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25.07.25 , 12:14 Uhr
B 90/Grüne

Jasper Balke zur Aufarbeitung der Corona-Pandemie

Presseinformation Nr. 25.216 25.07.2025
Es gilt das gesprochene Wort!
TOP 25 – Schleswig-Holsteinische Erfahrungswerte der COVID-19-Pandemie aktiv in die Enquete-Kommission „Aufarbeitung der Corona-Pandemie und Lehren für zukünftige pandemische Ereignisse“ des Bundestages einbringen Dazu sagt der gesundheitspolitische Sprecher der Landtagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen, Jasper Balke:
Die Pandemie hat bei uns allen Spuren hinterlassen Sehr geehrte Frau Präsidentin, Liebe Kolleginnen und Kollegen,
Woran erinnern Sie sich? An 2G, 3G, 2G Plus, an 4G - obwohl es letzteres gar nicht gab - oder an nichts davon? An die schrecklichen Momente, in denen man in Todesangst um sich oder Angehörige, Bekannte, Freunde oder andere rang? Daran, wie Sie selbst das erste Mal an COVID-19 erkrankt sind oder doch an die erste Impfung? Daran, wie Sie im Krankenhaus, in der Pflegeeinrichtung oder im Gesundheitsamt über Ihre Grenzen gehen, um den Laden irgendwie am Laufen zu halten? Oder vielleicht daran, dass Sie die ein oder andere Klausur nun doch nicht mehr absolvieren mussten oder den Schulunterricht endlich mal links liegen lassen konnten? Oder doch eher an das Gefühl der Realisierung, wie viel man doch gerade in jungen Jahren verpasst hat?
Die Pandemie hat bei uns allen Spuren hinterlassen. Diese sind bei jedem Menschen individuell, divergieren von Mensch zu Mensch teilweise krass auseinander. Doch was wir fast alle gemeinsam haben, ist eine kollektive Erfahrung über einen mehr oder weniger langen Zeitraum unseres Lebens, der sich von allem sonst Erlebten in seiner Einzigartigkeit fundamental unterscheidet. Ob in Lübeck oder Itzehoe, in Schleswig- Holstein oder Baden-Württemberg, in Deutschland oder woanders auf der Welt - überall standen Menschen vor ein und demselben Problem. Ich habe die Hoffnung irgendwann aufgeben müssen, dass wir durch diese kollektive Erfahrung als Weltgemeinschaft enger zusammenrücken. Denn die Folgen des Pademiegeschehens und gesellschaftlichen Erlebens sind allein bei uns in Deutschland, bei uns in Schleswig- Holstein so groß, dass man das Ausmaß davon noch längst nicht begriffen hat.
Wir erleben seit Ausbruch der Pandemie ein gesellschaftliches Auseinanderdriften. Ein „Wir“ gegen „Die“. Ein Misstrauen gegenüber dem Anderen, ein Misstrauen gegenüber dem Staat und eine bislang noch gänzlich ungeklärte Frage: Was kann, soll und darf ein Staat eigentlich alles leisten? Hinzu kommt ein nie dagewesenes Misstrauen gegenüber der Wissenschaft, was es rechtspopulistischen Parteien nicht nur in Deutschland, sondern auch in ganz Europa so leicht macht wie seit Jahrzehnten nicht mehr.
Der massive Vertrauensverlust in die Wissenschaft, in Objektivität und damit ein Verlust eines kollektiven Common Ground unterschiedlichster Gruppen und politischer Strömungen ist aus meiner Sicht eines der größten, unzähligen Opfer einer Pandemiebekämpfung, in der ganz vieles gut und auch einiges schiefgelaufen ist. Ich möchte in diesem Atemzuge eine kurze Geschichte über einen Schlüsselmoment in meiner Pandemie-Erfahrung sprechen, der mir politisch sehr viel gelehrt hat.
