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28.04.16 , 11:48 Uhr
B 90/Grüne

Eka von Kalben zur Meinungs- und Pressefreiheit

Presseinformation

Landtagsfraktion Schleswig-Holstein Es gilt das gesprochene Wort! Pressesprecherin Claudia Jacob TOP 20 – Meinungs-, Presse- und Kunstfreiheit Landeshaus sind nicht verhandelbar Düsternbrooker Weg 70 24105 Kiel Dazu sagt die Fraktionsvorsitzende von Zentrale: 0431 / 988 – 1500 Bündnis 90/Die Grünen, Durchwahl: 0431 / 988 - 1503 Mobil: 0172 / 541 83 53 Eka von Kalben: presse@gruene.ltsh.de www.sh.gruene-fraktion.de
Nr. 198.16 / 28.04.2016
Meinungs- und Pressefreiheit haben grundsätzlich Vorrang
Meinungsfreiheit, Pressefreiheit Kunstfreiheit sind Rechtsgüter, die für uns nicht verhandelbar sind. Die Grenzen dessen, was Mensch sagen darf, sind groß. Und das ist gut so. Das kann wohl im Grundsatz als unumstrittene Position aller in dieser Runde vertretenen Parteien gelten.
Man sieht ja gerade an der Situation in der Türkei, wie schlimm es wäre, wenn wir diese Frei- heiten nicht hätten! Wenn jetzt der Autokrat Erdogan, der JournalistInnen einsperren und Frau- endemonstrationen mit Waffengewalt auflösen lässt, einem deutschen Satiriker „schwere Ver- brechen gegen die Menschlichkeit“ vorwirft, und unsere Bundesregierung dann die Ermächti- gung zu strafrechtlichen Ermittlungen gegen diesen Mann erteilt, dann ist das zynischste und treffende Realsatire.
Diese Realsatire spiegelt die derzeitigen, gemischten Gefühle zu dem umstrittenen Türkei-Deal. Jan Böhmermann hat also durchaus einen kulturellen Beitrag geleistet, der nicht mit seinem geschmacklosen Gedicht an sich verwechselt werden darf. Die Satire liegt in dem, was danach passiert ist.
Die eigentliche Frage, abseits von Majestätsbeleidigung und der Diskussion um den guten Ge- schmack, lautet doch: Wie erpressbar hat sich die Bundesregierung durch den Türkei-Deal gemacht?
Durch ein angekündigtes Schmähgedicht in einer Nischensendung wurde eine Staatsaffäre und substantielle Diskussion über Freiheit von Meinung und Presse in Deutschland.
Die geschützte Meinungsäußerung ist zur Beleidigung nicht immer scharf abgrenzbar. Täglich erleben wir gerade im Internet den schmalen Grat zwischen rechtskonservativen Äußerungen – die ich politisch aufs Schärfste ablehne – und menschenfeindlicher Hetze. Erstere ist zwar schwer zu ertragen, sie äußern zu dürfen ist allerdings auch Bestandteil einer funktionierenden Demokratie. Zweitere ist zu Recht ein Straftatbestand. Es ist Hass im Deckmäntelchen der Meinungsfreiheit.
Seite 1 von 2 Wenn der AfD-Mann Höcke sich hinstellt und fordert, dass man Angela Merkel in einer Zwangs- jacke abführen sollte oder von Storch behauptet, unsere Bundeskanzlerin wollte sich nach Südamerika absetzen, dann ist das schlechter Stil und niveaupolitischer Limbo-Dance. Aber mehr auch nicht.
Wir leben nicht nur ein einer wehrhaften Demokratie, sondern auch in einer standhaften Demo- kratie!
Die Freiheit hat grundsätzlich Vorrang. Egal, wie sehr es uns im Einzelfall vielleicht widerstre- ben mag. Eine gesunde Demokratie kann das verkraften. Sie muss auch unangenehme, fal- sche und sogar widerliche Äußerungen zulassen, solange sie sich im Rahmen der geltenden Gesetze bewegen.
Ich sage bewusst „geltenden“, denn unsere Gesetze sind nicht in Stein gemeißelt und müssen sich in gewissem Maße dem Wertekonsens der Gesellschaft anpassen. Dieser Wertekonsens ist naturgemäß stets im Wandel.
Manchmal stellt sich heraus, dass ein Gesetz nicht mehr dem Zeitgeist entspricht, und gele- gentlich braucht es für diese Feststellung erst eine breite gesellschaftliche und politische De- batte. Eine solche hat Jan Böhmermann jetzt auf denkwürdige Weise losgetreten.
Dabei darf zwar nicht ein Einzelfall zur voreiligen Streichung eines Paragraphen führen, doch es darf generelle Überlegungen geben, ob die Aktualität noch gegeben ist.
Entspricht ein Straftatbestand wie „Beleidigung ausländischer Staatsoberhäupter“ und „Verun- glimpfung des Bundespräsidenten“ noch den gesellschaftlichen Wertevorstellungen in unserer heutigen Demokratie? Ist er noch zeitgemäß? Die Frage hat eine juristische und eine politische Dimension.
Juristisch kann man trefflich streiten. Der Grundgedanke hinter dieser Vorschrift ist, dass die Außenpolitik und diplomatischen Beziehungen in besonderer Weise geschützt werden sollen. Dieser Gedanke ist nach wie vor aktuell, und insofern kann man den besonderen Schutz durch einen erhöhten Strafrahmen gegenüber der gewöhnlichen Beleidigung durchaus rechtfertigen.
Aus politischer Sicht halte ich diese Sonderstellung ausländischer Staatsoberhäupter für nicht mehr zeitgemäß. Nicht, weil ich Erdogan unsympathisch finde, sondern weil die Vorschrift aus einer Zeit stammt, in der der Vorrang von Individualrechten gegenüber Kollektivrechten noch nicht den gleichen Stellenwert hatte wie heute.
Der Geist in unserer Gesellschaft hat sich in den letzten 100 Jahren stark gewandelt. Nie zuvor wurde die individuelle Freiheit so betont und gelebt wie heute. Und das ist auch gut so. Es ist gut für eine Demokratie, wenn jeder und jede einzelne von uns zählt, wenn wir nicht nur in ano- nymen Massen, sondern auch in individuellen Schicksalen denken.
Man könnte den Paragraf 103 als Relikt aus obrigkeitsstaatlichen und monarchischen Zeiten bezeichnen. Daher können wir uns guten Gewissens einer Initiative zur Abschaffung dieser Vorschrift anschließen.
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