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Robert Habeck zur Finanzpolitik für Europa
Presseinformation Landtagsfraktion Schleswig-Holstein Pressesprecherin Es gilt das gesprochene Wort Claudia Jacob Landeshaus TOP 18 und 39 – Finanzpolitik für Europa Düsternbrooker Weg 70 24105 Kiel Dazu sagt der Vorsitzende Telefon: 0431 / 988 - 1503 der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, Fax: 0431 / 988 - 1501 Mobil: 0172 / 541 83 53 Robert Habeck: presse@gruene.ltsh.de www.sh.gruene-fraktion.de Nr. 500.11 / 15.09.2011Unser Weg muss nach Europa führen, nicht aus Europa herausSehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren,auf eines konnte man sich in der schwarz-gelben Koalition in Berlin bisher verlassen – dass CSU und FDP sich gegenseitig auf die Mütze hauen. Wenn CSU und FDP jedoch eine Alli- anz eingehen, dann sollten alle Alarmglocken läuten.Es ist eine Allianz, die unheiliger kaum sein kann. Sie speist sich aus nationaler Volklore und Fünf-Prozent-Populismus. Während in der Intensivstation um das Überleben des euro- päischen Patienten gekämpft wird, reden die Herren Rösler und Seehofer schon mit dem Bestatter.Was Herr Rösler und Herr Seehofer seit dem Wochenende aufführen, ist unverantwortlich und dumm. Unverantwortlich, weil die Rede über eine „geordnete Insolvenz“ Griechenlands oder gar einen Ausschluss aus der EU, eine Rede ist von etwas, das es gar nicht gibt. Dumm, weil dieses Gequatsche die Risikoaufschläge für Staatsanleihen erhöht, Preise für Kreditausfallversicherungen hochtreibt, die Märkte verunsichert, Kapital verbrennt und die Krise immer unbeherrschbarerer macht.Damit hat der amtierende Bundeswirtschaftsminister der deutschen Wirtschaft einen direk- ten Schaden zugefügt. Herr Rösler wollte liefern – jetzt wissen wir, dass das eine Drohung war.Deutschland agiert in der Euro-Krise, die längst zu einer Europa-Krise geworden ist, ohne Plan, Ziel und Kompass. Wie sollen die Menschen in unserem Land der Politik und dem Ziel Seite 1 von 3 der europäischen Integration vertrauen, wenn Union und FDP rhetorisch gegen die „Faul- pelze“ in Südeuropa mobil machen, wenn Herr Koppelin - ihr Landesvorsitzender - die Grie- chInnen als AlkoholikerInnen beschimpft und die europäischen Rettungsbemühungen als Drogenkonsum? Das ist unverantwortlich.Wie soll man Deutschland vertrauen, wenn in ihm gegen die Transferunion polemisiert wird und gleichzeitig die EZB genötigt wird, Staatsanleihen aufzukaufen – ein klarer Verstoß ge- gen ihre eigentliche Aufgabe - statt die Banken über Bonds verbindlich mit haftbar zu ma- chen.Die Vergemeinschaftung der europäischen Schulden, die von FDP und CSU in Form von Eurobonds bekämpft wird, ist doch längst Realität. Und zwar eine Realität, die geschaffen wurde, weil Frau Merkel und Rainer Brüderle und der Rest der Bundesregierung am Anfang Ausmaß und Bedeutung der europäischen Finanzbeziehungen nicht verstanden haben oder verstehen wollten.Es ist der kaum verhohlene DM-Retro-Gestus, es sind die nationalistischen Untertöne, die- ses inszenierte Spiel mit Ressentiments, jene Westerwelle-Attitüde, des „man wird doch mal drüber reden dürfen“, um dann Selbstverständlichkeiten als Weisheiten zu preisen, die be- sonders unerträglich sind.Denkverbote – wer wollte sie Herrn Rösler verwehren? Ich wäre froh, er würde einmal nachdenken bevor er losschwadroniert.Die Wahrheit ist bitter: Auch eine Pleite Griechenlands würde Deutschland teuer zu stehen kommen. Die Bundesbank haftet für die Hilfskredite, dazu kommen die Verluste der EZB, die ausgeglichen werden müssten. Die SteuerzahlerInnen - wir – sind in beiden Fällen dran.Es gibt in dieser Situation keine einfachen Rezepte. Es gibt keine sicheren Lösungen, nur Risiken. Aber weil das so ist, müssen wir uns für einen Weg entscheiden. Und dieser Weg muss nach Europa führen, nicht aus Europa heraus.Gerade wir in Deutschland sollten das offen und laut formulieren – oder hätten es tun sollen – denn wie kaum ein anderes Land haben wir von europäischer Solidarität in der Vergan- genheit profitiert und tun es