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Jan Kürschner zur Stärkung des Verfassungsschutzes
Presseinformation Nr. 25.312 19.11.2025Es gilt das gesprochene Wort!TOP 11 – Stärkung des Verfassungsschutzes in Schleswig-HolsteinDazu sagt der innen- und rechtspolitische Sprecher der Landtagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen, Jan Kürschner:Ein rechtlich robuster und zukunftsfähiger Rahmen für den Schutz der Demokratie Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Abgeordnete,den vorliegenden Gesetzesentwurf haben wir von Grund auf neu geschrieben und nicht auf den bisherigen Vorschriften aufgesetzt. Das war einiges an Arbeit, begonnen haben wir schon zu Beginn der Legislaturperiode. Diese Arbeit hat sich gelohnt. Deshalb möchte ich vorweg allen Beteiligten an dieser Stelle ausdrücklich danken.Ein Gesetz zu schreiben ist eine große Freude und aus meiner Sicht ein Privileg. Ich habe sehr viel gelernt und in der Erarbeitung des Gesetzesentwurfs auch viel Vertrauen gewonnen. Wir haben einen Entwurf geschaffen, der zwischen Bürger*innenrechten und Sicherheitsinteressen ausgewogen ist, der den Verfassungsschutz an wichtigen Stellen auch moderner werden lässt und einen rechtlich robusten und zukunftsfähigen Rahmen für den Schutz der Demokratie bieten soll.Einige der Maßnahmen des Verfassungsschutzes werden durch die G10-Kommission extern rechtlich kontrolliert. Abseits dessen gab es keine rechtliche Kontrolle einzelner Maßnahmen. Dazu hat das Bundesverfassungsgericht 2022 gesagt, dass es auch für andere Maßnahmen, zum Beispiel den Einsatz von Vertrauenspersonen, einer externen Rechtskontrolle bedarf. Wir haben uns entschieden, nicht die Befugnisse der G10- Kommission zu erweitern, sonst das Amtsgericht Kiel damit zu befassen, wo durch die bestehende Ermittlungsabteilung auch schon Kompetenz in sehr ähnlichen Fragen vorhanden ist. Um daneben die politische Kontrolle zu unterstützen, wollen wir dem Parlamentarischen Kontrollgremium (PKG) eine Jurist*innenstelle zukommen lassen. Zusätzlich wird es jedes Jahr einen Bericht des PKG über seine Tätigkeit geben, um mehr Transparenz zu schaffen. Dabei war es uns Grünen wichtig, dass der Verfassungsschutz einer erhöhten Kontrolle unterliegt. Damit geht zwar auch neuer Aufwand einher, aber es stärkt auch unser Vertrauen in den Verfassungsschutz. Und mit Vertrauen soll dieser seine beiden vorrangigen Aufgaben als Frühwarnsystem in doppelter Hinsicht gut bewältigen können. Das ist zum einen das Vorfeld des Terrorismus, das der Verfassungsschutz früh im Auge hat, solange die Polizei oder Staatsanwaltschaft nicht genug Anlass zum Einschreiten hat. Wichtig dabei ist: Die Verfassungsschutzbehörden sind in der Bundesrepublik Deutschland reine „Nachrichtendienste“, die eben nur beobachten, in Abgrenzung zu „Geheimdiensten“ anderer Staaten, die auch Exekutivmaßnahmen durchführen dürfen.Der Verfassungsschutz beobachtet bis heute eigentlich nur Personenzusammenschlüsse, Bestrebungen genannt. Wir verändern das Gesetz nun so, dass auch einsame Wölfe beobachtet werden können. Die Entwicklungen der letzten Jahre haben auch in Deutschland gezeigt, dass in Halle, Hanau, München und Solingen auch extremistische Einzeltäter schlimme Taten begehen können.Ein sehr schwieriger Punkt: Wir haben Minderjährige in die Beobachtung einbezogen, natürlich mit geringer Speicherdauer und Übermittlungsverboten. Leider zielen sowohl der Terrorismus als auch Extremist*innen, vor allem die Rechtsextremist*innen und Dschihadist*innen, speziell auf sehr junge Menschen. Das können wir nicht ignorieren.Der andere große Aufgabenbereich ist die Warnung des Landtages, der Landesregierung und der Öffentlichkeit durch die Information über extremistische Bestrebungen im Land. Wir haben auch einen Vorschlag für Warnungen an die Öffentlichkeit außerhalb der jährlichen Verfassungsschutzberichte. Dabei aber gegen den Anstieg, der fake news auf social media durchzudringen, ist kaum zu bewerkstelligen und auch nicht Aufgabe des Verfassungsschutzes. Bislang fehlte eine spezielle Vorschrift, die dem Verfassungsschutz erlaubt, die Öffentlichkeit zu unterrichten. Das haben wir geändert, um zusätzliche Transparenz zu schaffen.Zunehmend wichtiger in den Aufgaben wird die Abwehr von Spionage und Sabotage. Das bildet sich nicht nur im Haushaltsentwurf ab, sondern auch in diesem Gesetz, was jetzt auch den präventiven Wirtschaftsschutz als Aufgabe festlegt und es unseren Unternehmen, nicht nur aus dem KRITIS-Bereich, ermöglicht, sich zusätzliche Expertise einzuholen, um sich gegen Angriffe auf ihre IT und Spionageaktionen zu wappnen.Echtes juristisches Neuland haben wir bei der automatisierten Datenanalyse betreten, darüber werden wir uns im Ausschuss gut beraten können und gemeinsam dieses Neuland genauer erkunden.Wir nehmen auch noch eine gesetzliche Neudefinition der