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20.11.13 , 15:55 Uhr
B 90/Grüne

Burkhard Peters zur geschichtswissenschaftlichen Aufarbeitung der Kontinuität nach 1945

Presseinformation

Landtagsfraktion Schleswig-Holstein Es gilt das gesprochene Wort! Pressesprecherin Claudia Jacob TOP 18 – Geschichtswissenschaftliche Aufarbeitung der Landeshaus Düsternbrooker Weg 70 Kontinuität nach 1945 24105 Kiel
Telefon: 0431 / 988 - 1503 Dazu sagt der innenpolitische Sprecher Fax: 0431 / 988 - 1501 der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, Mobil: 0172 / 541 83 53 presse@gruene.ltsh.de Burkhard Peters: www.sh.gruene-fraktion.de
Nr. 427.13 / 20.11.2013

Das Geld für den Forschungsantrag ist gut angelegt
Bei der Lektüre des Antrags mögen sich manche gefragt haben: Was ist ein For- schungsdesiderat? Man versteht in der Wissenschaft darunter ein Thema, von dem gewünscht wird, dass sich die Forschung endlich seiner annimmt. Es handelt sich also um eine Art dunklen Fleck, der dringend durchleuchtet werden sollte.
Dass wir uns hier und heute mit dem blinden Fleck „Nazikontinuität in Schleswig- Holstein nach 1945“ befassen, geht allerdings weit über das Interesse eines histori- schen Hochschulseminars / einer historischen Erforschung hinaus. Unser gemeinsa- mes Erkenntnisinteresse an der aufgeworfenen Frage ist politisch begründet. Denn es liegen deutliche Anhaltspunkte dafür vor, dass auch Landtag und Verwaltung in Schleswig-Holstein in der frühen Nachkriegsgeschichte in besonderer Weise Schlupf- winkel für Nationalsozialisten gewesen sind.
Es freut mich, dass wir alle davon überzeugt sind, dass es sich keineswegs um eine akademische Frage handelt. Es ist zu vermuten, dass der vom ehemaligen Innenminis- ter Paul Pagel bereits 1950 beklagte Tatbestand der „Renazifizierung“ von Politik und Verwaltung in Schleswig-Holstein nicht nur massive Folgen für das Ansehen des Lan- des hatte. Auch für die Kultur und das Klima der politischen Auseinandersetzungen zwischen Regierung und Opposition bis in die jüngste Vergangenheit soll die Renazifi- zierung gravierende Folgen gehabt haben.
Noch kürzlich konnte man in Presseberichten über den Kieler „Steuerdeal“ lesen, die oft giftigen Formen der Auseinandersetzungen um tagespolitische Fragen in Schleswig- Holstein hätten bis heute auch damit zu tun, dass die Sozialdemokratie und der SSW in den 1950er und 1960er Jahren zähneknirschend mit ansehen mussten, wie die konser- vative Mehrheit ab der Landtagswahl 1950 das Land zu einem „Hort der braunen Reak- tion“ (Zitat: DIE ZEIT vom 26.01.1990) gemacht habe.
Seite 1 von 3 Und in der Tat: die ab 1950 unter dem Ministerpräsidenten Bartram gebildete Regie- rung, die sich auf eine Koalition von CDU, FDP, DP und dem „Block der Heimatvertrie- benen und Entrechteten“ (BHE) stützte, brachte bereits im ersten Regierungsjahr ein „Gesetz zur Beendigung der Entnazifizierung“ ein, welches die von den Alliierten vorge- schriebene Entnazifizierung in Schleswig-Holstein tatsächlich stoppte. Ein in der Bun- desrepublik in dieser Radikalität einmaliger Vorgang.
Der SPD-Abgeordnete Käber merkte in der Landtagsdebatte bissig an, das Gesetz sei unvollständig. Es müsste einen Paragraphen enthalten, dessen erster Absatz heißen solle: „Schleswig-Holstein stellt fest, dass es in Deutschland nie einen Nationalsozia- lismus gegeben hat“ und in Absatz 2 solle stehen: „Die von 1933 bis 1945 begangenen Untaten gegen Leben und Freiheit von Millionen Menschen sind eine böswillige Erfin- dung.“
