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Luise Amtsberg zum NPD-Verbot
PresseinformationEs gilt das gesprochene Wort! Landtagsfraktion Schleswig-Holstein TOP 13 – NPD-Verbotsverfahren Pressesprecherin Claudia Jacob Dazu sagt die Sprecherin für Strategien gegen Rechtsex- tremismus der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, Landeshaus Düsternbrooker Weg 70 Luise Amtsberg: 24105 Kiel Telefon: 0431 / 988 - 1503 Fax: 0431 / 988 - 1501 Mobil: 0172 / 541 83 53 presse@gruene.ltsh.de www.sh.gruene-fraktion.de Nr. 369.11 / 29.06.2011 Ein NPD-Verbot schafft keine Nazis abEs gehört zum Gründungskonsens der Bundesrepublik, dass faschistische Bewegun- gen oder Parteien in Deutschland nie wieder an Bedeutung und Einfluss gewinnen dür- fen. Dieses ist unsere Gesellschaft der Bundesrepublik vor allem den Millionen Opfern der NS-Diktatur schuldig. Aber Faschismus hat an Einfluss gewonnen, das ist die Reali- tät. Und ihre Ideologie ist rassistisch, völkisch und antisemitisch. Ihre Anhänger rufen offen zur Anwendung von politisch motivierter Gewalt auf und nicht selten, wenden sie diese auch an. Ihre Ideologie, da sind wir uns einig, ist widerlich, unerträglich und auf dem ersten Blick wird jede/r AntifaschistIn sagen: Weg damit! Weg mit allem, das sich durch staatliche Autorität verbieten lässt.Das aber ist die emotionale Seite. Hierbei geht es um zu viel, wir dürfen nicht den Feh- ler machen über die sachlichen und faktischen Gefahren, die sich aus einem Verbot er- geben, hinwegzusehen. Auch wenn das NPD-Verbot vielen und auch uns aus dem Her- zen spricht, wirft es demokratietheoretische Fragen auf und diese sind es letztlich auch, die uns Grüne dazu bewegen, beide vorliegenden Anträge abzulehnen.Hilft ein Verbot der NPD tatsächlich in der Auseinandersetzung mit den rechtsextremen Phänomenen in Deutschland? Oder weckt die Verbotsdebatte lediglich falsche Hoff- nungen, wirkt sie vielleicht sogar kontraproduktiv? Sind es nicht die Wähler, die in einer Demokratie über Wert und Unwert einer politischen Partei oder politischer Ideen mit ih- rer Stimme entscheiden? Wie angreifbar machen wir andere Parteien und Gruppierun- gen wenn wir die NPD verbieten? Generell sind Parteiverbote ein hochsensibler The- menbereich und in ihrem tiefsten Ursprung widersprechen sie der demokratischen Idee. Es gibt demokratische Systeme, wo ein Parteiverbot undenkbar wäre, weil es dort im Widerspruch zu den demokratischen Grundwerten steht. Dass dieses in Deutschland niemals so sein kann und wir unserer Geschichte Rechnung tragen, brauchen wir an Seite 1 von 3 dieser Stelle nicht zu diskutieren. Was uns letztlich aber zu unserer Position bewogen hat: ein Parteiverbot ist einer der sensibelsten Bereiche in einem demokratischen Sys- tem. Dieses Mittel sollte niemals undurchdacht oder leichtfertig genutzt werden.Knapp acht Jahre ist es nun her, als das erste Verbotsverfahren eingestellt wurde. Nach dieser Zeit hatte die NPD eine enorme Professionalisierung im Bereich Fundrai- sing und Öffentlichkeitsarbeit erfahren. Schon damals wurde das Scheitern des NPD- Verbots seitens der Nazis als Bestätigung und Legitimation gedeutet.Das größte Problem ist, dass gerade die gewaltbereiten Nazis sich zunehmend in auto- nomen Gruppen engagieren, die aktionistisch und weit weniger kalkulierbar agieren, wie wir es auch in Husum gesehen haben. Sie wollen mit der nach ihrer Auffassung weichgespülten NPD, die sich nun verstärkt auch für Atompolitik, Tierschutz und soziale Gerechtigkeit einsetzt, gar nichts mehr zu tun haben. Deutschlandweit bis auf wenige Ausnahmen verliert die NPD Mitglieder. Das Paradoxe aber ist, dass auf der anderen Seite die rechtsextremen Straftaten zunehmen. Das allein zeigt uns doch, dass das NPD- Verbot völlig an den Realitäten vorbei geht. Sicher, es wäre ein starkes Signal gegen rechts - aber wegen Symbolik auf der anderen Seite unsere demokratischen Grundsätze auf tönerne Füße zu stellen, halte ich für falsch.Es ist absoluter Mist, dass die NPD sich durch Wahlkampfkostenerstattung zu einem großen Teil finanzieren kann. Um Wahlkampfkostenerstattung zu erhalten, reichen 0,5 Prozent der abgegebenen Stimmen aus. Liebe SPD und liebe Linke, lassen Sie uns gemeinsam dafür sorgen, dass die NPD diese 0,5 Prozent nicht mehr bekommt.Das nächste ist der Eindruck nach Außen: Alle, die sich im Kampf gegen Nazis enga- gieren, wissen, wie wichtig die öffentliche Wahrnehmung dieses Problems ist. Gerade jetzt, wo durch die EU-Osterweiterung, die europäische Freizügigkeit und der Situation an Nordafrikas Außengrenzen ein deutlicher Anstieg von latentem Rassismus in der Bevölkerung wahrnehmbar wird, ist die Fixierung auf staatliche Maßnahmen fahrlässig. Für mich ist dieses Verbot das Verteilen von Placebos an die Gesellschaft. Es ändert absolut nichts an den Tatsachen.Anetta Kahane, die Vorsitzende der Amadeu- Antonio-Stiftung, stellt kritisch die Frage nach der Ursache der ständigen Wiederholung dieser Debatte und antwortet darauf: „Bestenfalls Hilflosigkeit, darf man vermuten. Und [die Debatte] wirkt umso hilfloser, je öfter die Diskussion wieder aufgewärmt wird.