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04.08.25 , 15:34 Uhr
CDU

Marion Schiefer: Offener Brief zum Kirchenasyl

Kirchenasyl | 04.08.2025 | Nr. 225/25
Marion Schiefer: Offener Brief zum Kirchenasyl

Sehr geehrte Frau Pastorin Jochims,
Ihren offenen Brief an den Ersten Bürgermeister der Stadt Hamburg vom 1. August 2025 habe ich mit Interesse zur Kenntnis genommen.
Sie haben den Brief als Vorstandsvorsitzende der Ökumenischen Bundesarbeitsgemeinschaft Asyl in der Kirche verfasst. Ich erlaube mir, Ihnen zusätzlich in Ihrer Funktion als Flüchtlingsbeauftragte der Nordkirche zu schreiben, da ich davon ausgehe, dass Sie die von Ihnen für die BAG dargelegten Positionen auch in dieser Funktion vertreten und sich Ihre Aufgabe für die Nordkirche mit meinem Aufgabenbereich deckt.
Ihr offener Brief an Peter Tschentscher trifft meines Erachtens nicht den Kern des Problems. Daher gestatten Sie mir die nachfolgenden Ausführungen. Ich schreibe in Kenntnis der Not und Verzweiflung, die Menschen um Kirchenasyl ersuchen lässt, und im Wissen darum, dass Gemeinden ihre Entscheidung, Kirchenasyl zu gewähren, in der Regel sehr eingehend abwägen. Mir ist auch bewusst, dass eine stille Duldungspraxis, die es dem Staat und den an der Vereinbarung aus dem Jahr 2015 beteiligten Kirchen ermöglichte, auf die einzelnen Fälle mit Augenmaß zu reagieren, vorzugswürdig wäre. Die Praxis des Kirchenasyls in Deutschland hat sich jedoch verändert. Insofern ist es nun Zeit für eine grundsätzliche Debatte.
„Wer die Rechtsordnung umzusetzen hat, darf deswegen nicht moralisch abgewertet werden“, heißt es in einer Handreichung der Evangelischen Kirche Mitteldeutschland zum Thema Kirchenasyl aus dem Jahr 1994.
Doch genau dies praktizieren die Kirchenasyl gewährenden Kirchengemeinden und kirchlichen Entscheidungsträger gegenüber staatlichen Stellen immer wieder. Sie akzeptieren die Ausreisepflicht Nichtberechtigter, die freiwillig zu erfolgen hat, notfalls aber auch mit Zwang durchzusetzen ist, auch nach erneuter Prüfung durch das BAMF nicht. Damit setzen Glaubensgemeinschaften bzw. die für sie handelnden Personen ihre Wertung unter Berufung auf eine höhere Gerechtigkeit an die Stelle der zuständigen staatlichen Institutionen. Das ist unzulässig und verfassungswidrig.
Dass das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge in Fällen des Kirchenasyls die zu vollziehenden aufenthaltsbeendenden Maßnahmen noch einmal rechtlich überprüft, ergibt sich nicht aus rechtlichen Vorgaben, sondern allein aus humanitären und

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Pressesprecher Max Schmachtenberg | Düsternbrooker Weg 70, Landeshaus, 24105 Kiel 0431/988-1440 | info@cdu.ltsh.de | http://www.cdu.ltsh.de politischen Erwägungen.
Dass der Staat Kirchenasyl duldet, folgt keiner kirchlichen Rechtsposition, sondern geschieht allein aus Respekt vor dieser christlich-humanitären Tradition – allerdings nicht unbegrenzt, sondern in einem geordneten Verfahren. Dass ein unverhältnismäßiger Gebrauch von Kirchenasyl die Duldung dieser Tradition gefährden würde, ist in der Vereinbarung zwischen dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge und den Vertretern der beiden großen Kirchen in Deutschland vom 24.02.2015 klar benannt.
Derzeit spricht neben dem zahlenmäßigen Anstieg der Fallzahlen vor allem der offensichtlich fehlende Wille zur vereinbarungsgemäßen Beendigung des Kirchenasyls in Ablehnungsfällen für einen unverhältnismäßigen Gebrauch von Kirchenasyl.
Die Fallzahlen zum Kirchenasyl sind aus öffentlich zugänglichen Quellen bekannt. Bundesweit wurde 2021 in 1.231 Fällen Kirchenasyl gewährt, sodann stieg die Zahl über 1.763 Fälle im Jahr 2022 und 2.703 Fälle 2023 auf 2.966 Fälle im vergangenen Jahr. 2025 wurden bis Ende Februar bereits 511 Fälle registriert.
Die o.a. Vereinbarung zwischen BAMF, evangelischer und katholischer Kirche aus dem Jahr 2015 enthält für die Fälle einer endgültigen Ablehnung durch das BAMF eine klare Regelung: „Die abgelehnten Asylbewerbenden verlassen innerhalb von drei Tagen nach dieser Mitteilung das Kirchenasyl.“ Das Problem: dies wird nicht praktiziert.
Schlimmer noch, die von Ihnen als Vorstandsvorsitzende vertretende Institution hat offensichtlich nicht vor, sich an diesen Teil der Vereinbarung zu halten. In der Erstinformation Ihrer BAG für Gemeinden und Gemeinschaften heißt es unter dem Stichwort „Beendigung des Kirchenasyls“ [Hervorhebungen hier und in der Folge durch die Unterzeichnerin]: „Wird keine Aufhebung der Abschiebungsandrohung oder -anordnung erreicht, müssen Gemeinde und Flüchtlinge entscheiden, ob das Verlassen der kirchlichen Obhut ein Zurückkehren ins Herkunftsland bedeutet. Die Kirchenasyl gewährende Gemeinde ist dann aus ihrer unmittelbaren Verantwortung entlassen. Vielfach begleiten aber Gemeinden die Menschen weiter auf ihrem Weg.“ Und die Eckpunkte der so genannten Vereinbarung zwischen BAMF und Kirchen vom Februar 2015 fassen Sie so zusammen: „BAMF und Kirchen kommunizieren über benannte Ansprechpersonen. Zu jedem Kirchenasyl wird innerhalb von vier Wochen ein Härtefalldossier eingereicht (bei kurz bevorstehendem Ende des Überstellungszeitraums ist die Frist zur Dossiereinreichung kürzer). Ein Nichtbeenden des Kirchenasyls nach abgelehntem Dossier ist laut letztinstanzlicher Rechtssprechung des OLG Bayern vom Februar 2022 keine strafbare Handlung.“
Meines Erachtens lässt dies nur den Schluss darauf zu, dass Sie als BAG und damit auch die von Ihnen Vertretenen nicht vorhaben, Ihren Teil der Vereinbarung einzuhalten, sofern die Prüfung des Dossiers durch das BAMF nicht das von Ihnen gewünschte Ergebnis zeigt. – Sollte ich Ihnen fälschlicherweise eine Position


