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08.05.20
12:28 Uhr
SPD

Dr. Kai Dolgner zu TOP 8: FAG-Reform: Die Regierung präsentiert eine intransparente, nicht nachvollziehbare Blackbox

Heimo Zwischenberger Pressesprecher der SPD-Landtagsfraktion
Adresse Düsternbrooker Weg 70, 24105 Kiel Telefon 0431 988 1305 Telefax 0431 988 1308 E-Mail h.zwischenberger@spd.ltsh.de Webseite www.spd-fraktion-sh.de Es gilt das gesprochene Wort!

Hinweis: Diese Rede kann hier als Video abgerufen werden: http://www.landtag.ltsh.de/aktuelles/mediathek

LANDTAGSREDE – 08. Mai 2020

Dr. Kai Dolgner: FAG-Reform: Die Regierung präsentiert eine intransparente, nicht nachvollziehbare Blackbox TOP 8: Entwurf eines Gesetzes zur bedarfsgerechten Weiterentwicklung des kommunalen Finanzausgleichs (Drs. 19/2119)
„Zunächst einmal möchte ich mit ein paar Legenden aufräumen: „Mit dem Urteil vom 27. Januar 2017 wurden Kernstücke des neuen Regelwerks bestätigt. Darüber hinaus stellt das Urteil bei einer ganzen Reihe weiterer angegriffener Bestandteile des FAG klar, dass diese verfassungsgemäß Bestand haben (zum Beispiel …die Nichtberücksichtigung der Kosten der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung, die Berücksichtigung der Bedarfe für Theater und Orchester, die Verwendung fiktiver – nicht differenzierter – Hebesätze, …, der Soziallastenfaktor einschließlich all seiner Bestandteile, die Berechnung der Finanzkraft von Kreisen und kreisfreien Städten).“ Wenn Sie einmal die damaligen Plenardebatten nachlesen, waren das exakt die Punkte, in denen Sie uns Manipulation zu Gunsten z.B. der kreisfreien Städte vorgeworfen haben. Den Text, den ich Ihnen eben vorgelesen haben, stammt im Übrigen aus Ihrer eigenen Gesetzesbegründung insofern bedanke ich mich bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Innenministeriums für diese nüchterne Analyse. Aber natürlich gab es auch Teile, die nicht das Wohlwollen des Verfassungsgerichtes gefunden haben. Neben kleineren Punkten betrat das Verfassungsgericht in zwei Punkten Neuland: Bei der Bestimmung der kommunalen Bedarfe, sei der Bezug auf die bisherigen Ausgaben für nicht ausreichend und zudem müsse das Land auch die Höhe seiner Bedarfe in Bezug dazu setzen. Um diese ambitionierten Anforderungen erfüllen zu können, haben auch Sie ein Gutachten in Auftrag gegeben. Die Gutachter versuchen, die Bedarfe mit Hilfe eines sogenannten 5 Sterne Systems zu ermitteln. Nun beruhen die statistischen Auswertungen bis zur 4 Sterne Ebene allerdings auch wiederum auf den Ausgaben. Die Gutachter haben sich bemüht, die entscheidenden Variablen mit Hilfe von Regressionsanalysen zu ermitteln. Da gibt es aber ein grundsätzliches Problem, auch mittlere bis hohe Bestimmtheitsmaße alleine garantieren nic ht, dass es tatsächlich so ist.
Es ist seit über 100 Jahren ein großer Spaß, statistisch immer wieder die „Theory of the Stork“ zu belegen, indem man eine Korrelation zwischen der Zahl der Babys und der Störche nachweist. Man kann z.B. den Rückgang der Störche mit der Zahl der Babys in Niedersachsen korrelieren. Auch den Test, eine Variable einfach auf Null zu setzen, übersteht die statistische Überprüfung. So gibt es eine Veröffentlichung von 2004, die feststellt, dass es zwar in Berlin kaum Störche, wohl aber Babys gibt. Aber wenn man die Störche Brandenburgs in Storchenflugnähe wohnenden Störche dazu nimmt, dann stellt man fest, dass man statistisch 49% aller Hausgeburten in Berlin mit der Zunahme Brandenburger Störche erklären kann. Die pendeln halt zur Arbeit. Also, liebe Kolleginnen und Kollegen, Milliardenbeträge fehlinvestiert in Kinderbetreuung, die Störche müssen wir fördern! Ohne eine fachwissenschaftliche Realitätsprüfung, ist es sehr schwer bis unmöglich, eine Scheinkorrelation, schon gar nicht bei diesen Streuungen zu erkennen. Gut beim Babymachen braucht man die wohl nicht. Und auch ansonsten präsentiert das Gutachten uns häufig nur die Ergebnisse der Überlegungen: „Der


