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Lars Harms: So lange die Bedrohung bleibt, so lange brauchen wir als Demokratie auch einen Verfassungsschutz
Presseinformation Kiel, den 23. August 2013Es gilt das gesprochene WortLars HarmsTOP 40 Verfassungsschutzbericht Drs. 18/770Der beste Verfassungsschutz ist eine lebendige und engagierte, bürgerschaftlicheGesellschaft. Darunter verstehe ich Menschen, die sich bereit erklären, diedemokratische Grundordnung zu leben und sich für sie einzusetzen. Die Menschen ausGlinde, die sich mit dem Tonsberg-Laden nicht abfinden wollen, gehören dazu, ebensowie Bündnisse in Mölln oder Lübeck, die sich gegen Rassismus undrechtsextremistische Kräfte gebildet haben. Ihnen gehört unsere volle Unterstützung,denn durch dieses Engagement haben es Rechtsextreme schwer, Fuß zu fassen. DieZahl der Straftaten der Nazis geht seit mehreren Jahren zurück. Die Gewalttatenbewegen sich auf niedrigem Niveau: 23 in 2012 gegenüber 27 in 2011.Ich möchte in diesem Zusammenhang ausdrücklich dem Landtagspräsidenten für seineBesuche und die Solidarität gegenüber den Demonstranten in Glinde danken.Die Extremisten reagieren auf diesen bürgerschaftlichen Druck und haben ihrAuftreten und ihr Gebaren in den letzten Jahren stark verändert. Während die 2Skinheads noch vor zwanzig Jahren allein an Kleidung und Glatze zu erkennen waren,bedienen sich heute geschulte Nazis des Internets oder kopieren das Outfit dessogenannten Schwarzen Blocks mit Jeans und Kapuzenpullover. Experten desVerfassungsschutzes, die diese Veränderungen beobachten, und mit Multiplikatorenkommunizieren, sind also mehr denn je von Nöten. Diesen Dialog erwarte ich vomVerfassungsschutz. Der Bericht ist dafür eine geeignete Grundlage.Besonders gelungen ist, dass im Bericht eine klare Sprache verwandt wird. Es wird abernicht nur gut lesbar beschrieben und analysiert, sondern es werden auch Fragengestellt. Sicherlich ist das eine Nachwirkung der Sicherungslücken im Zusammenhangmit den Morden des NSU-Trios. Man war sich in den Verfassungsschutzbehördenseinerzeit zu sicher, die rechte Szene genau zu kennen. Bundesweit hatten die Ämterzu sehr darauf vertraut, dass die rechtsextreme Szene gar nicht das Knowhow hätte,kleine Zellen im Untergrund über Jahre zu finanzieren und vor den Behörden zuverbergen. Das haben wir lernen müssen.Darum ist es gut, offen zu sagen, wenn man etwas nicht so genau weiß. DerVerfassungsschutz zeigt das beim Thema Rekrutierung der Nazis. In diesen Bereichwird es in den nächsten Jahren weiterhin genauer Beobachtung bedürfen.Beunruhigend sind Versuche der Rechtsextremen, in soziale Netzwerke einzudringenoder Demonstrationen für ihre Zwecke zu instrumentalisieren. Das haben wirbeispielsweise in Leck erlebt. Die Nazis vermeiden bei solchen Aktionen jeden Anschein,dass es sich bei ihnen um Rechtsextreme handelt: also eben keine NS-Insignien oder -Parolen. Man muss ganz genau hinschauen, bevor man die extremistische Absichterkennt.Der Verfassungsschutzbericht zeigt aber auch Unterschiede. Aktionistische Kräfte inder rechten Szene organisieren sich über das Internet; feste, mitgliedsbasierte 3Strukturen werden bei den Nazis allmählich zur Ausnahme. Hier deutet sich einGenerationenwechsel an; auch in der Beziehung zur NPD. Die Linksextremistengruppieren sich dagegen schon seit längerem um eine Veranstaltung oder ein Ereignisherum. Beide Methoden sind bekanntermaßen nur schlecht zu beobachten,geschweige denn, vorherzusagen. Der Verfassungsschutz Schleswig-Holstein ist indiesem Zusammenhang auf die Zusammenarbeit mit anderen Bundesländernangewiesen – der Bericht selbst nimmt ausdrücklich Bezug auf Nordrhein-Westfalen.Ich gehe davon aus, dass sich die Zusammenarbeit zwischen den Landesbehörden inder letzten Zeit weiter verbessert hat. Der Austausch von Informationen sollteinzwischen zur täglichen Routine gehören.Der Verfassungsschutz berichtet auch über linksextremistische Gewalt, die inSchleswig-Holstein eine fast zu vernachlässigende Größe zu sein scheint; allerdingsliegt die Zahl der Gewalttaten mit 34 im Jahre 2012 höher als bei den Nazis. ImZusammenhang mit dem Linksextremismus möchte ich anregen, die Erwähnung der„Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes“ zu überdenken. Erstens taucht dieseOrganisation außer im hiesigen nur noch im bayerischen Verfassungsschutzbericht aufund zweitens sind keine Fakten erkennbar, die eine Erwähnung überhauptrechtfertigen.Islamistisch-terroristische Strukturen gibt es bei uns laut Bericht keine, was abernatürlich ideologisch verwirrte einzelne Islamisten nicht ausschließt. Deshalb sinddiese Beobachtungen auch kein Grund für eine Entwarnung, solange es einen hartenKern weniger Einzelpersonen gibt, der als Kristallisationspunkt auch nachFahndungserfolgen und Zerschlagen von Organisationen die Neu- oderUmstrukturierungen garantiert. Diese Extremisten sind davon überzeugt, dass siegegenüber ihren jeweiligem Feindbild, also, den „Bürgerlichen“, den „Faschos“ bzw. 4den „Ungläubigen“ moralisch überlegen sind. Das ist die Motivation, immer wiederneu anzusetzen, um die eigene Ideologie zum Erfolg zu verhelfen. In dieser Beziehunghaben alle extremistischen Strömungen durchaus Gemeinsamkeiten. Man bekommtdas Untier Extremismus also nicht ohne Weiteres aus der Welt. So lange es überzeugteEinzelpersonen gibt, bleibt die Bedrohung bestehen. Und solange die Bedrohung bleibt,solange brauchen wir als Demokratie auch einen Verfassungsschutz.