“ Ich weiß, dass es nicht Hilflosigkeit ist, die Sie dazu bringt, diesen Antrag zu stellen – aber ich möchte darauf hinweisen, dass es uns zum Nachdenken anregen muss, wenn eine der größten politischen Stiftungen gegen Rechts und für Toleranz und Demokratie diesen Eindruck von uns PolitikerInnen erhält. Verwundern tut es mich nicht, denn Frau Kahane spricht davon, dass die Politik in Deutschland immer nur auf der Suche ist, nach dem archimedischen Punkt, den man nur finden muss um alle anderen, viel größeren Probleme zu lösen – der archimedische Punkt, der ganz allein in der Lage ist, die Welt zu verändern. Ich finde diesen Satz sehr klug, denn er drückt kurz und bündig aus, was nämlich mit einem Verbot nicht passiert. 2 Und das möchte ich in aller Deutlichkeit unterstreichen: Mit einem Verbot schafft man eben keine Nazis ab. Und weil das so ist, spricht sich die Grüne Fraktion gegen ein NPD-Verbotsverfahren aus.Und weil für uns diese Debatte kein Selbstzweck ist, arbeiten wir derzeit gemeinsam in Beratungen mit Experten auf Bundes- und Landesebene an einem Beratungskonzept für das Land Schleswig-Holstein, in dem die kommunalen Erfahrungen und Erfahrun- gen anderer Bundesländer genauso einen Platz bekommen, wie die Erfahrungen der unzähligen Opfer rechter Gewalt. Das ist unsere Antwort auf die NPD, auf rechte Ge- sinnung und latenten Rassismus in unserer Gesellschaft. Denn erst wenn Zivilgesell- schaft und Politik alle Mittel der Demokratie ausgeschöpft haben, erst dann dürfen wir es uns erlauben zum Mittel des Parteiverbotes greifen. Aber genau das ist nicht der Fall.Wir haben in den vergangenen Jahren in allen Gremien unserer Partei diskutiert, ab- gewogen und analysiert. Zuletzt in der Fraktion, und ich möchte an dieser Stelle meinen Kolleginnen und Kollegen in der Fraktion für die konstruktiven und kritischen Debatten danken. Diese Entscheidung war nicht leicht.Ich bitte Sie auch im Anschluss an diese Debatte um einen fairen Umgang, denn vieles von ihrer Position können wir mehr als nachempfinden, vieles hatte auch in unseren Debatten einen großen Stellenwert. Und das ist auch das extrem schwierige an dieser Entscheidung, denn wir alle können uns nicht auf Erfahrungswerte berufen. Keiner von uns weiß, was das Richtige ist. Niemand von uns hat eine Garantie dafür, mit welchem Weg wir Probleme verschärfen oder womit wir sie tatsächlich lösen können. Deshalb ist es mir wichtig, noch einmal zu betonen, dass wir alle hier das gleiche Ziel haben: Wir wollen keine Nazis, weder im Parlament, noch auf der Straße, noch wollen wir rechtes Gedankengut in den Köpfen! Dass der vorgeschlagene Weg zu diesem Ziel möglicher- weise ein unterschiedlicher sein kann, ist das Mindestmaß an Akzeptanz, das dieses Haus hier leisten können muss – vor allem vor dem Hintergrund, dass wir in Deutsch- land und auch in Schleswig-Holstein wirklich einen demokratischen Auftrag zu erfüllen haben.An einer Stelle gebe ich den AntragstellerInnen Recht. Ein Verbot würde die NPD schwächen, würde sie dazu zwingen im Zweifel neue Organisationsformen zu finden. Aus genau dieser Situation heraus sind in der Vergangenheit immer mehr Kamerad- schaften aufgekommen und nicht zuletzt ist auch das ein Grund, warum es heute auto- nome Gruppen gibt. Wir würden die rechte Szene also kurzfristig schwächen und auf der anderen Seite würden wir uns, der Politik und der Gesellschaft eine zeitweilige A- tempause gönnen. Aber ist es das, was wir wollen? Wollen wir eine Atempause? Ich sage nein: Die Position meiner Fraktion ist klar: wir wollen keine Atempause! Nicht eine Sekunde lang! Wir wollen jeden Tag nutzen, um aufkeimenden oder fest verankerten Rassismus in all seiner Hässlichkeit jeden Tag auf ein Neues zu bekämpfen. Erst wenn uns das gelingt, können wir uns eine Atempause erlauben! *** 3