1 Auswahlprozess zur Identifikation der bedarfserklärenden Variablen vollzog sich endogen im Rahmen des Testens alternativer Regressionsgleichungen. Unter Berücksichtigung der Signifikanz einer Variablen, Korrelationen mit anderen Variablen, Tests der Modellspezifikationen sowie letztlich unter Ausschluss der nicht zuweisungsrelevanten Kontrollvariablen „Buchungsart“, werden letztlich folgende Variablen für die Modellierung des bedarfsgerechten KFA genutzt – oder in meinen Worten zusammengefasst: „Das haben wir schon richtig gemacht – vertraut uns!“ Überprüfen lässt sich das nicht. Sie beschließen hier eine Blackbox, die Quoten auswirft. Aber selbst an diese Quoten halten Sie sich nicht. Das fängt mit der vertikalen Verteilung an. Wenn Sie ihre eigene Bedarfsbestimmung ernst nähmen, müssten Sie die kommunale Masse um 186 Mio. Euro erhöhen. Tun Sie aber nicht, sondern Sie erhöhen scheinbar um 54 Mio. Euro. Das wäre gerade einmal die Hälfte von dem, was Daniel Günther im Duell mit Torsten Albig den Kommunen in Aussicht gestellt hat. Und da fehlen auch noch die fehlenden 30 Mio. Mehrbedarfe für den zugesagten Verzicht bezüglich der Straßenausbaubeiträge. Aber die 54 Mio. sind ja auch noch ein Taschenspielertrick. Sie ziehen diverse Summen, die bisher vor der Klammer standen in die Klammer rein. Der systematische Fehler ist dabei, dass diese Summen auch vor der Klammer zur kommunalen Bedarfsdeckung dienten, sie also in der bisherigen Bedarfs analyse als Deckungsmittel enthalten waren. Davor sich Anpassungseffekte an die Steuereinnahmen positiv reinzurechnen habe ich schon vor Corona gewarnt. Wenn ich wirklich nach frischem Geld suche, dann geben Sie, sehr großzügig gerechnet, maximal 25 Millionen mehr. Davon muss man eigentlich noch die 7,5 Mio. abziehen, die sie für Schwimmbäder vorwegabziehen. Fehlen noch 150 Mio. zum Gutachtenergebnis. Wann soll die eigentlich wie gefüllt werden? Noch absurder ist aber Ihre horizontale Aufteilung. Was haben die Kollegen von FDP und CDU für ein Lärm gemacht aufgrund unserer Neuaufteilung zwischen den kommunalen Ebenen. Ich lese Ihnen jetzt einmal Ihr Ergebnis von zwei Jahren Reformbemühungen vor: Gemeinden: - 0,24%, Kreise und kreisfreie Städte: + 0,09%, Zentrale Orte: + 0,15% Dafür dieser ganze Aufwand? Die Empörung über unsere Ungerechtigkeit usw.? Aus dem Robin Hood ist nicht mal ein Robin Hütchen geworden. Und zu allem Überfluss können Sie das beim besten Willen auch nicht aus den Gutachterergebnissen herleiten. Das ist schlicht Basar. Wie wollen Sie das eigentlich den Verfassungsrichtern erklären, falls es zu einer erneuten Überprüfung kommen sollte? Mit dieser Reform werfen Sie den kommunalen Finanzausgleich wieder in die Zeit vor 2014 zurück, wo Aufteilungsfragen im Verhandlungswege gelöst wurden und später keiner mehr die Aufteilung nachvollziehen können. Nach der Corona-Krise werden wir sowieso eine neue Bedarfsanalyse benötigen. Die Corona-Pandemie ist das Fukushima der Epidemiologie. Das was wir zwar als theoretischen Fall wussten und wovor noch im letzten Herbst eindringlich gewarnt wurde, ist tatsächlich eingetreten und damit kann es auch wieder passieren. In unserem schönen Land haben unsere Vorfahren nach jeder Sturmflut die sprichwörtliche Schippe draufgelegt auf die Deiche, selbst wenn die nächste große Sturmflut erst Jahrhunderte später erwartet wurde. Das war mit großen Anstrengungen verbunden und war hart. „Wer nicht will deichen der muss weichen!“. Wir werden ähnliche Anstrengungen unternehmen müssen, unser Gemeinwesen pandemiefester zu machen. Dazu gehört Lagerhaltung von Schutzausrüstung, Desinfektionsmitteln, Räumliche und Gerätereserven. Ich kann mich noch gut erinnern, was wir alles vor 1990 so in den Kasernen eingelagert und gepflegt haben. Wir brauchen aber auch bauliche Veränderungen z.B. in Schulen und Kitas um langfristig Hygienestandards zu erhöhen. Die bekannten Defizite in den Waschräumen waren auch schon vor Corona schwer erträglich. Und natürlich haben wohl alle erkannt, welche Chancen in einer konsequenten Digitalisierung steckt. In Estland z.B. laufen bis zu 98% aller Verwaltungsdienstleistungen digital ab, da wären Pandemieschließungen von Behörden lange nicht so ein Problem. Das wird alles teuer werden, aber die öffentliche Daseinseinsvorsorge und Gefahrenabwehr lässt sich nicht rein marktwirtschaftlich organisieren und die Kommunen werden auch da an vorderster Front gefragt sein. Es wird auf die Kolleginnen und Kollegen der nächsten Periode die Mammutaufgabe zukommen, dafür auc h die Finanzierung sicherzustellen.“



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