freiheitlichen demokratischen Grundordnung vor. Was die freiheitliche demokratische Grundordnung ist, hat sich in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts seit den 50er-Jahren leicht verändert. Das ist aber der ganz zentrale Begriff für die Tätigkeit des Verfassungsschutzes. Es handelt sich um einen Teil des Grundgesetzes, der allen Gesetzgebern durch die sogenannte Ewigkeitsgarantie entzogen ist.Das bedeutet eben auch: Wer unsere Gesellschaft so ändern will, dass diese unveränderlichen Prinzipien beeinträchtigt oder sogar beseitigt werden sollen, betrachtet der Verfassungsschutz als politischen Extremisten. Deswegen ist diese Definition so bedeutsam.Sie soll dann umfassen: die Garantie der Menschenwürde, die insbesondere die Wahrung personaler Individualität, Identität und Integrität sowie die elementare Rechtsgleichheit umfasst. Rassistische Konzepte sind hiermit eindeutig nicht zu vereinbaren, sagt das Bundesverfassungsgericht; das Demokratieprinzip samt der Möglichkeit gleichberechtigter Teilnahme aller Bürger*innen am Prozess der politischen Willensbildung; die Rückbindung der Ausübung der Staatsgewalt an das Volk; das Rechtsstaatsprinzip samt der darin wurzelnden Rechtsbindung der öffentlichen Gewalt und die Kontrolle dieser Bindung durch unabhängige Gerichte; der Vorbehalt der Anwendung physischer Gewalt durch die staatlichen Organe.Ich hege die hohe Erwartung, dass wir damit bundesweit zum Trendsetter werden.Die sogenannte Aggressionsklausel im bisherigen Gesetz schaffen wir ab. Das hat Gründe. Bisher setzt die Beobachtung einer Bestrebung in Schleswig-Holstein eine „aktiv kämpferische, aggressive Haltung“ voraus. Ein Argument, das inhaltlich für die Abschaffung der Aggressionsklausel spricht, ist deren Missverständlichkeit. „Aktiv kämpferisch, aggressiv“ war die Terminologie des Bundesverfassungsgerichts in Entscheidungen in den 50er-Jahren. Es ging dabei darum, von der bloßen Gesinnung abzugrenzen. Der Staat verlangt keine Gesinnungsloyalität. Nur wenn die Gesinnung sich in echte Ziele verwandelt, die möglicherweise sogar planvoll konkret in die Realität umgesetzt werden sollen, kommt der Verfassungsschutz zum Zug. Das hat aber nichts mit Gewalt oder Aggressionen zu tun. Ob eine Bestrebung ihre Ziele paramilitärisch oder auf Samtpfoten erreichen will, ist an dieser Stelle nicht relevant, das ist für die Tätigkeit des Verfassungsschutzes keine Voraussetzung, das wäre Sache der Polizei und der Staatsanwaltschaft. Im Hinterkopf sollte man dabei immer die NSDAP zwischen 1925 und 1933 haben, die sich eben im Rahmen der Gesetze bewegte.Diese sogenannte Aggressionsklausel wird also entfernt, dennoch findet sich die zu Grunde liegende Überlegung im Gesetzesentwurf. Tritt eine Bestrebung noch wenig in Erscheinung, das wäre Stufe eins, hat der Verfassungsschutz nur ein geringes Instrumentarium. Wenn eine Bestrebung die freiheitliche demokratische Grundordnung konkret bedroht, zum Beispiel durch Gewalt, Aufstachelung zum Hass oder auch die Förderung von Gewaltbereitschaft, man könnte stattdessen auch sagen aktiv kämpferisch auftritt, ist sie nun „besonders beobachtungsbedürftig“, Stufe zwei, was dem Verfassungsschutz größere Möglichkeiten eröffnet. Bei Stufe drei wäre man schon im Bereich der Polizei, die konkrete Gefahren abwehren und begangene Straftaten verfolgen muss. Solange die Gefahr nicht greifbar ist, kann die Polizei nichts unternehmen, das ist Aufgabe des Verfassungsschutzes. Inhaltlich wollen wir also bei der Aggressionsklausel eine Abstufung im Rahmen der Verhältnismäßigkeit vornehmen, das Wort wird aber wegen der Missverständlichkeit gestrichen.Damit haben wir den Koalitionsvertrag und die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts aus 2022 vollständig umgesetzt. Ich bitte um Überweisung in den Ausschuss, wir wollen den Gesetzesentwurf gerne umfassend erörtern.Eines noch ganz zum Schluss: Der Verfassungsschutz darf ganz viel und ganz früh beobachten, dann aber nach Außen immer nur unter ganz bestimmten Voraussetzungen übermitteln. Wir haben uns im Wesentlichen an den Neuregelungen im Bund orientiert, aber auch nicht ganz, weil manches aus unserer Sicht möglicherweise mit heißer Nadel gestrickt war. Es ist aber in diesem Bereich ein Unding, dass wir in Deutschland 17 verschiedene Regelungen zur Informationsübermittlung haben und die Behörden im GTAZ, dem Gemeinsamen Terrorabwehrzentrum, unter Beteiligung von insgesamt 40 Behörden ausknobeln müssen, wer wem was sagen darf. Ich will an dieser Stelle für einen Staatsvertrag nur für die Übermittlungsvorschriften in den Verfassungsschutzgesetzen eintreten.Vielen Dank!***Landtagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen Schleswig-Holstein Pressesprecherin Claudia Jacob Landeshaus Düsternbrooker Weg 70 24105 KielT 0431 988 1503 M 0172 541 83 53 presse@gruene.ltsh.de sh-gruene-fraktion.de