Diese Webseite verwendet ausschließlich für die Funktionen der Website zwingend erforderliche Cookies.
Robert Habeck zum Wahlgesetz
Presseinformation Landtagsfraktion Es gilt das gesprochene Wort! Schleswig-Holstein Pressesprecherin Claudia Jacob TOP 12, 17,18 – Änderung des Wahlgesetzes Landeshaus Düsternbrooker Weg 70 24105 Kiel Dazu sagt der Fraktionsvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen, Telefon: 0431 / 988 - 1503 Fax: 0431 / 988 - 1501 Robert Habeck: Mobil: 0172 / 541 83 53 presse@gruene.ltsh.de www.sh.gruene-fraktion.de Nr. 747.10 / 16.12.2010Trau keinem über 30Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren,ich möchte noch einmal in Erinnerung rufen, warum SSW und Grüne vor dem Landes- verfassungsgericht eine Normenkontrollklage eingereicht haben. Unser Wahlgesetzt verstößt gegen die Erfolgswertgleichheit – diese Regierung ist von rund 30.000, genau 27.495 Menschen weniger gewählt worden als die Parteien, die jetzt in der Opposition sind. Es kann nicht sein, dass dies richtig ist. Juristisch nicht, erst recht nicht politisch.In einer Zeit, in der die eingeübten Formen der repräsentativen Demokratie einem mas- siven Autoritätsverlust unterworfen sind, ist es ein fataler Fehler, ja ein kollateraler Schaden, wenn der Vorbehalt gegenüber „denen da oben“ – also uns allen, auch wenn es sich subjektiv für den einzelnen so nicht anfühlen mag, aber genau dies ist ja das Problem - potenziert wird durch den abgebrochenen Ausgleich von Überhangmandaten und somit ein demokratisches Ungleichgewicht entsteht.Keine Regierung und keine Fraktion ist gut beraten, vor diesem Problem die Augen zu verschließen. Und ein „Augen zu und durch“ geht schon gar nicht. Deshalb haben wir geklagt. Und aus jedem Satz des Urteils des Verfassungsgerichts springt einem eine Sorge an: die, um den Vertrauensverlust von demokratischer Repräsentanz. Vor die- sem Hintergrund führen wir heute die Debatte.Das Verfassungsgericht diskutiert verschiedene Möglichkeiten, wie man die Erfolgs- wertgleichheit herstellen kann, ohne den Landtag über die vorgesehene Größe an- wachsen zu lassen. Die Rückkehr zum Einstimmenwahlrecht ist darunter. Aber ein Ein- stimmenwahlrecht haben wir zum Beispiel bei der Kommunalwahl – mit dem gleichen massiven Entstehen von Überhangmandaten. Und deshalb ist es gut und richtig, dass CDU und SPD nicht ihrem ursprünglichen Impuls gefolgt sind, dem Volk in Zeiten wie diesen eine Stimme wegzunehmen. Seite 1 von 4 Der Hauptweg, den das Landesverfassungsgericht nahe legt, ist allerdings die Reduzie- rung der Wahlkreise. Dabei bezieht es sich ausdrücklich und positiv auf den von uns schon zum Beginn der Legislaturperiode eingebrachten Vorschlag, der Reduzierung der Wahlkreise auf dreißig. Ein Hinweis, dass dies nicht verfassungskonform sein könnte, findet sich im Urteil nicht. Im Gegenteil. Auch die versammelte professorale Fachkom- petenz im Innen- und Rechtsausschuss und bei einer Podiumsdiskussion des Vereins Mehr Demokratie hat mehrfach betont, dass das in unserer Verfassung beschriebene „personalisierte Verhältniswahlrecht“ keinesfalls so auszulegen ist, dass nur eine Hälfte- lung der Zahl von 69 Abgeordneten verfassungskonform sei. Zu dem gleichen Schluss kommt auch ein Gutachten des unabhängigen Wissenschaftlichen Dienstes des Land- tags.Und deshalb bitte ich Sie, meine Damen und Herren von CDU und SPD, für die anste- hende Debatte um eines, ersparen Sie uns die Mär, dass weniger als 35 Wahlkreise nicht verfassungskonform wären. Diese ist eine unbelegte, ja schlimmer, widerlegte Be- hauptung.Mit keinem einzigen Satz in der Landesverfassung lässt sie sich