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28. November 2018 – Missbrauch in Kinderheimen

Schläge und Elektroschocks

Ein zweitägiges Symposium im Landtag beschäftigt sich derzeit mit dem Leid, das Kinder und Jugendliche in Einrichtungen der Behinderten- und Psychiatriehilfe jahrzehntelang erfahren haben.

Der Vorsitzende des Sozialausschuss steht am Rednerpult im sonendurchfluteten, vollbestzten Plenarsaal des Landtages
Der Sozialpolitiker Werner Kalinka vor rund 150 Betroffenen, Gästen und Abgeordneten: „Wir hören zu und signalisieren: Ihre Sorgen sind bei uns angekommen.“ Foto: Landtag, Yvonne Windel

Tausende Menschen wurden in bundesdeutschen Kinderheimen, Kliniken und Behinderteneinrichtungen in den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg misshandelt – unter staatlicher und kirchlicher Obhut. Im Norden geschah dies beispielsweise in Schleswig und Glückstadt. Das Schicksal der Opfer blieb lange unbeachtet. Erst in den vergangenen Jahren forderten sie Entschädigung und Anerkennung ihres Leids.

Mit dem zweitägigen Symposium „Die Vergangenheit im Kopf – die Zukunft in der Hand“ bieten der Sozialausschuss des Landtages und Sozialministerium den Betroffenen ein Forum, um einer breiten Öffentlichkeit von ihren Erfahrungen zu berichten und um Forderungen an Politik und Gesellschaft zu formulieren. Die Veranstaltung begann am Mittwoch und wird bis Donnerstagnachmittag dauern.

Schockierende Schilderungen von Betroffenen

Zum Auftakt des Symposiums ergriffen fünf ehemalige Heimkinder im vollbesetzten Plenarsaal das Wort – und ihre Schilderungen schockieren. Sie berichteten von sexuellen Übergriffen, von Faustschlägen ins Gesicht und in den Magen durch Pfleger und Jugendamtsmitarbeiter, von Elektroschocks, vom Untertauchen in eiskaltes oder kochend heißes Wasser, von Fesselungen, von mehrwöchiger Isolation im „Bunker“ ohne fließendes Wasser und frische Kleidung. Medikamente, etwa hochdosiertes Valium, seien gewaltsam verabreicht worden, als Testlauf für die Pharma-Industrie.

Bund, Länder und die großen christlichen Kirchen haben Anfang 2017 die Stiftung „Anerkennung und Hilfe“ gegründet. Betroffene können bis zu 9000 Euro Entschädigung beantragen. Weitere 5000 Euro können gezahlt werden, wenn Heimbewohner arbeiten mussten, ohne dass dafür Rentenbeiträge entrichtet wurden. Ansprechpartner in Schleswig-Holstein ist das Landesamt für soziale Dienste in Neumünster. 

Kalinka: Vertrauen zurückgewinnen

Die Stiftung stößt bei mehreren Geschädigten auf Kritik: Es sei entwürdigend, dass komplizierte Formulare ausgefüllt und Zeugen benannt werden müssten. Zudem sei die Antragsfrist zu kurz. Betroffene müssen sich bis Ende 2019 melden, sonst verfällt ihr Anspruch. Dieser Termin müsse um drei Jahre verlängert werden, so eine Forderung. Zudem sei die Entschädigungssumme eine „Verhöhnung“ der Opfer, die „ein zerstörtes Leben“ führen müssten. Der Staat, die Kirchen und die Pharma-Konzerne kämen billig davon und müssten keine tiefgreifenden Sanktionen fürchten.

Sozialminister Heiner Garg (FDP) kündigte die wissenschaftliche Aufarbeitung der Medikamentenversuche in Schleswig-Holstein an. Die Studie der Uni Lübeck soll 2020 vorliegen. „Wir können durch die öffentliche Aufarbeitung dazu beitragen, dass Betroffene Gehör und Wertschätzung finden“, so Garg. Und Werner Kalinka, Vorsitzender des Sozialausschusses, sagte an die Opfer gewandt: „Wir können versuchen, die Hand zu reichen und nach Wegen zu suchen, um Vertrauen zurückzugewinnen.“

Mehr Informationen:
Pressemitteilung zum Symposium