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31. Juli 2020 – Porträt-Reihe / 5

Frank Brodehl: Der „Neue“ im Landtag

Wie sieht der Alltag von Abgeordneten aus? Die Online-Redaktion des Landtages hat in den vergangenen Monaten mehrere Parlamentarierinnen und Parlamentarier einen Tag lang begleitet. Heute im Porträt: Frank Brodehl (AfD).

Der AfD-Abgeordnete Frank Brodehl hält eine Rede im Plenarsaal.
Frank Brodehl ist einer der „Neuen“ im Landtag. In parlamentarische Abläufe mussten er und seine Fraktionskollegen sich erst einarbeiten. Foto: Michael August

Vier Jahre nach der Gründung des Landesverbandes im Jahr 2013, zieht die AfD nach der Landtagswahl im Mai 2017 erstmals in den Schleswig-Holsteinischen Landtag ein. Einer der neuen Abgeordneten: Frank Brodehl. Der Sonderschullehrer hat wie seine AfD-Mitstreiterinnen und Mitstreiter keine parlamentarische Vorerfahrung. Trotzdem muss er sich schnell im politischen Alltag zurechtfinden. Von heute auf morgen stehen nicht mehr Unterricht, Eltern-Lehrer-Gespräche und die Begleitung von hörgeschädigten Schülern, sondern Anträge, Gesetzentwürfe und Reden schreiben auf der Tagesordnung. Wie ist es, neu im Landtag zu sein, welche Herausforderungen gilt es zu meistern und warum gibt man seinen Beruf auf, um Politiker zu werden? Diese Fragen beantwortet Brodehl im Gespräch und lädt zu einem Blick hinter die Kulissen des Berufsalltags ein.

Hinweis: Das Porträt ist im Frühjahr 2020 vor dem Ausbruch der Corona-Pandemie entstanden.

Morgenlauf zum Wachwerden

6:45 Uhr. Früh morgens in Eutin. Das Gras ist noch nass und die Morgenluft kalt, als Frank Brodehl seine Laufrunde am kleinen Eutiner See am südwestlichen Stadtrand von Eutin beendet, um im Anschluss mit seiner Frau und seinen zwei jüngsten Söhnen zu frühstücken. Zweimal in der Woche läuft Brodehl vor der Arbeit seine Morgenrunde entlang des Sees, um einen Ausgleich zum langen Sitzen am Schreibtisch zu haben. Am Küchentisch macht erst einmal die Vollmilch die Runde, denn bei den Brodehls steht Müsli mit Obst auf dem Frühstücksprogramm. Nachdem er die Schulbrote für die Kinder geschmiert hat, schnappt sich der Politiker seinen Kaffee für unterwegs, verabschiedet sich und macht sich mit dem Auto auf in Richtung Kiel. Viele Termine stehen heute im Kalender.

8:15 Uhr im Auto Richtung Kiel. Brodehl sitzt konzentriert im Auto Richtung Landtag. 50 Kilometer liegen täglich auf der Strecke von Eutin nach Kiel vor ihm. Im Radio läuft Deutschlandfunk, denn der Politiker versucht sich bereits auf dem Weg zur Arbeit ein Bild über aktuelle Geschehnisse in Schleswig-Holstein und Deutschland zu machen. Noch vor einigen Jahren war er um diese Uhrzeit nicht auf dem Weg in den Landtag, sondern unterwegs in eine Schule im Kreis Ostholstein, an der hörgeschädigte Kinder integrativ unterrichtet werden. Fast 20 Jahre arbeitete Frank Brodehl als Sonderschullehrer für Hörgeschädigte und betreute Kinder und Eltern. Diese Arbeit war einer der Auslöser, warum der Eutiner in die Politik gegangen ist. „Während die vorherrschende Meinung war, dass hörgeschädigte Kinder generell an regulären Schulen mit der Begleitung eines Sonderschullehrers unterrichtet werden sollten, war ich der Meinung, dass vor allem Gehörlose ihr Potenzial an Förderzentren besser entfalten können“, erzählt Brodehl, trinkt einen Schluck aus seinem Kaffeebecher und hält an einer roten Ampel an. Als sich die AfD 2013 in Brügge (Kreis Rendsburg-Eckernförde) gründete, fand er Gleichgesinnte, die ebenfalls mit der Bildungspolitik unzufrieden waren. Noch im Sommer des gleichen Jahres wurde Brodehl Parteimitglied.

