eine Reform benötigen, dann muss sie ganz unten anfangen und
handlungsfähige Kommunen schaffen.


Grund 5: Geschichtlich gewachsene Strukturen und Zusammenhänge schaffen eine Identität, die
gerade in der globalisierten Welt eine Stärke ist und Halt gibt. Das mögen Technokraten als
emotionales Element abtun, aber es hat handfeste soziale und mittelbar auch wirtschaftliche
Implikationen. 4
Grund 6: Die Menschen wollen den Nordstaat nicht. Nicht ohne Grund musste der Minister-
präsident stets einen Rückzieher machen, wenn er wieder einmal herausposaunt hatte, dass er
sich vorstellen könne, der letzte Ministerpräsident von Schleswig-Holstein zu sein oder dass
Schleswig-Holstein und Hamburg schon auf dem Weg zum Standesamt seien. Wie eine Politik
ausgeht, die keine Rücksicht auf den Willen der Bevölkerung nimmt, konnte man ja trefflich bei
der Diskussion über die Kreisreform oder auch bei der Volksabstimmung über die Fusion
Berlin/Brandenburg sehen.


Grund 7: Ein Nordstaat wäre in Beton gegossen. Für Menschen gibt es immer einen Ausweg,
wenn ihre Ehe nicht funktioniert – die Trennung. Wenn eine Metropole und ein Flächenland
heiraten, dann gibt es aber kein Rücktrittsrecht und keine Scheidungsanwälte. Hier gilt umso
mehr die bekannte Formel aus der anglikanischen Hochzeitslithurgie: Wer etwas gegen diese
Verbindung einzuwenden weiß, spreche jetzt oder schweige für immer. Der SSW spricht jetzt
schon. Und dies können wir auch jetzt tun, bevor die Enquetekommission gearbeitet hat. Denn es
gibt grundsätzliche Argumente gegen einen Nordstaat, die sich auch durch vermeintliche
finanzpolitische Verheißungen nicht wegdiskutieren lassen.


Angesichts dieser sieben Gründe spricht alles dafür, in einer Enquetekommission zur nord-
deutschen Zusammenarbeit die Idee des Nordstaates außer Acht zu lassen und auf konkrete
Felder der Zusammenarbeit und der Arbeitsteilung zu fokussieren. Es gibt viele Möglichkeiten
unterhalb einer Fusion. Deshalb spricht sich der SSW gegen die Einsetzung der vorgeschlagenen
Nordstaat-Enquetekommission aus. Ich warne sogar ausdrücklich davor, dieses Trojanische Pferd
in unsere Mauern zu ziehen, weil die Kommission zukünftige Entscheidungen im Landtag stark
vorprägt und die Optionen einschränkt.


Für den SSW ist deshalb klar: Wer etwas für die Sache tun will, sollte die Fusionspläne endlich
beerdigen. Es würde die norddeutsche Zusammenarbeit und die Arbeitsteilung in vielen weiteren
konkreten Feldern befördern, wenn wir uns endlich von der unsäglichen Nordstaat-Debatte 5
verabschieden. Sie ist für die Zusammenarbeit eher ein Hindernis, denn sie führt dazu, dass die
politischen Debatten über eine enge norddeutsche Kooperation stets in einer Sackgasse enden.
Für echte Schleswig-Holsteiner gilt seit 1460 die Doktrin „op ewig ungedeelt“; heute, nach 650
Jahren, sollten wir sie erweitern durch das Credo „op ewig unvermählt“.


Diese Enquetekommission hat einen denkbar schlechten Start. Indem die Antragsteller explizit
auf die Option des Nordstaates Bezug nehmen, haben sie selbst dafür gesorgt, dass ihr von
vornherein das Etikett „Nordstaat“ angeheftet worden ist. Dieses Stigma wird sie kaum wieder
loswerden. Wie es ausgeht, wenn man technokratische Strukturreformen diktieren will und das
gewünschte Ergebnis eines angeblich offenen Diskussionsprozesses von vornherein nennt, hat
das Schicksal der Kreisreform in der letzten Wahlperiode gezeigt. Wer eine unrealistische und
ungewünschte Maximalforderung vorgibt, kann danach nur noch zurückrudern und steht als
Verlierer da. Ich prophezeie der Nordstaat-Enquetekommission dasselbe Schicksal.

Download PDF

Pressefilter

Zurücksetzen