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02.06.23
14:37 Uhr
SPD

Thomas Losse-Müller zu TOP 1: In diesen Zeiten brauchen wir einen Ministerpräsidenten, der führt und sich stellt

Heimo Zwischenberger Pressesprecher der SPD-Landtagsfraktion
Adresse Düsternbrooker Weg 70, 24105 Kiel Telefon 0431 988 1305 Telefax 0431 988 1308 E-Mail h.zwischenberger@spd.ltsh.de Webseite www.spd-fraktion-sh.de Es gilt das gesprochene Wort!

Hinweis: Diese Rede kann hier als Video abgerufen werden: http://www.landtag.ltsh.de/aktuelles/mediathek

LANDTAGSREDE – 02. Juni 2023
Thomas Losse-Müller: In diesen Zeiten brauchen wir einen Ministerpräsidenten, der führt und sich stellt TOP 1: Mündlicher Bericht der Landesregierung zu den Ergebnissen der Mai-Steuerschätzung, zu der vom Kabinett am 16. Mai 2023 be-schlossenen vorläufigen Haushaltssperre und deren am 24. Mai 2023 angekündigten Aufhebung (Drs. 20/1055)
„Eins vorweg: Die Haushaltsperre war ein Fehler! Sie hätten sich hier heute für diesen Fehler entschuldigen müssen!
Frau Heinold, in Schleswig gibt es eine Schule für Ergotherapie. Dort werden rare Fachkräfte ausgebildet. Diese Schule wird von Land gefördert. Davon werden die Gehälter gezahlt. Eine Ergotherapieschule ist finanziell nicht auf Rosen gebettet. Es gibt kein nennenswertes Finanzpolster. Diese hatte noch nicht mal einen Dispokredit. Vor ein paar Tagen hatte die Schule noch 420 Euro auf dem Konto und hätte Gehälter zahlen müssen. Was war passiert? Zunächst wurde eine Rate nicht gezahlt, weil das Ministerium auf die Verabschiedung des Haushalts gewartet hat. Und dann hieß es noch in dieser Woche aus dem SHIBB, dass man auch bei der nächsten Rate nichts machen könne. Das Finanzministerium habe am 16.05.2023 entschieden, alle Zahlungen zentral zu buchen. Dadurch käme es zu weiteren Verzögerungen. Die Schule stand vor der Zahlungsunfähigkeit. Herr Staatsekretär Albig, Sie haben sich der Sache in der Zwischenzeit persönlich angenommen und die ausstehenden Raten sind überwiesen. Danke dafür! Aber ohne diese Intervention von oben hätte es auch an dieser Stelle gescheppert.
Frau Heinold, die Haushaltssperre war nicht das richtige Instrument zur richtigen Zeit, wie Sie behaupten. Es war das falsche Instrument zur falschen Zeit! Uns ist in den letzten Wochen eine besorgniserregende Mischung aus Angst, Wut und Unverständnis über Ihre Aktion begegnet. Nicht nur in Schleswig, überall im Land hat die Haushaltsperre Chaos hinterlassen. Sie haben dem Vertrauen in die Verlässlichkeit der Landesregierung ordentliche Kratzer verpasst.



1 Frau Heinold, ich persönlich fand Ihren Bericht im Finanzausschuss verstörend. Sie haben berichtet, dass Sie schon länger über eine Haushaltssperre nachgedacht haben. Dann haben Sie wenige Tage vor der Kommunalwahl die Daten der Steuerschätzung bekommen. Mit diesen Zahlen sind Sie – in Ihren eigenen Worten – dann „ins Wochenende gegangen“. Am Montag haben Sie dem Ministerpräsidenten dann in einem Gespräch gesagt, dass es eine Haushaltssperre braucht. Das haben Sie ihm buchstäblich gesagt, weil es gar keine schriftliche Unterlage gab! Keinen Vermerk, der Vor- und Nachteile abwägt. Keine strukturierte Vorbereitung durch die Fachleute des Finanzministeriums und der Staatskanzlei, die eine abgewogene Entscheidungsfindung ermöglicht hätte. Der Ministerpräsident hat zugestimmt. Auf Zuruf. Und dann am Dienstag – wohlgemerkt wieder ohne schriftliche Vorlage oder Vorab- Info an die Ministerinnen und Minister – wurde auf Basis Ihres mündlichen Vortrags die Sperre beschlossen. Ohne, dass die anwesenden Ministerinnen und Minister die realen Auswirkungen für ihre Ressorts wirklich absehen konnten. Es gab keine Vorbereitung der Haushälter aus den Ministerien. Die hätten Ihnen ja gesagt, was das für ein Chaos verursachen würde! Und dass die Sperre unverhältnismäßig ist. Es gab keinen Notfallplan für die Zahlstellen, keine Verfahrensanweisungen für zugesagte Auszahlungen. Nichts. Das war fahrlässig. Und das gilt für Sie alle auf der Regierungsbank – es war fahrlässig von Ihnen allen. Sie haben diese Entscheidung im Kabinett ohne sorgfältige Abwägung und Risikoanalyse mitgetragen. Sie tragen die Verantwortung für Ihre Häuser! Sie haben viele Menschen darunter leiden lassen, dass Sie Finanzpolitik auf Zuruf machen. Das darf nicht sein!
Die ganze Geschichte war in etwa so, als wenn Sie 120 auf der Autobahn fahren und dann vor der Baustelle auf 100 reduzieren müssen. Und anstatt vorsichtig das Bremspedal zu betätigen ziehen Sie einfach die Handbremse bis zum Anschlag. Im Wagen fliegt natürlich alles durcheinander. Sie schlingern und müssen hektisch gegensteuern. Alle Autos hinter Ihnen müssen bremsen. Und dann? Fahren Sie einfach wieder weiter, als wäre nichts gewesen. Aber das Chaos bleibt, und hinter Ihnen ist Stau entstanden. Die Sinnlosigkeit der ganzen Aktion zeigt ja die schnelle Aufhebung der Haushaltsperre. In dieser kurzen Zeit kann gar nicht effektiv gespart worden sein. Und meine Kollegin Beate Raudies hat treffend darauf hingewiesen, dass es möglich gewesen wäre, die von Ihnen präsentierte Streichliste in drei Stunden zusammenzustellen.
Und der Ministerpräsident? Anstatt Verantwortung zu übernehmen, beschimpfen Sie per Interview die SPD. Wohlgemerkt, nur die SPD. SSW und FDP extra ausgenommen. Wissen Sie… man steckt sich ja gerne Ziele für die eigene Arbeit. Ich hatte mir vorgenommen, dass wir dieses Stadium der wüsten SPD-Beschimpfungen als Ablenkungsmanöver so in Jahr Drei erreichen. Dass das jetzt schon nach einem Jahr passiert, nehme ich mal als Beleg für die gute Arbeit meiner Fraktion. Jetzt ist die spannende Frage: Warum haben Sie sich für die falsche


