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02.11.22
22:40 Uhr
Landtag

"Die Prognose für unser Land darf nur optimistisch sein" - politische Literatur im Landtag mit ukrainischem Autor Juri Andruchowytsch

Nr. 110 / 2. November 2022


„Die Prognose für unser Land darf nur optimistisch sein“ – politische Literatur im Landtag mit ukrainischem Autor Juri Andruchowytsch

Der renommierte und international bekannte ukrainische Autor Juri Andruchowytsch hat am Abend (Mittwoch) im Landeshaus aus seinem Roman „Radio Nacht“ gelesen. Im voll besetzten Schleswig-Holstein-Saal diskutierte er mit dem Publikum auch über den Angriffs- krieg Russlands auf die Ukraine und dessen Folgen für die Ukraine, Europa und die Welt. „Die Bilder, die der Roman zeichnet, zeigen auf eindrucksvolle Weise, dass der derzeitige Existenzkampf der Ukraine ein Kampf um europäische Werte ist, um die Werte von Freiheit und Demokratie“, sagte Landtagspräsidentin Herbst zu Beginn der Veranstaltung.
Der russische Angriffskrieg auf die Ukraine sei deshalb eine gesamteuropäische Herausforderung, betonte Herbst. „Der Völkerrechtsbruch von Wladimir Putin widerspricht all unseren Werten in der Europäischen Union und denen der Vereinten Nationen.“ Der Krieg stelle nicht nur die Existenz der Ukraine infrage, sondern die gesamte Friedensordnung, auf die Europa seit 1945 und dann wieder nach 1989 aufgebaut habe. „Wir sind also alle mit dem Schicksal der Menschen in der Ukraine verbunden. Nicht zuletzt auch deswegen, weil viele Ukrainerinnen und Ukrainer zurzeit in Deutschland eine Zuflucht gefunden haben und ihr Leid uns auch hier eine ganz unmittelbare menschliche Dimension von den schrecklichen Entwicklungen in der Ukraine gibt.“
Mit seiner schriftstellerischen Arbeit gelinge es Andruchowytsch, vor dem Hintergrund der ukrainischen Geschichte die europäische und die globale Menschheitsgeschichte sichtbar zu machen, erläuterte die Landtagspräsidentin. „Zugleich formulieren Sie damit einen Handlungs- auftrag: Die Werte, für die die Menschen in der Ukraine jetzt gerade kämpfen, teilen alle Menschen in Europa. Gerade das macht die Ukraine zu einem Teil Europas und gerade das erfordert unsere Solidarität, unsere Anteilnahme und Unterstützung.“
Zur Lesung im Rahmen der Reihe „Politische Literatur im Landtag“ hatte der Landtag in Kooperation mit der Europa-Union Schleswig-Holstein und der Europa-Union, Kreisverband Kiel, 2

eingeladen. Deren Kreisvorsitzender Wilfried Saust gratulierte Andruchowytsch in seinem Grußwort zum Heine-Preis 2022, mit dem der Autor Ende des Jahres ausgezeichnet wird. Mit Blick auf die Lesung betonte Saust: „Mit Juri Andruchowytsch haben wir einen ausgewiesenen Europäer als Vortragenden gewinnen können, dessen Vorstellungen wir gerne verwirklicht sehen würden.“
Der ukrainische Schriftsteller las zunächst aus „Radio Nacht“ vor und sprach dann mit Moderator Ralf Rose, Landesgeschäftsführer der Europa-Union Schleswig-Holstein, über seinen Roman. Anschließend diskutierte Andruchowytsch mit dem Publikum über die aktuelle politische Lage in der Ukraine, für die er klare Worte fand: „Die Menschen, ihre Körper, die Natur, die Infrastruktur – alles wird von dem russischen Aggressor planmäßig vernichtet. Das ist das, was wir zurzeit erleben.“ Auf die Frage, ob er abschätzen könne, wie der Krieg in der Ukraine ausgehe, antwortete der Autor, er wolle eigentlich keine optimistische Prognose abgeben, da er abergläubisch sei. „Aber ich weiß, dass die Prognose nur optimistisch sein darf. Es gibt keine andere Variante. Es gibt nur die Variante für unser Leben, für unsere Zukunft. Und das bedeutet ein Sieg in dem vom ukrainischen Volk geleisteten Widerstand.“ Für diesen sei Wolodymyr Selenskyj der beste Präsident für die Ukraine, befand Andruchowytsch. Sei er gegenüber dem früheren Schauspieler vor dem 24. Februar noch kritisch gewesen, sehe er seitdem einen wahrhaftigen, mutigen Staatsmann, der die Menschen mit seinen richtigen und wichtigen Reden ermutige.
In seinen Romanen und Essays beschäftigt sich Juri Andruchowytsch eingehend mit der ukrainischen Gesellschaft und dem Spannungsfeld zwischen Ukraine, Russland und Europa. Satirisch, schwarzhumorig und oft surrealistisch greift er aktuelle Probleme und politische Fragen von globaler Tragweite auf. Der kürzlich auf Deutsch erschienene Roman „Radio Nacht“ wurde bereits vor zwei Jahren in der Ukraine veröffentlicht und ist von erschreckender Aktualität: Er malt das Bild einer von Russland überfallenen Ukraine, von Imperialismus, Besetzung und Krieg. Aber er erzählt auf fantastisch-groteske Weise und mit den Mitteln der Literatur und der Musik auch von Freiheit und Widerstand im Geiste des Individualismus und der Kunst.