Folge dieses Gesetzes war, dass tatsächlich ab 1951 in der schleswig-holsteinischen Verwaltung und Rechtspflege/Justiz hochbelastete ehemalige Nationalsozialisten Un- terschlupf finden konnten, die in anderen Bundesländern keine Chance auf Einstellung in den öffentlichen Dienst gehabt hätten. Dies geht aus der Antwort der Landesregie- rung vom 06.12.1989 auf eine Große Anfrage der SPD-Fraktion zum Rechtsextremis- mus in Schleswig-Holstein hervor (Drucksache: 12/608). Dieses im Landtagsinformati- onssystem gespeicherte Dokument ist übrigens ein sehr guter Einstieg in die Thematik. Man kann ihm u.a. entnehmen, dass 1950 ausgerechnet ein ehemaliges NSDAP- Mitglied zum „Sonderbeauftragten für die Entnazifizierung“ bestimmt wurde.
Schon diese Hinweise zeigen, dass sich in der frühen Nachkriegsgeschichte in Schles- wig-Holstein offenbar eine politische Katastrophe abgespielt hat, die bis heute nicht aufgearbeitet worden ist und die uns wie ein Splitter in der Haut steckt. Es drängt sich die Frage auf, warum nicht schon viel früher das jetzt eingeleitete Projekt auf den Weg gebracht wurde. Gab es ein Kartell der Verdrängung? Wollte man den Ruf verdienstvol- ler und angesehener Politiker und Beamter schonen? Es ist höchste Zeit, dass wir jetzt den Weg für eine wissenschaftliche Aufarbeitung dieses Komplexes ebnen.
Dabei taucht aber ein Problem auf: Wenn sich die Politik der Geschichte annimmt, be- steht das Risiko ihrer Instrumentalisierung. In der Beilage zur Wochenzeitung „Das Par- lament“ vom 14.10.2013 schreibt der Historiker Professor Sabrow unter dem Titel „Ge- schichte als Instrument“: „Mit dem Lobpreis der Muse Klio verbindet sich seit jeher die Klage über ihren Missbrauch“.
Was wir heute auf den Weg bringen, ist politisch motivierte Auftragsforschung. Die ist dann gerechtfertigt, wenn der Auftrag nicht mit vorher definierten Erwartungen an das Ergebnis verbunden wird. Es soll nicht um das Aufmachen alter Rechnungen gehen.
Zur Offenheit des Projektes gehört z.B. die Erforschung der Frage, ob es Alternativen für die damals politisch Verantwortlichen gegeben hat. Staat und Verwaltung mussten ja reorganisiert werden. Ein Großteil der für diesen Job Ausgebildeten war im Krieg ge- fallen oder befand sich in Kriegsgefangenschaft. Wer sollte es machen?
Oder mussten im Zuge der Einstellung von Nazis unbelastete Stelleninhaber gehen? Spannend ist auch die Frage, ob es bei eingestellten Nazis in der praktischen Tätigkeit im demokratischen Staat nachhaltige Läuterungsprozesse gegeben hat und wie diese sich äußerten.
Nicht zuletzt bedarf die These, die Beendigung der Entnazifizierung in Schleswig-
2 Holstein habe das politische Klima zwischen Regierung und Opposition für viele Jahre vergiftet, einer kritischen Prüfung.
Der Antrag gibt ausreichend Raum für eine kritische, wissenschaftliche Forschung die- ser Fragen. Es geht nicht nur um die Darstellung von ein paar besonders markanten Biografien - sozusagen ein „Who Is Who“ der Altnazis in Landesdiensten - sondern um umfassenden Erkenntnisgewinn. Dies unterscheidet das Projekt auch von ähnlichen Vorhaben in anderen Landesparlamenten.
Das Beste an dem Antrag ist aber, dass er von allen Fraktionen dieses Hauses ge- meinsam eingebracht wird. Dafür gilt mein besonderer Dank an alle Kolleginnen und Kollegen. Schon diese Tatsache leistet einen wirklichen Beitrag zur Förderung der poli- tischen Kultur in Schleswig-Holstein. Ich bin überzeugt, das Geld für den Forschungs- auftrag ist gut angelegt. Ich freue mich auf das Ergebnis und die Diskussionen, welche die Forschungsarbeit auslösen wird.
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