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Jasper Balke zur Stärkung der pflegerischen Versorgung
Presseinformation Nr. 25.285 15.10.2025Es gilt das gesprochene Wort!TOP 17 + 24 – Hände weg vom Pflegegrad 1 – Pflegerische Versorgung stärken, nicht schwächenDazu sagt der pflegepolitische Sprecher der Landtagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen, Jasper Balke:Wir dürfen die Reparatur eines strukturell mangelhaften Systems nicht zur Norm werden lassen Sehr geehrte Frau Präsidentin, liebe Kolleg*innen,„Zwischen Spardruck und Versorgungspflicht“ – so lautet der Kommentar einer Tageszeitung in der jüngsten Berichterstattung um eine Reform der sozialen Pflegeversicherung. Bundeskanzler Friedrich Merz und seine Koalition haben deshalb einen Herbst der Reformen ausgerufen und wir dürfen nicht zulassen, dass dieser Aufbruch zu einem Stückwerk verkommt. Die jüngst bekannt gewordenen Vorschläge der Bund-Länder-Arbeitsgruppe reichen nicht aus. Sie bleiben zögerlich. Sie reichen in vielen Fällen nicht, um systemisch zu wirken.Die politische Verantwortung liegt heute klar auf unserem Tisch, wir müssen jetzt liefern.Die Arbeitsgruppe „Zukunftspakt Pflege“ will bis Jahresende Eckpunkte liefern: zur Finanzierung, zur Ambulanter Stärkung, zu Bürokratieabbau, zur Angehörigenentlastung. Doch bislang kursierende Ideen sind weder mutig noch ausreichend. Besonders problematisch ist die Debatte über die Abschaffung des Pflegegrads 1. Einige Stimmen sehen darin einen vermeintlichen Hebel zur Einsparung, ich halte das für falsch und gefährlich.Der Pflegegrad 1 ist kein Luxus, sondern ein präventives Instrument. Für Menschen mit leichten Einschränkungen bietet er Zugang zu Beratung, Aktivierung, Zuschüssen für Pflegemittel oder Wohnumfeldanpassung. Er ist genau dort, wo der Übergang zu schwererer Pflege aufgefangen werden kann. Wenn wir Pflegegrad 1 kürzen oder abschaffen, verstärken wir die Steigung in höhere Pflegegrade, statt sie zu bremsen. Die Kosten explodieren. Wir entziehen den frühen Schutzmechanismus gerade denen, die ihn am dringendsten brauchen. Wir benachteiligen Randfälle, die ohne klaren Grad sonst durchfallen — Menschen mit beginnenden Einschränkungen. Und wir senden ein falsches Signal: Kürzungen bei den Schwächsten sind politisch und moralisch riskant.Ich sage klar: Pflegegrad 1 darf nicht zum Sparobjekt werden, sondern muss geschützt und gestärkt werden, als integraler Bestandteil einer Reform, die weitsichtig denkt und nicht plakativ agiert.Wir dürfen uns nicht von maximalistischen Forderungen irritieren lassen, wir müssen klare Grenzen setzen und Verantwortung übernehmen. Leistungsausweitungen sind berechtigt, aber nur mit nachvollziehbarer Finanzierung. Sonst bleiben sie Scheinversprechen.Ich glaube, wir brauchen mehr Ehrlichkeit in der Debatte, nicht populistisch, sondern gelungen reformorientiert. Außerdem braucht es klare Finanzierungsmodelle. Wir können einerseits nicht Leistungen versprechen und den Deckel vernachlässigen und andererseits ergibt es aus meiner Sicht ganz wenig Sinn, dass jedes Bundesland ihren Investitionskostenverpflichtungen ganz anders nachkommt, die Eigenanteile aber wiederum über die Hilfe zur Pflege abgedeckt werden müssen, die über die Sozialämter ausgezahlt wird.Wir haben Pflegebegutachtungen und -prüfungen bei Kranken- und Pflegekassen, dem medizinischen Dienst und an anderen Stellen, dort wird unfassbar viel Geld rein für die Begutachtung und Prüfung in den Sand gesetzt, wenn es aber um die Finanzierung von Kurzzeit- und Nachtpflege geht, dann gibt es niemanden, der bereit ist, diese anzubieten, weil sie einfach im aktuellen System immer defizitär läuft. Das gesamte System ist sehr komplex, teilweise historisch gewachsen und aus meiner Sicht müsste deshalb das ganze System viel klarer auch für die Zukunft aufgestellt sein. Eine Zusammenführung bestimmter Sozialgesetzbücher und Kranken- und Pflegekassen ist endlich notwendig. Von der Überforderung der Betroffenen und Angehörigen wegen des tatsächlichen Beantragungswahnsinns möchte ich an dieser Stelle gar nicht anfangen.Die Soziale Pflegeversicherung (SPV) muss neu gedacht, nicht nur kosmetisch verändert, sondern strukturell weiterentwickelt werden, mit zwei unteilbaren Schwerpunkten, die systemimmanent sind. Das ist zum einen die Entlastung und Unterstützung der pflegenden Angehörigen, die wir richtigerweise auch in unsere Landesverfassung aufnehmen, denn es ist eben nicht selbstverständlich, Freizeit und Arbeitszeit aufzuwenden, um die eigenen Angehörigen zu Pflegen. Der Wert dieser weitgehend unbezahlten Arbeit wurde neulich auf circa 206 Milliarden Euro jährlich allein für Deutschland geschätzt.Sie tragen also schon heute wesentliche gesellschaftliche Aufgaben und mit dem demographischen Wandel wird diese „Last“ absehbar größer. Sie verdienen deshalb Entlastung, Anerkennung und gezielte Unterstützung: über einen Anspruch auf zeitlich begrenzte Entlastung, flexiblere Teilzeit oder Übergangshilfen; auf dynamisierte, angemessene finanzielle Leistungen; über Qualifizierungsangebote, Beratung und Coaching in niederschwelliger Form und eine betriebswirtschaftliche Ausfinanzierung von Kurzzeit- und Nachtpflegeangeboten Kommunen kennen ihre Regionen, sie müssen Steuerungsmacht und Ressourcen erhalten. Dazu gehört die Pflicht zur regionalen Pflegestrukturplanung, die Budget- und Steuerungsverantwortung für ambulante Dienste, Quartiersmodelle, Kooperationen und die Verknüpfung von Pflege, Gesundheit, Soziales und Stadtplanung.Diese beiden Hebel wirken zusammen: mehr Gerechtigkeit für Angehörige, mehr Effizienz durch lokale Steuerung. Wir dürfen dies nicht verzögern, die Finanzierungsprobleme sind längst virulent. Der Bundesrechnungshof warnt vor dramatischen Lücken.Die letzten Vorschläge der Arbeitsgruppe reichen nicht aus. Ich finde, wir dürfen nicht länger eine Reparatur eines strukturell mangelhaften Systems zur Norm werden lassen. Wir brauchen eine echte Neuordnung – mit Realismus, mit Ehrlichkeit, mit Vision. Der Herbst der Reformen ist unsere Chance, lassen Sie uns belegen, dass wir ihn sinnvoll, fair und zukunftsgerichtet nutzen.Vielen Dank!***Landtagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen Schleswig-Holstein Pressesprecherin Claudia Jacob Landeshaus Düsternbrooker Weg 70 24105 KielT 0431 988 1503 M 0172 541 83 53 presse@gruene.ltsh.de sh-gruene-fraktion.de