Diese Webseite verwendet ausschließlich für die Funktionen der Website zwingend erforderliche Cookies.
Flemming Meyer : Arbeitnehmerfreizügigkeit
Presseinformation Kiel, den 23.01.2013Es gilt das gesprochene WortFlemming Meyer TOP 25 u. 30 Arbeitnehmerfreizügigkeit Drs. 18/1470 und 1476Arbeitnehmerfreizügigkeit ist eigentlich ein alter Hut. Inzwischen gibt es kaum noch großeBetriebe in Schleswig-Holstein, die nicht von der Freizügigkeit der Arbeitnehmer undArbeitnehmerinnen profitieren. Es spielt für den Arbeitgeber inzwischen keine Rolle mehr, auswelchem EU-Land der Bewerber oder die Bewerberin kommt – wichtig ist nur, dass er oder siemit den Vorkenntnissen und dem Knowhow in den Betrieb passt. Laut Statistikamt Nordkommen von den knapp 860.000 Beschäftigten am Stichtag 31.12.21012 in Schleswig-Holsteinallerdings nur 14.465 aus dem EU-Ausland; das sind 1,7% aller Beschäftigten. EineRanderscheinung. Schleswig-Holstein ist also nicht gerade das El Dorado für Beschäftigten, dieaus dem Ausland kommen und in Deutschland arbeiten wollen. Wir führen also eineStellvertreter-Debatte.Die Freizügigkeit für Arbeitnehmer ist historisch gewachsen. Ich möchte daran erinnern, dass vorallem die Gewerkschaften diese Grundfreiheit anmahnten, nachdem sich die alte EWG jahrelangnur für den freien Waren- und Kapitalverkehr stark gemacht hat. Die Arbeitnehmerinnen undArbeitnehmer sollten sich die besten Arbeitsbedingungen aussuchen können und zwar 2ausdrücklich mit einem minimalen bürokratischen Aufwand. Damit sollte eine Art Waffen-Gleichheit zum freien Kapitalfluss erreicht werden.Deutschland hat sich allerdings schwer getan mit der Freizügigkeit, als diese im Zuge derOsterweiterung für alle Mitgliedsländer gelten sollte. Deutschland wollte sich nämlich weiterhinabschotten, unter anderen, weil ja nicht einmal die Integrationsprobleme derjenigenBeschäftigten gelöst worden war, die schon in Deutschland arbeiten und vor allem aus der Türkeigekommen waren. Die öffentliche Diskussion unter der Regierung Schröder hörte sich damalsfast genauso an, wie das, was wir heute hören. Einwanderungspolitik wurde schon vor zehnJahren mit Angstvokabeln diskutiert. Schließlich waren die Befürchtungen so stark aufgebauscht,dass es bis zum 1. Mai 2011 gedauert hat, bis Deutschland als einer der letzten EU-Staaten seinenArbeitsmarkt für osteuropäische Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer geöffnet hat. Da hattenLänder wie Schweden oder Großbritannien schon sieben Jahre Erfahrung mit der Zuwanderung.Deren gute Erfahrungen wurden aber in Deutschland ignoriert.Diese Abschottung hatte Folgen: Ich erinnere mich an die immensen Hürden, die es im Grenzlandzu überwinden galt, wenn ein Flensburger zum Beispiel in Sonderburg arbeiten wollte – undumgekehrt. Auch wenn heute immer noch zu viele Formalitäten zu bewältigen sind, gilt dieFreizügigkeit aber inzwischen als Erfolgsmodell. Als die Wirtschaft lahmte, konnten deutscheArbeitnehmer in dänische Betriebe wechseln, entgingen so der Arbeitslosigkeit und bliebenlangfristig der Region erhalten. Der gemeinsame deutsch-dänische Arbeitsmarkt war jahrelangein regelrechter Jobmotor für die gesamte Region im Norden.Die europäische Statistik wies noch bis zum Jahre 2009 aus, dass mehr Deutsche sich einen Jobim Ausland suchten als Ausländer in Deutschland. Freizügigkeit ist also keine Einbahnstraße, wieeinige Populisten uns weismachen wollen. Die sollten sich mal umhören in der FlensburgerAgentur für Arbeit, wie intensiv die Vermittlung über die Grenze hinweg inzwischen gewordenist. Das ist dort Alltag, von dem auch die Betriebe auf beiden Seiten der Grenze enormprofitieren, denen durch die Freizügigkeit ein größerer, internationaler Bewerbermarkt zurVerfügung steht! 3Über die Vorteile der Freizügigkeit besteht, auch mit der antragstellenden FDP-Fraktion – daskann man ja dem Antragstext zweifelsfrei entnehmen - absolute Einigkeit. Allerdings hört dieGemeinsamkeit beim Wort Armutszuwanderung auf – auch, wenn das Wort im Antragrelativierend in Anführungszeichen gesetzt wurde. Nicht von ungefähr hat es das ihm verwandteWort Sozialtourismus geschafft, Platz Eins unter den Unwörter des Jahres einzunehmen. DieSprachwissenschaftlerin Nina Janich begründete das folgendermaßen: "Dies diskriminiertMenschen, die aus purer Not in Deutschland eine bessere Zukunft suchen, und verschleiert ihrprinzipielles Recht hierzu." Dem gibt es eigentlich nichts mehr hinzuzufügen.Arbeitnehmerfreizügkeit ist ein Grundrecht innerhalb Europas. An diesem Grundrecht wird derSSW niemals rütteln! Das ist kein Denkverbot. Im Gegenteil, wir müssen diese Debatte führen,aber nicht mehr länger als Angst-Debatte, sondern als das gemeinsame Ringen um Fairness.Schon 2004 warnte der deutsche Gewerkschaftsbund vor Dumping-Löhnen, die durch diemassenhafte Beschäftigung polnischer Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zur Normalitätwerden könnten. Konkurrenz belebt eben nicht nur das Geschäft, sondern Mehrangebot machtauch die Preise kaputt. Darum brauchen wir einen existenzsichernden Mindestlohn für alle.Darin liegt die Chance, die in der Arbeitnehmerfreizügigkeit liegt. Letztlich führt die Öffnung desArbeitsmarktes dazu, dass endlich Wildwuchs und Ausbeutung beendet werden, weil sich derHorizont durch die Zuwanderung öffnet. Gut so, dass wir nicht mehr länger nur im eigenen Saftschmoren.