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24.02.11 , 11:07 Uhr
B 90/Grüne

Robert Habeck zur Debatte über politische Führung in Schleswig-Holstein

Presseinformation

Landtagsfraktion Es gilt das gesprochene Wort! Schleswig-Holstein Pressesprecherin TOP 35 – Debatte zur politischen Führung Claudia Jacob Landeshaus Dazu sagt der Vorsitzende Düsternbrooker Weg 70 24105 Kiel der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, Telefon: 0431 / 988 - 1503 Robert Habeck: Fax: 0431 / 988 - 1501 Mobil: 0172 / 541 83 53
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Das Schweigen der Lämmer Nr. 124.11 / 24.02.2011


Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren,
eine Debatte über politische Verantwortung oder gutes Regieren greift weiter, als nur eine Auseinandersetzung um Stil und Leistungsbilanz der schwarz-gelben Regierun- gen.
Sie berührt den Vertrauensverlust, den politische Gremien und Akteure und Parteien in ihrer Gesamtheit erleiden. Geringe Wahlbeteiligungen sind ein Problem, jedoch das weitaus kleinere gegenüber einem Protestverhalten, wenn es sich denn destruktiv arti- kuliert. Und andererseits zeigen die vielen Proteste, dass die Menschen, die sich für Po- litik interessieren, nicht weniger geworden sind. Was also eine „Debatte über politische Führung und die Wahrnehmung schleswig-holsteinischer Interessen“ beantworten muss, ist die Frage, wie Politik wieder Vertrauen erlangen kann.
Demokratie baut auf labilen Voraussetzungen. Und die erste Voraussetzung für eine in- takte Demokratie ist Vertrauen. Vertrauen ist eine Vorleistung, und zwar eine nötige. Denn es gibt zu viele Informationen, die Komplexität von Prozessen ist zu hoch, als dass diejenige, die den ganzen Tag gearbeitet hat, oder derjenige, der sich um die Kin- der gekümmert hat, sie alle alleine noch abwägen kann. Er verlässt sich auf andere. Sie delegiert ihre freie Entscheidung an die Organe der parlamentarischen Repräsentanz.
Meine Damen und Herren, Demokratie baut auf Vertrauen. Und genau daran hapert es.
Es hapert daran, obwohl vermutlich wir alle subjektiv der Meinung sind, im Ringen der Argumente jeweils das Beste für die Menschen zu wollen. Das Problem guter Politik und der Wahrnehmung der Interessen des Landes ist, dass Vertrauen enttäuscht wird,
Seite 1 von 3 obwohl wir uns bemühen, ihm gerecht zu werden. Ich ziehe daraus den Schluss, dass es sich um kein persönliches Problem handelt, auch wenn Unzulänglichkeiten oder auch Unfähigkeiten eine Rolle spielen, sondern um ein strukturelles. Mit anderen Wor- ten, der Vertrauensverlust von Politik ist ein politisches Problem und deshalb muss es auch politisch gelöst werden.
Vertrauen entsteht, wenn man glauben kann, die Dinge werden sich schon zum Guten entwickeln. Das ist offensichtlich und berechtigt in Zweifel zu ziehen. Klimawandel, Schuldenkrise, Unterfinanzierung der öffentlichen Hand, demographische Auszehrung von Ehrenamt, wachsende Ungleichheit. Der Spardiskurs des letzten halben Jahres mag parteipolitisch mit dem Haushaltsbeschluss sein gutes Ende gefunden haben, ge- sellschaftspolitisch hat er eher Angst vor der Zukunft gemacht. Es ist nicht gelungen, zu erklären, wie aus dem Sparen ein gelingendes Gemeinwesen entstehen kann.
Und es konnte auch nicht gelingen, weil die Ausgabeseite viel zu einseitig nach vorne gestellt wurde, die Rechnung nicht nachvollziehbar aufgeht und vor allen Dingen nicht erklärt werden konnte, wie das Land eigentlich aussehen soll und was es sein soll, wenn die Hungerkur beendet ist. So hat das letzte Jahr viel Vertrauen zerstört. Und wenn man es zurückholen will, dann bedeutet gute Politik eine Idee zu haben von der Gesellschaft, in der wir einmal leben wollen. Das ist Ihnen einmal nicht gelungen. Ich habe keinen Grund zur Annahme, dass Sie es ein weiteres Mal besser können. Was das Land Schleswig-Holstein braucht, das sind Zukunftskonzepte und eine gestaltende Idee.