begründen. Und ich finde, es ist einfach schlechter Stil, nicht zur Kenntnis zu nehmen, dass man Unrecht hat. Das Argument, dass die Landesverfassung 35 Wahlkreise vorschreibt, ist juristisch nicht haltbar.Es ist ein rein politisches Argument. Sie sollten wenigstens die Traute haben, sich dazu zu bekennen. Sagen Sie: Weniger als 35 Wahlkreise sind unseren Parteien und unse- ren Fraktionen nicht zumutbar. Das wäre wenigstens ehrlich. Ich weiß, dass Herr von Boetticher da gewöhnlich aufspringt und erklärt, er sei der einzige, der seiner Fraktion sagen muss, dass fünf Abgeordnete nach der Neuwahl ihren Wahlkreis verlieren. Liebe CDU-Abgeordnete, lassen Sie sich von Ihrem Fraktionsvorsitzenden nicht verschau- keln, es werden weit mehr sein als fünf, die ihren Wahlkreis verlieren. Nach der nächs- ten Wahl, CDU, da werdet Ihr das Verhältniswahlrecht so richtig schätzen lernen.Oder andersherum: Selbstverständlich, liebe KollegInnen, weiß ich oder ahne mindes- tens, wie schwer Ihnen eine solche Debatte fällt. Aber ich möchte eindringlich an Sie appellieren: führen Sie sie nicht eigennützig. Und ich sage Ihnen voraus: Der- oder die- jenige, die an das große Ganze denkt - hier das kleine Ganze – wird belohnt werden und ihre oder seine Möglichkeiten der Wiederwahl drastisch verbessern. Nutzen Sie doch die Chance, die in dieser Debatte steckt, doch offensiv.Prüfe ich die Zahl 35 mit dem bestehenden Ergebnis von 2009, hätte der Landtag - bei Aufhebung der Deckelung des Ausgleichs – und die sehen ja löblicherweise CDU und SPD vor – 89 Abgeordnete. Und zwar bei der Annahme, dass die SPD fünf Wahlkreise gewinnt. Damit verfehlt der Vorschlag von CDU/FDP und SPD die Norm der Verfassung erneut deutlich.Aber das macht ja nichts. Denn folgerichtig wird vorgesehen, gleich die Verfassung mit zu ändern.Meine Damen und Herren von CDU und SPD, statt ein Wahlgesetz zu schreiben, dass der Verfassung entspricht, schreiben Sie die Verfassung so um, dass sie Ihren – durch parteipolitische Bangbüxigkeit geprägten - Vorstellungen eines Wahlrechts entspricht. Das ist ein Skandal.Und dieser Vorschlag ist nicht erst nach langem Ringen entstanden. Er hat sich bereits 2 von Anfang an abgezeichnet. Denn die Formulierung, die immer im Raum stand - „Jede Fraktion muss etwas geben“ - blendet völlig aus, dass wir ein Urteil des Verfassungsge- richts haben. Und dass dieses Urteil im Licht einer demokratischen Sorge gesprochen wurde, nämlich dem massiven Schwund an Vertrauen in die Gewählten. Der Sorge vor dem Schwund politischer Autorität, den wir erleben. Da auf Geben und Nehmen zu set- zen, ist wirklich blamabel. Denn dies hier ist ja kein Basar, es ist ein Rechtsstaat.Sie sagen, es liegt im Interesse der Grünen, möglichst wenige Wahlkreise zu haben. Warum sollte das im Interesse der Grünen liegen? Meinen Sie nicht, dass es auch bei uns mehr als zwölf Leute gibt, die gern im Landtag für eine andere Politik streiten möch- ten? Im Interesse der Grünen – wenn man denn eigennützig und egoistisch denkt – lä- ge ein möglichst großer Landtag mit möglichst vielen Überhangmandaten, die wir aus- gleichen könnten. Der Unterschied ist jedoch, dass wir diesem Interesse nicht wie Sie nachgeben. Dass wir den Landtag eben nicht als Verfügungsmasse betrachten, son- dern als demokratisches Gut.Ja, ja, ich kenne den Einwand: Die letzte Landtagswahl war extrem und so krass wird es schon nicht wieder kommen. Kann sein. Kann aber auch nicht sein. Und genau so gut ist das Argument, dass dies noch lange nicht der Krassheit letzter Schluss war. Selbstverständlich ist es möglich, dass eine Partei mit 28 Prozent Landesergebnis alle Wahlkreise