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Ein weiterer Beleg hierfür findet sich in den Grundsätzen Ihrer Arbeit. Ihre Selbstverpflichtung besagt u.a., „dort, wo eine Abschiebung droht, und damit die Würde und das Leben von Menschen in Gefahr ist, Flüchtlinge in unseren Gemeinden aufzunehmen und zu schützen („sanctuary“, Kirchenasyl), bis eine annehmbare Lösung für sie gefunden ist. Wir werden dort, wo dies notwendig wird, eine offene Auseinandersetzung mit den Regierenden nicht scheuen.“
Im Ergebnis meinen also die Bundesarbeitsgemeinschaft und die von ihr Vertretenen, dass der Staat seinem Schutzauftrag nicht ausreichend gerecht wird und einzelfallbezogene Härten nicht ausreichend würdigt. Deshalb maßen Sie sich an, nach dem Ausschöpfen des kompletten Rechtsweges vor deutschen Gerichten und nach dem zusätzlichen Ausschöpfen der Sonderprüfung für Fälle des Kirchenasyls die staatlichen Entscheidungen nicht anzuerkennen. Doch es gibt keine Ethik oder Moral, die das Recht aushebeln kann oder darf. Es ist Ihnen verwehrt, Ihre Anschauungen, was Sie für richtig oder falsch halten, an die Stelle demokratisch legitimierter staatlicher Instanzen setzen zu können.
Damit widersprechen Sie möglicherweise auch der Ratsvorsitzenden Kirsten Fehrs, die am 26. Juni 2024 in ihrer Rede zum Johannisempfang der EKD über das Kirchenasyl sagte: „Es gibt den schwächsten Gliedern der Gesellschaft eine Chance, dass ihr Anliegen geprüft wird.“
Meine These: Die moralische Verantwortung gegenüber den betroffenen Menschen für die staatlichen Mittel, die zum Einsatz kommen, wenn gemäß Vereinbarung zu beendende, faktisch aber nicht beendete Kirchenasyle zwangsweise aufgelöst werden, inklusive allen dadurch verursachten Leids, aller Ängste, aller Traumatisierungen für die Menschen in Not, tragen allein Sie und die von Ihnen Vertretenen.
Was rät man üblicherweise einer Vertragsseite, deren Vertragspartner seine Rechte in Anspruch nimmt, aber seine Pflichten nicht befolgt? Zumal wenn der Vertrag ohne Rechtsgrund geschlossen wurde? Die Auflösung der Vereinbarung natürlich.
Mein Appell: Wenn Sie wollen, dass das Instrument des Kirchenasyls zum gesellschaftlichen Frieden beiträgt, wenn Sie es auch weiterhin als Teil der Lösung verstanden wissen wollen, müssen sie umgehend damit beginnen, jedes Kirchenasyl drei Tage nach der ablehnenden Mitteilung durch das BAMF aktiv aufzulösen und die betroffenen Menschen, seelsorgerisch und karitativ betreut, friedlich den staatlichen Stellen zu überlassen.
„Christen und ihre Gemeinden sollten alles vermeiden, womit kirchliches Ansehen für ein Vorgehen genutzt wird, mit dem die über Asylanträge und Aufenthaltsbegehren Entscheidenden moralisch abgewertet und ausgegrenzt werden“ – so sah es die Evangelische Kirche Mitteldeutschland noch 1994. Schade, dass dies nicht mehr gilt.



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Marion Schiefer



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