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Lars Harms: Wir können Flüchtlingen eine Perspektive bieten
Presseinformation Kiel, den 25. 09. 2013Es gilt das gesprochene WortLars HarmsTOP 31, 34, 45 Unterbringung und Ausbildung von Flüchtlingen sowie Entwicklung des Asylrechts Drs. 18/1142, 18/669, 18/598, 18/656„Alles, was Menschen befähigt, einen Beitrag für die Gesellschaft zu leisten, sollte unterstütztwerden. Nicht nur, weil der Staat entlastet wird, sondern auch, weil wir damit den Flüchtlingeneine Perspektive bieten können.“Die Vielzahl der zu behandelnden Anträge zum Thema Integration von Flüchtlingen verleitet zurAnnahme, dass im Landtag über Flüchtlinge gestritten wird. Das Gegenteil ist der Fall. AlleFraktionen bemühen sich um tragbare, pragmatische und nachhaltige Lösungen im Sinne einergerechten und humanitären Flüchtlingshilfe. Das kommt nicht von ungefähr, denn Schleswig-Holstein wurde nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs für Hunderttausende von Menschen eineneue Heimat. Diese Integrationsleistung war enorm; nicht immer reibungslos, aber aus heutigerSicht eine Erfolgsgeschichte. Viele Schleswig-Holsteinerinnen und Schleswig-Holsteiner haben inihrer Familie Menschen mit Flüchtlingserfahrungen.Diese Erfahrungen gleichen sich durchaus: der Zugang zu ausreichendem Wohnraum und zumArbeitsmarkt waren schon Ende der 40er Jahre der größte Wunsch der Neu-Schleswig-Holsteiner 2und zugleich das größte Problem. Das ist heute nicht anders. Und darum ist es gut, sichgrundsätzlich mit dem Problem auseinanderzusetzen. Tatsache ist, dass in SachenUnterbringungsmöglichkeiten derzeit jeder macht, was er kann. Zwar sind dezentrale Lösungendas Nonplusultra, aber die Bereitstellung einer ausreichenden Zahl familienfreundlicherWohnungen oder möblierter Apartments ist eine Herkulesaufgabe. Vor allem, weil es keineplanbaren Zahlen gibt. Es liegt ja in der Natur der Sache, dass man jetzt nicht weiß, wie vieleMenschen im nächsten oder übernächsten Jahr vor einem Krieg nach Schleswig-Holsteinflüchten werden. Trotzdem verbieten sich Übergangslösungen, weil diese in der Regel denBedürfnissen der Flüchtlinge nicht entsprechen. Darum ist es gut, sich zusammenzusetzen undErfahrungen auszutauschen.Bei vielen Kommunen fehlen in der Verwaltung die personellen Voraussetzungen für Beratungund Planung, von geeignetem Wohnraum ganz zu schweigen. Kein Wunder, dass sich vieleKommunen in Stich gelassen fühlen. Wir brauchen darum in naher Zukunft ein Konzept, dasüber die aktuelle Krise hinaus Bestand hat. Gemeinsam müssen wir uns überlegen, wie wirausreichende und tragfähige Beratungsstrukturen in den Kommunen errichten können. Ichdenke, dass wir uns alle einig sind, dass man nicht im Handumdrehen Arabisch lernen kann. Aberes müssen ja nicht immer amtliche Übersetzer sein. Innenminister Breitner hat für die syrischenBürgerkriegsflüchtlinge per Erlass eine Zusammenführung von Familien ermöglicht. Das war dasrichtige Signal. Syrer, die bereits Verwandtschaft in Schleswig-Holstein haben, erhalten eineAufenthaltserlaubnis für zwei Jahre. Aber auch hier ist der Staat gefragt, um denNeuankömmlingen möglichst schnell die Integration zu ermöglichen.Das gilt besonders für die Bereiche Arbeit und Ausbildung. Schon für einen deutschenMuttersprachler sind Formulare und Behördenwege nicht ganz ohne Schwierigkeiten. Beiintensiver Begleitung kann man allerdings auch mit anfangs rudimentären Sprachkenntnisseneinen Schulabschluss schaffen. Ähnliches gilt auch am Ausbildungsplatz. Viele Betriebe würdenmehr Flüchtlingen eine Chance geben, wenn sie sich darauf verlassen könnten, dass sieunterstützt werden, sei es durch Hausaufgabenhilfe in der Berufsschule oder Sprachunterricht.Derzeit fühlen sich die Ausbilder allein gelassen. In Zeiten des Fachkräftemangels erwartet die 3Wirtschaft von der Politik tragfähige Lösungen und dazu gehört eben auch die Integration vonFlüchtlingen in den Arbeitsmarkt. Viele junge Flüchtlinge brennen darauf, Deutsch zu lernen undihre Fähigkeiten in Schule oder Ausbildung unter Beweis stellen zu können; eben zu zeigen, dasssie mehr sind als Flüchtlinge. Bloß, weil jemand kein Deutsch spricht, heißt es ja nicht, dass eroder sie nicht über weitreichende berufliche Erfahrungen verfügt. Diese Schätze müssen wirheben.Das ist gleichbedeutend mit einer Kehrtwende in der Asylpolitik. Abschotten, abschieben,bestrafen und sanktionieren sind Ausdruck einer Politik, die Flüchtlinge als Eindringlinge undpotentielle Betrüger versteht. Dieses Deutungsmuster, wenn es denn jemals Bestand hatte, istdefinitiv falsch. Es liegt an uns, ein neues Muster dauerhaft zu etablieren. Erste Versuche, die vorallem um das Wort „Willkommenskultur“ kreisen, sind gemacht. Doch es müssen auch Tatenfolgen. Darum fordern wir, dass der Vorrang von Sachleistungen gegenüber Geldleistungenabgeschafft wird. Der SSW hat für die Abschaffung der Residenzpflicht gekämpft und wir habenmit dafür gesorgt, dass die unsinnigen Gebühren bei Fahrten über die kommunale Grenzeabgeschafft wurden. Es ist allerdings nicht einzusehen, warum die Residenzpflicht immer nochan die Landesgrenzen gebunden ist. Ich kann als Schleswig-Holsteiner ohne entsprechendesSchild manchmal gar nicht sehen, wo Schleswig-Holstein endet und Hamburg beginnt; für vieleFlüchtlinge ist diese unsichtbare Linie aber eine fast unüberwindbare Grenze. Diesebürokratische Regelung muss weg – und zwar so schnell wie möglich.Alles, was Menschen befähigt, einen Beitrag für die Gesellschaft zu leisten, sollte unterstütztwerden. Nicht nur, weil der Staat entlastet wird, sondern auch, weil wir damit den Flüchtlingeneine Perspektive bieten können.Die dänische Schriftstellerin Janne Teller hat ein Gedankenexperiment angestellt: In ihrem Essay"Krieg. Stell dir vor, er wäre hier" dreht sie den Spieß um. Was würde uns erwarten, wenn wir ausDeutschland fliehen müssten? Wenn man einmal nachdenkt, möchte wohl niemand sobehandelt werden, wie das derzeit mit vielen Flüchtlingen hier bei uns geschieht. Wir möchtenmit unseren beruflichen Erfahrungen anerkannt werden und eine faire Chance auf Integrationerhalten. Das sollten wir den Flüchtlingen bei uns dann auch ermöglichen. 4Die meisten Menschen, die zu uns kommen, werden bleiben und in unsere Gesellschaft hineinwachsen. Wie schnell sie das können, liegt an uns.