Die Isomatte als Notbett im Büro

9:00 Uhr Ankunft im Landeshaus in Kiel. Im Parlamentsgebäude angekommen führt ihn sein erster Weg in die Pressestelle der AfD-Fraktion. Dort liegen regionale und überregionale Zeitungen. Brodehl ist unter anderem für den Bereich Bildung zuständig. Neben dem Bildungsausschuss sitzt er auch im Petitionsausschuss und ist im Beirat des Kulturforums „Haus der Landesgeschichte Schleswig-Holstein“ aktiv. Viele Artikel aus den Zeitungen, die mit Schule oder Bildung zu tun haben, sind bereits farbig markiert. Brodehls wissenschaftlicher Mitarbeiter war schon vor ihm da und hat sich einen Überblick über die politische Lage und über Neuigkeiten in Schleswig-Holstein verschafft. Gemeinsam reden die beiden dann 30 Minuten über die Tagespolitik und recherchieren in den Zeitungen.

Im Büro heißt es erst einmal Mails checken. Die meisten E-Mails sind Informationen über Termine, Einladungen zu Diskussionsveranstaltungen oder an verschiedene Schulen. Es gibt aber auch Anfragen von Bürgerinnen und Bürgern, die Fragen zur Politik der AfD haben oder den Abgeordneten persönlich kennenlernen wollen. Ungefähr sechs Mal im Monat lädt Brodehl Interessierte zu sich ins Büro ein oder besucht sie Zuhause. Einen halben Tag in der Woche hält sich der ehemalige Sonderschullehrer in seinem Wahlkreis in Ostholstein oder in seinen Betreuungswahlkreisen Plön und Kiel auf. Die meiste Zeit verbringt er jedoch im Büro. „Ich bin oft der Erste, der ins Büro kommt und der Letzte, der die Fraktion verlässt“, sagt Brodehl. Sein Blick schweift auf eine Isomatte, die zusammengerollt auf einem Aktenschrank liegt. „Wenn ich im Büro übernachte, höre ich um 0 Uhr die Reinigungskraft kommen“, sagt er schmunzelnd. Fünf bis sechs Mal im Monat übernachtet er in Kiel. Entweder in seinem Büro oder in einem Hotel. Nachdem Brodehl seine Mails gelesen und beantwortet hat, kümmert er sich um Social-Media. Obwohl er findet, dass einige soziale Medien Inhalte zu oberflächlich behandeln, sieht er auch einen Vorteil in den modernen Kommunikationsplattformen: Kontakte knüpfen. Einmal die Woche macht Brodehl ein Video über Schulpolitik, das er auf dem Facebook-Account der Fraktion postet. Wenn es nichts für den Petitions- oder Bildungsausschuss vorzubereiten gibt, formuliert Brodehl zum Beispiel Kleine Anfragen an die Landesregierung. Bei einer solchen Kleinen Anfrage stellt ein Abgeordneter schriftlich Fragen zu einem Thema an die Regierung. Diese muss dann darauf innerhalb einer bestimmten Frist antworten.

 „Wir mussten erst lernen, wie man einen Antrag stellt“

14:00 Uhr Fraktionsversammlung. Weil Brodehl selbst auf seine Gesundheit achtet und sogar angeregt hat, die Kekse auf den Tischen im Gang der AfD-Fraktionsräume durch Obst zu ersetzen, isst er mittags nur eine Kleinigkeit, die er von zu Hause mitnimmt. Um 14 Uhr treffen sich die vier Abgeordneten an einem runden Tisch zur Fraktionsversammlung und besprechen, was aktuell ansteht. Die AfD-Politiker waren vor der Tätigkeit als Landtagsabgeordnete nicht hauptberuflich in der Politik aktiv. „Wir haben als Lehrer, Journalist, Polizist und Kapitän gearbeitet“, erzählt Brodehl. „Weil uns der Aufstieg über Kreise und Gemeinden fehlte und wir demnach keine Vorerfahrung in der parlamentarischen Arbeit hatten, mussten wir erst lernen, wie man einen Antrag im Plenum stellt, wie man ein neues Gesetz formuliert oder was der Unterschied zwischen einem Alternativantrag und einem Änderungsantrag ist“, fügt er hinzu. Durch „Learning by Doing“ und Informationsaustausch mit Fraktionen aus anderen Bundesländern eigneten sich die Neulinge im Politikbetrieb die Abläufe im Parlament an. Dass sie in der Fraktion nur zu viert sind, bedeutet für Brodehl einerseits, dass mehr Papierkram und Arbeit auf jeden Einzelnen zukommt. Mit mehr Kolleginnen und Kollegen könnten Aufgaben besser verteilt werden. Andererseits kann der Eutiner der geringen Anzahl an Abgeordneten innerhalb der Fraktion auch einen Vorteil abgewinnen: Ein schneller und guter Austausch. Bei einer größeren Gruppe dauert es länger, bis neue Informationen bei allen angekommen sind. Nachdem alle Themen besprochen sind, wird die Runde um alle Fraktionsmitarbeiterinnen und Mitarbeiter der AfD erweitert. Neben den vier Abgeordneten arbeiten bei der AfD sechs wissenschaftliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, drei Presseleute, zwei Juristen, eine Sekretärin und eine Büroleitung.