gewinnt. Und es ist noch nicht mal unwahrscheinlich, dass es so kommen kann. Die Rechnung, dass es 89 Abgeordnete werden, ist eine konservative – ich habe ja den Sieg der SPD in fünf Wahlkreisen unterstellt, bei einem durchschnittlichen Er- gebnis von 25 Prozent.Nein, das Grundproblem – und es hat mit der allgemeinen Delegitimation zu tun – ist, dass die Zeit der Volksparteien vorbei ist, dass es Ergebnisse, in denen zwei große ü- ber 40 Prozent erzielen und sich die Wahlkreise teilen, absehbar nicht mehr geben wird. Und das wiederum liegt daran, dass unsere Gesellschaft ausdifferenzierter, vielfältiger, pluraler geworden ist. Und damit ist sie besser geworden. Deshalb kämpfen Sie einen hoffnungslosen Kampf. Sie können die Verfassung vielleicht noch ändern, aber nicht die Gesellschaft.Ein letztes: Immer wieder hörte ich, dass der direkt gewählte Abgeordnete ein würdige- rer Abgeordneter sei als ein Listenabgeordneter und deshalb sei die Persönlichkeits- wahl heiliger.Nun, das ist schon rechnerischer Quatsch. Im Moment haben wir 40 Direkt- und 55 Lis- tenmandate. Nach dem vorgeschlagenen Wahlrecht wären es für diesen Landtag 35 Di- rekt- aber 54 Listenmandate. Die Logik des vollen Ausgleichs bei schwächelnden Großparteien bedeutet, je mehr Wahlkreise wir haben, desto ungünstiger wird das Ver- hältnis für die Persönlichkeitswahl zu den Listenplätzen. Viele Wahlkreise schwächen geradezu die Persönlichkeitswahl. Ihr eigenes Argument richtet sich gegen Sie. Die Di- rektmandatsheiligkeit ist ein Fetisch.Meine Damen und Herren, hätte jemand seinen Wahlkreis mit über 50 Prozent gewonnen, würde ich eine beson- dere Verpflichtung sehen. Aber auch das ist doch längst nicht mehr der Fall. Wahlkreise werden mit 30 Prozent der Stimmen gewonnen und meist in direkter Ableitung der Stär- ke der Partei im Land. Aus 30 Prozent aber leitet sich sicher kein Primat der Persön- lichkeitswahl ab. In unserer Landesverfassung ist ausdrücklich die Gleichwertigkeit aller Mandate festgestellt. Und wir alle sollten InteressenvertreterInnen des gesamten Lan- des und nicht nur unserer Herkunftsregion sein und im Wohle aller in Schleswig- 3 Holstein lebenden Menschen handeln.Umgekehrt wird ein Schuh draus. Der Anteil der Listenplätze sichert die Teilhabe von politischen Minderheiten. Und daran sollte sich ein modernes Wahlrecht messen.Bleibt die Frage: Muss in der Verfassung geregelt sein, wie groß der Landtag sein soll? Nein, das muss es selbstverständlich nicht. Aber wir müssen ein Wahlgesetz schaffen, das sichert, dass der Landtag nicht groß, sondern klein ist. Das ist unabhängig von der Verfassung ein Gebot politischer Vernunft und Demut: Alles wird kleiner, überall wird gespart - nur nicht an der Zahl der Abgeordneten. Toller Wahlkampfslogan. Viel Spaß beim Plakatieren.Die Verkleinerung von 75 auf 69 Abgeordnete war die Gegenleistung für die Erhöhung der Diäten, ganz offiziell so begründet. Mit der Verfassungsänderung stellen Sie ein Li- zenz zu Aufblähung aus, nehmen die Gegenleistung zurück – aber die Diätenerhöhung von damals nicht. Deshalb muss sich jeder Landtag in Relation zu der Zahl 69 messen.Das alte CDU/SPD- Wahlgesetz hat das Land in eine tiefe politische Legitimationskrise gestürzt – und da stellen Sie sich hin und passen die Verfassung einem nächsten ver- murksten Kompromiss an.Machen Sie nur so weiter. Ich sage Ihnen voraus, wenn Sie sehende Auges ein Wahl- gesetz verabschieden, das Selbstkritik ausblendet, die Wirklichkeit ignoriert und Besitz- stände wahrt, dann werden sie die Quittung bei der nächsten Wahl bekommen.Es gibt nur ein Motto an dieser Stelle: Trau keinem über 30! *** 4