2 Haushaltssperre entschieden? War es einfach nur eine unüberlegte Kurzschlussreaktion? Ich hoffe wirklich, dass das nicht der Fall ist. Vielleicht wollten Sie einfach nur ein Zeichen setzen? Einmal „Wolf“ schreien, damit die Schäfchen wieder gehorchen. Das wäre dann ordentlich schief gegangen. Oder Sie sehnen sich einfach zurück nach der guten alten Zeit, in der Sie Politik auf eine „wir müssen den Gürtel enger schnallen“ - Rhetorik reduzieren konnten. Aber eine Rückkehr in die Zeiten der Konsolidierungspfade, der Sparhaushalte, einer Allmacht des Stabilitätsrats wird es nicht geben. Es darf sie nicht geben. Sie werden heute keine Ökonomin, keinen Unternehmer, niemanden, dem dieses Land am Herzen liegt, finden, der sich noch als Kronzeuge für so eine Politik hergeben wird.
Konkurrenz mit China und den USA, Strategien gegen Fachkräftemangel, Digitalisierung, Ukrainekrieg, Wohnungsnot, sozial gerechte und industriepolitisch durchdachte Transformation. All das sind Aufgaben, die man nicht unter Verweis auf die Kassenlage aufschieben kann. Kürzungspolitik spaltet die Gesellschaft. Und wir haben doch erlebt, was kurzsichtige Kürzungen bedeuten. Was wir damals nicht in Straßen und Brücken gesteckt haben, müssen wir jetzt teuer nachholen. Öffentliche Sparmaßnahmen bedeuten doch nur, dass die Kosten auf andere abgewälzt werden: Wenn Sie jetzt die Mittel für das Programm Einbruchschutz halbieren, zahlen die Bürgerinnen und Bürger oder ihre Versicherungen die Kosten für die zusätzlichen Einbrüche. Genauso ist es beim Klimaschutz. Wenn das Land nicht investiert, um ein öffentliches Wärmenetz zu bauen, müssen sich die Hauseigentümer verschulden, um die energetische Sanierung und ihre Wärmepumpe zu bezahlen. Mich besorgt, dass Sie wieder in diese Rhetorik der Alternativlosigkeit abgleiten. Dabei wäre es jetzt Ihr Job, die Alternativen aufzuzeigen. Angefangen bei einem Sondervermögen für Klimainvestitionen. Herr Ministerpräsident, die Debatte der vergangenen Wochen zeigt: es geht hier ums Ganze. Es war nicht nur meine klare Erwartung, dass Sie sich in so einer Situation hier selbst erklären. Gucken wir nochmal auf die letzten 6 Monate: Erst hat Ihre Koalition einen Notkredit aufgenommen. Dann war am Ende des Jahres 2022 unerwartet eine Milliarde über. Im März haben wir hier im Parlament Ihren Haushalt beraten. Und zwei Monate später eine sinnlose Haushaltssperre verhängt. Dazwischen noch Streit in der Koalition über Klimanotkredite und Klimaziele. Was gilt denn jetzt? Wo wollen Sie denn hin? Sie sind angetreten mit der Botschaft „Kurs halten“. Stattdessen haben Sie jetzt beim Schlingerkurs Ihrer Ministerin hart beigedreht. Wir alle haben es verdient, dass Sie Ihren Kurs erklären. In der Hoffnung, dass Sie wirklich einen Kurs haben.
Ihr Kalkül ist ja nicht neu. Sie wollen sich aus allen politischen Fragen heraushalten, weil Sie glauben, dass das Ihre Beliebtheit schützt. Das kann ich taktisch sogar verstehen. Es ist aber nicht die Jobbeschreibung eines Ministerpräsidenten.



3 In diesen Zeiten brauchen wir einen Ministerpräsidenten, der führt und sich stellt.
Nach nicht mal einem Jahr Regierungszeit steht Ihre Regierung so stark in der Kritik wie in fünf Jahren Jamaika nicht. Ihr Schluss daraus kann doch nicht sein, dass Sie weiter im Parlament schweigen. Im Interesse unseres Landes fordere ich Sie auf: Nehmen Sie Ihre Verantwortung an. Stellen Sie sich endlich den Aufgaben und den drängenden Fragen. Wir brauchen keinen „Jogger“, keine „Eis-Tester“ und schon gar keinen „väterlichen Freund“. In dieser Zeit braucht unser Land einen Ministerpräsidenten.“



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