noch, nicht zuletzt, weil der Euro-Markt uns nützt und unser Außenhandelsbilanzüberschuss in einem direkten Verhältnis zum Defizit anderer Länder steht.Höchste Zeit, dass wir diese Debatte führen. Sie ist relevant für Schleswig-Holstein und in Wahrheit ist sie die Relevanteste, die wir führen können. Denn gelingt es nicht, die Schul- denkrise zu lösen, können wir alle Bemühungen zur Haushaltskonsolidierung, für Wachstum und Wirtschaftsaufschwung vergessen. Die HSH Nordbank hält Staatsanleihen, eine Milli- arde allein von vier Krisenstaaten. Wir müssen uns positionieren.Meine Damen und Herren, das Bundesverfassungsgericht hat eindeutig und zu Recht die Beteiligung der demokratischen Institutionen eingefordert. Ich sage Institutionen, weil auch die Bundesländer dazu gehören. Aber ich will klar feststellen, dass Beteiligung in diesem Fall keine Beschlussfassung durch den Bundesrat meint.Was man als LandespolitikerIn fordern kann und muss, ist die verbindliche und kontinuierli- che Einbindung in die Pläne und den Informationsfluss der Bundesregierung, ein Informati- onsrecht. Ein Beschlussrecht gibt das Urteil nicht her, auch wenn es PolitikerInnen fordern, auch Grüne, auch SPD. Ich tue das nicht. Aber das heißt nicht, dass man sich in die Debat- 2 te nicht einmischen soll.Das Zocken und Wetten auf Zahlungsausfälle, das schon die Bankenkrise nach Lehman ausgelöst hat, erstreckt sich jetzt auf Staaten. Staaten aber sind organisierte Gesellschaf- ten. Was wir Finanzkrise nennen, ist in Wahrheit ein Krieg um das Primat von Politik. Es ist ein Krieg der Gesellschaften und Demokratien gegen den Angriff jenseits von demokrati- scher Kontrolle und gesellschaftlicher Ethik operierender Akteure.Und wir, die Gesellschaft, dürfen diesen Kampf nicht verlieren. Wir befinden uns in der De- fensive, weil Europa blockiert ist. „Wir haben keine Wahl, wenn wir Europa nicht auseinan- der brechen lassen wollen“. Europa braucht ein „beherztes Zupacken und ein Paket vor- ausschauender, klug gewogener und unideologischer Maßnahmen, mit dem wir Europa wieder auf einen guten Weg bringen und für die Zukunft absichern.“ - Das waren Zitate von Helmut Kohl – den ich politisch nie leiden konnten, aber den ich jetzt, angesichts der Rös- lers und Lindners und Gauweilers und Ramsauers gerade neu schätzen lerne.Das Problem ist nicht, OB wir europäische Solidarität wollen, sondern WIE wir sie organisie- ren. Dass durch die Eurobonds die Zinsen in Deutschland steigen würden, ist möglich, aber nicht zwingend. Wenn es auch nur halb stimmt, dass Wirtschaft Psychologie ist, und wenn es ganz stimmt, dass Finanzpolitik ein dynamisches System ist, dann sind statische Vorher- sagen über die Zinsentwicklung schlicht nicht möglich.Aus der Sicht der Landespolitik ist es einfacher, abzuschichten und den Kompass zu ei- chen: So unsicher die Zinsentwicklung, so sicher die katastrophalen Folgen bei einem Zer- brechen des Euros. Nationale Staatsanleihen und die Notoperationen der EZB müssen in einen klaren, gemeinsamen europäischen Rahmen der Finanz- und Wirtschaftspolitik über- führt werden, einschließlich gemeinsamer Anleihen und eines Schuldenschnitts – in dieser Reihenfolge: Gemeinsame Politik, gemeinsame Anleihen, Umschuldung.Europäische Solidarität bedeutet, Griechenland unter Druck zu halten und gleichzeitig zu unterstützen und seine Wirtschaft zu stimulieren. Wie wir von unserem eigenen Landes- haushalt wissen – es ist unmöglich ohne Wachstum die Schulden abzubauen. Deshalb ist Ihre Resolution, CDU und FDP, nicht falsch, aber nicht hinreichend. Wir reden über Europa, über Landesaußenpolitik - sie nur von sich selbst.Das Wissen um den schleswig-holsteinischen Konsolidierungskurs ist übertragbar: Grie- chenland muss sparen, es muss seine Steuern erhöhen und es braucht weiter eine europä- ische Kreditlinie, um Investitionen vornehmen zu können.Meine Damen und meine Herren, wenn es keine risikofreien Wege gibt, dann müssen wir uns entlang eines politischen Kompasses entscheiden. Und unser Weg muss nach Europa führen, nicht aus Europa heraus. *** 3