Zweitens setzt Vertrauen das Vorhandensein von Handlungsalternative voraus. Die ha- ben Sie zwar rhetorisch eingeführt, das so genannte Bausteinsystem der Haushaltser- stellung, aber allein einseitig und ungerecht interpretiert. Und wenn keiner mehr weiter wusste, wurde das Unwort des Jahres von der Alternativlosigkeit aus dem Hut gezogen. Es ist dieser Duktus der Überheblichkeit, des Closed Shops, das Ausschlagen von Mit- arbeitsbereitschaft seitens Opposition oder von Schulfriedensangeboten bei gleichzeiti- ger Beschwörung von Alternativlosigkeit, der Politik diskreditiert. Was wir also brau- chen, sind Reformen, die den Handlungsspielraum von Politik vergrößern. Nicht Alter- nativlosigkeiten sondern Alternativmöglichkeiten!
Drittens agiert Politik manchmal wie aus der Zeit gefallen. Und manchmal weist sie auf dem Zeitpfeil auch noch zurück, wie die Pläne des Innenministers zur kommunalen Verwaltungsreform oder das Schulgesetz. Der Psycho-Erlass ist nämlich nicht ein Aus- rutscher, er ist die Logik eines fehlerhaften Systems. Wir haben ein Gesetz, das angeb- lich Bürokratie abbauen soll und nicht anders denn als bürokratisches Ungetüm umge- setzt werden kann. Was wir also brauchen, ist eine Politik auf der Höhe der Zeit, die die alten Zöpfe abschneidet, vom Ehegattensplitting bis zum Bildungsföderalismus.
Viertens gibt es keine Kultur, Fehler auch eingestehen zu dürfen. Wenn man sich ver- rannt hat, dann muss man nicht immer weiter mit dem Kopf durch die Wand. Aber es ist das Wesen von Vertrauen, dass man Leuten zugesteht, Fehler auch machen zu kön- nen. Und das heißt, dass man Fehler auch vergibt. Und deshalb gibt es einen prakti- 2 schen Weg, gute politische Führung wieder herzustellen, Vertrauen zu schaffen. Und ich kann ihnen für mich und meine Fraktion versprechen, einen solchen Mut, wenn er denn aufgebracht würde, nicht mit Häme oder Rücktrittsforderungen zu quittieren, son- dern mit Achtung und Applaus. Ziehen Sie, Herr Bildungsminister, sie Herr Ministerprä- sident, das Schulgesetz zurück, bevor es Wirklichkeit wird.
Liebe Regierungsbank, ich bin ja nicht ihr politischer Berater, aber wenn ich es wäre, hätte ich Ihnen dringend geraten, hier heute zu sprechen. Die Landesregierung ist in keiner Verfassung, die Ge- legenheit, 10 Minuten ihre Politik zu erläutern, einfach verstreichen zu lassen.
Stehen Sie, Herr Ministerpräsident, zu Ihrem Bildungsminister oder ist er isoliert? Re- den sie heute hier nur nicht, um kein Bekenntnis abgeben zu müssen?
So werte ich Ihr Schweigen - als Distanzierung von Herrn Klug und seinen Erlassen und seinem Schulgesetz. Schweigen heißt sich in die Büsche schlagen. Es heißt, sich mit Kubicki gemein zu machen, der MitarbeiterInnen ihrer Regierung beschimpft und seinen Parteifreund, Minister Klug, einen Minister Ihres Kabinetts in die Bredouille bringt.
Und ich bin wohl nicht der Einzige, der das so sieht. Die CDU kündigt schon mal an, dass sie demnächst das Bildungsministerium haben will. Was, wenn nicht das, ist eine unverhohlene Kritik an Minister Klugs Amtsführung?
Und von Kollege Kubicki ist keine Klarstellung gekommen, ob sein Parteivorsitzender Koppelin auch in seinem Namen gesprochen hat, als der die Küstenschutzabgabe als bürokratisches Monstrum bezeichnet und Frau Ministerin Rumpf angeschlossen hat.
„Einfach mal die Klappe halten!“ haben Sie die Parole ausgegeben, Herr Ministerpräsi- dent. Und keine 48 Stunden später erklärt die Junge Union, das Schulgesetz sei Mist.
Heute wäre die Chance gewesen, die Linie und die Einheit der Regierung darzustellen. Und sie wird nicht ergriffen. Entweder ist die Regierung also sprachunfähig oder sie hält es für unnötig, ihre Politik zu erläutern. Das eine wäre schlimm, das andere arrogant. Ich weiß nicht, was ich mir weniger wünschen soll.
Es ist diese Verweigerung, die den Vorstoß des Kollegen Stegner zu einem neuen Wahlgesetz düpiert. Ich bin gespannt, wie es endet. Sie haben ein Gerichtsurteil, dass der Landtag, der sie gewählt hat, nicht verfassungskonform zusammengesetzt ist, sie regieren gegenüber der Bevölkerung als Minderheitenregierung, sie haben kein Wahl- gesetz, ein miserables Schulgesetz und die Koalitionäre fallen übereinander her. Und sie verweigern die Aussprache. Das ist nicht gute Politik, das ist auch nicht Führung, das ist das Schweigen der Lämmer.
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