Diese Webseite verwendet ausschließlich für die Funktionen der Website zwingend erforderliche Cookies.
Lars Harms zu TOP 31 - 25 Jahre friedliche Revolution
Presseinformation Kiel, den 14. November 2014Es gilt das gesprochene WortLars HarmsTOP 31 25 Jahre friedliche Revolution Drs. 18/2416„Das was hinter dem Mauerfall steht, ist eine anspruchsvolle Aufgabe; aber nichtsdestotrotz, eine lohnende.“Eines haben die Feierlichkeiten anlässlich des Jahrestags zum Mauerfall gezeigt:Gedenken gehört keinem! Es gibt keine Opferhierarchie und keine Deutungshoheit.Vielmehr ist es gut, dass wir gemeinsam, im Westen und im Osten, um die Auslegungder Ereignisse ringen und persönliche Erinnerungen austauschen. Auf diese Weisehalten wir die Auseinandersetzung mit dem friedlichen Sturz des DDR-Unrechts-Regimes lebendig. Um Menschen auch in Zukunft zu dieser Auseinandersetzung zumotivieren, sollten wir möglichst jede Form schwülstiger Freiheitsrhetorik vermeiden.Die mag zwar manchem, vor allem denen, die freundschaftliche oderverwandtschaftliche Beziehungen über die Mauer hinweg hatten, angemessenerscheinen, doch steht sie einer neugierigen Annäherung gerade von Schülerinnen und 2Schülern definitiv im Weg. Es bestehen bereits heutzutage große Bildungslücken inSachen DDR und deutscher Teilung; und zwar im Osten wie im Westen, so dass sich dieBundeszentrale für Politische Bildung gezwungen sah, einen Wettbewerb auszuloben,um diese Lücken zu füllen. Der Wettbewerb heißt: "25 Jahre Mauerfall: Geschichteerinnern – Gegenwart gestalten". Genau darum geht es bei jedem Gedenken: um dieGegenwart.So war der arabische Frühling auch so eine Art Mauerfall, als nämlich plötzlich undumfassend alte, verknöcherte Eliten durch Demonstrationen von ihren Bürgerinnenund Bürgern verjagt wurden. Doch im Gegensatz zu Deutschland, wo in den letzten 25Jahren vormals Getrenntes langsam zusammenwächst, geht die Entwicklung in weitenTeilen Nordafrikas in eine völlig andere Richtung: nämlich in einen andauerndenBürgerkrieg.Doch so weit weg muss gar nicht gehen, um die Aktualität einerAuseinandersetzung mit dem Mauerfall zu erkennen. Wir können das auch auf dieaktuelle Situation in Deutschland anwenden. Hier erstarken politische Kräfte, dieausdrücklich eine Trennung vorantreiben wollen. Ich meine damit nicht irgendwelcheSpinner, sondern eine steigende Anzahl Euro-Kritiker, die die europäische Solidaritätrundweg ablehnen. Sie sehen das Heil in einem starken, unabhängigen Deutschland,das mit den angeblichen Hungerleiderstaaten Portugal oder Griechenland nichts mehrzu schaffen haben sollte. Sie wollen die europäische Einheit im Sinne eines erstarkten,angeblich souveränen Deutschlands aufkündigen. Diese Form der staatlichenSeparierung ist fatal und gerade mit Hinweis auf den Mauerfall als historisch falscheinzuordnen. Wir brauchen keine neue Mauer – das hat uns die friedliche Revolutiongezeigt. Der Mauerfall sollte vor diesem Hintergrund eben gerade nicht alshistorisches Ereignis in Museen verstauben, als Seite im Geschichtsbuch enden oder 3zum Requisit nostalgischer Touristentouren verkommen. Stattdessen sollte sie so oft,wie es überhaupt möglich ist, mit aktuellen Geschehnissen in Zusammenhanggebracht werden. Der Mauerfall zeigt, dass es sich lohnt, für die Freiheit zu kämpfen,um sie durchzusetzen. Die Freiheit ist nicht selbstverständlich, wie es derwestdeutschen Nachkriegsgeneration oftmals vorkommt. Sie kennt ja nichts anderesals in Freiheit zu leben. Darum ist auch die Nachlässigkeit, was den Umgang und dieAufrechterhaltung der Freiheit angeht, so ärgerlich. Wie schnell man in Deutschlandmit Meinungsverboten bei der Hand ist, bekommt man am besten mit, wenn manpolitischen Foren im Internet verfolgt. Dort wird oftmals nach einer einzigenmissliebigen oder kritischen Äußerung eine regelrechte Hetzkampagne entfesselt.Nach dem Motto: wer nicht für uns ist, der ist gegen uns. Radikalen Vereinfachern undselbst ernannten Tugendwächtern erwächst auf eine sehr bedrückende Art und Weisein den Tiefen des Internets eine wirklich unheimlich zu nennende Macht.Meinungsfreiheit gilt in solchen Foren nichts; sie wird oftmals unter dem ApplausVieler preisgegeben.Das gleiche gilt für Politikverdrossenheit, die wie eine Krankheit in unserer Gesellschaftwuchert. Diese Art der Gleichgültigkeit ist der Nährboden für Unfreiheit. Passivität undDesinteresse graben der Demokratie das Wasser ab. Gerade darum sollten wir alsPolitiker die Bürgerinnen und Bürger nicht mit Ritualen des Gedenkens abspeisen,sondern immer wieder neue, angemessene Formen entwickeln. Das Kunstprojekt mitden leuchtenden Luftballons war ebenso beeindruckend wie einmalig und sollte esbleiben.Viele Kommentare in den Zeitungen weisen nach dem Mauerfall-Jubiläumswochenende darauf hin, dass es an der Zeit ist, die Art des Gedenkens zuüberdenken. In nicht einmal drei Jahren wird mehr Zeit nach dem Mauerfall vergangen 4sein, als die Mauer überhaupt Bestand hatte. Das sollte Anlass genug sein, darübernachzudenken, was Mauer und Mauerfall für die Entwicklung unserer Demokratie undunserer Gesellschaft bedeutet.Das was hinter dem Mauerfall steht und was es für uns heute bedeutetherauszuarbeiten ist eine anspruchsvolle Aufgabe; aber nichtsdestotrotz, einelohnende.