Im April 2020, am 08.04., dem damaligen Weltgesundheitstag habe ich als damaliger Landessprecher meiner Jugendorganisation ein digitales Treffen zum aktuellen Pandemiegeschehen veranstaltet. Noch heute erinnere ich mich an den Ablauf der Sitzung sehr genau, denn wir haben uns intensiv mit der aktuellen Studienlage und den Empfehlungen der WHO zum Thema Maskenpflicht auseinandergesetzt. Und vielleicht erinnert sich noch jemand, denn die Empfehlung der WHO, basierend auf wissenschaftlichen Studien, insbesondere aus der Psychologie war eindeutig: Eine Maskenpflicht verunsichert die Menschen, denn sie suggeriert ein Gefühl von Sicherheit, das sie im Falle von COVID-19 gar nicht schaffen würden. Wir haben dann ein Meinungsbild gemacht und alle Anwesenden haben sich einstimmig dafür ausgesprochen, keine Maskenpflicht einzuführen. Nur ein paar Wochen später hat sich die Studienlage grundsätzlich verändert, die WHO ihre Empfehlung um 180 Grad gedreht und nun sogar ein psychologisches Argument angebracht, weshalb eine Maskenpflicht eigentlich unabdingbar ist.
Es gibt zig mehr Beispiele aus der Pandemiezeit, in der wir alle Beobachter*innen oder aktive Zeug*innen davon geworden sind, wie sich wissenschaftliche Empfehlungen durch vermehrte Forschung an die Lage angepasst haben und so teils zu politisch gänzlich anderen Entscheidungen als kurz vorher geführt haben. Dieser Umstand, dieser Zusammenhang zwischen Wissenschaft und Politik, die Arbeit der Wissenschaft per se ist für viele Menschen auch aufgrund von Teilen unserer Medien- und Aufmerksamkeitsökonomie nicht klar – dies führt zu Unsicherheit und Ablehnung.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, obwohl die Corona-Pandemie und ihre Folgen für die meisten von uns, die weder direkt noch indirekt von Corona-Folgeschäden wie Post- Covid, ME/CFS oder anderen postviralen Schäden betroffen sind, nur noch eine Erinnerung ist, so ist sie doch im menschlichen, gesellschaftlichen und politischen Miteinander täglich spürbar. Eine konsequente, wissenschaftliche, vertrauenserweckende und hoffentlich vertrauenswiderherstellende, ehrliche Aufarbeitung zu all diesen Aspekten ist längst überfällig und es ist genau richtig, dass der Umgang mit der Pandemie nun im Rahmen einer Enquete-Kommission aufgearbeitet und durch Erkenntnisse aus Schleswig-Holstein ergänzt wird. Es ist ein außerordentlich wichtiges Zeichen, dass wir diesen Antrag heute interfraktionell einbringen, denn eine Aufarbeitung darf von keiner demokratischen politischen Partei zur Profilierung oder Verunglimpfung anderer missbraucht werden. Schleswig-Holstein kann hier wie so oft vorangehen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, in dem von mir erwähnten Treffen vom April 2020 haben wir uns neben der Maskenfrage u. a. damit auseinandergesetzt, wie das Pandemiegeschehen in der Öffentlichkeit weiterhin begleitet werden sollte. Schon damals gab es eindeutige Stimmen, die sagten: „Die Zeit der Virologie ist nun vorbei, jetzt beginnt die Zeit der Psychologie.“ Erinnern Sie sich an die führende Psychologin in der damaligen Öffentlichkeit? Wenn Sie mich fragen, dann war es mit der größte Fehler, dass wir uns auch in der öffentlichen Debatte viel zu spät mit der Frage auseinandergesetzt haben, wie es uns mit unseren Erfahrungen eigentlich geht? Was bedeuten sie für unsere Kinder? Wir erleben heute eine nie dagewesene psychische Krise innerhalb der jungen Generation, die mehr oder weniger direkt genau damit zusammenhängt. Was erleben wir und was brauchen wir eigentlich emotional und wie können wir vielleicht trotz Kontaktbeschränkungen mehr füreinander da sein? Wie können wir zusammenhalten?
Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie uns die Corona-Pandemie strukturell aufarbeiten und endlich die Zeit der Virologie und die Zeit des Spaltens beenden und die Zeit der Psychologie, des Lernens, des Vorbereitens und des Resilienzschaffens einläuten – gemeinsam, geschlossen und ohne Polemik. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit!
*** Landtagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen Schleswig-Holstein Pressesprecherin Claudia Jacob Landeshaus Düsternbrooker Weg 70 24105 Kiel
T 0431 988 1503 M 0172 541 83 53 presse@gruene.ltsh.de sh-gruene-fraktion.de

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