16:15 Uhr Besuchergruppe. Mehrmals pro Woche besuchen Gruppen den Landtag und können sich dabei mit Abgeordneten aller Fraktionen austauschen. Für heute haben sich Schülerinnen und Schüler der 11. Klasse des Wolfgang-Borchert-Gymnasiums aus Halstenbek und des Immanuel-Kant-Gymnasiums aus Neumünster angemeldet. Frank Brodehl setzt sich an einen Tisch, um den sich ungefähr zehn Schülerinnen und Schüler versammelt haben. Eine Schülerin fragt: „Wie hat Ihr Umfeld damals darauf reagiert, dass Sie für die AfD kandidieren?“ Die Antwort: „Rund ein Viertel der ehemaligen Lehrerkollegen wollte nichts mehr mit mir zu tun haben. Etwa die Hälfte der Kollegen war so unsicher im Umgang mit mir, dass sie so taten, als seien sie beschäftigt oder mich ignorierten, wenn ich den Raum betrat. Rund ein Viertel bekräftigte mich in meiner Entscheidung und sagte, ich solle mir treu bleiben, da sie wüssten, dass ich keine extremen Ansichten habe oder ausländerfeindliche Tendenzen teile“, so Brodehl. Im näheren Bekanntenkreis haben sich auch Freunde und Familienmitglieder von ihm abgewendet. „Wie lange wollen Sie Politiker bleiben?“, fragt ein Schüler. „Ich übe mein Amt in Demut und für begrenzte Zeit aus“, erwidert Brodehl. Nach maximal zwei Legislaturperioden werde er das Amt abgeben und wieder als Sonderschullehrer arbeiten. Nachdem die Schülerinnen und Schüler ihre Fragen losgeworden sind, geht Brodehl in sein Büro zurück. „Im Landtag sind wir in einer Außenseiterposition, unsere Anträge werden grundsätzlich abgelehnt und finden in der Presse kaum Beachtung. Darum ist es uns besonders wichtig, mit Besuchern ins Gespräch zu kommen, um unsere Inhalte zu vermitteln“, sagt er.

17:15 Uhr Büroarbeit. Brodehl überlegt, was er den „Stammtischen“ Neues berichten kann. Bei diesen regelmäßig stattfindenden Treffen, informiert er Mitgliederinnen und Mitglieder der AfD-Kreisverbände aus ganz Schleswig-Holstein über die Arbeit im Landtag und berichtet, welche Anträge gestellt werden sollen. Als Kreisvorsitzender der AfD Ostholstein muss er sich zudem überlegen, welche Aktionen, zum Beispiel Werbekampagnen oder Flyerverteilungsaktionen, umgesetzt werden sollen. Alle zwei Wochen trifft er sich mit den Kreismitgliederinnen und -mitgliedern in Ostholstein. Einmal im Monat reist Brodehl darüber hinaus nach Berlin, um sich mit schul-, kirchen- oder behindertenpolitischen Sprecherinnen und Sprechern aus anderen Bundesländern auszutauschen. Jetzt muss sich der Eutiner aber zunächst auf eine Moderation vorbereiten. In wenigen Stunden wird er die Rednerin Vera Lengsfeld im Landeshaus begrüßen. Die Bürgerrechtlerin aus der ehemaligen DDR, die von 1990 bis 2005 für die Grünen und dann für die CDU im Deutschen Bundestag saß, wird einen Vortrag für das Format „Fraktion im Dialog“ halten. Es haben sich mehr als 200 Besucherinnen und Besucher für die Veranstaltung „Neue Mauern im Kopf? – Zwischen Meinungsfreiheit und Zensur“ angekündigt.

Erhöhte Sicherheitsstufe

19:00 Uhr „Fraktion im Dialog“ im Landeshaus. Mittlerweile ist es dunkel geworden. Vor dem Landtag herrscht erhöhte Sicherheitsstufe. 20 Polizistinnen und Polizisten stehen rund 70 Demonstrierenden gegenüber. Während einige potenzielle Gäste der AfD-Veranstaltung „Fraktion im Dialog“ von lauten Rufen der Protestierenden abgeschreckt wieder umkehren, gehen manche entschlossen an ihnen vorbei ins Landeshaus. So auch Vera Lengsfeld. Brodehl holt sie an den Stufen vorm Landtag ab. „Dass der Plenarsaal so voll ist wie heute, liegt wohl an unserer Rednerin“, sagt Brodehl. Nachdem er in die Thematik eingeführt hat und die Rednerin mit ihrem Vortrag schließt, bleibt noch Zeit für Fragen aus dem Publikum. Noch bis spät in die Nacht diskutieren die Abgeordneten der AfD mit Besucherinnen und Besuchern der Veranstaltung bei Salzstangen und Bier. Ein Ehepaar um die 50 Jahre aus Schönberg im Kreis Plön lädt Brodehl zu sich nach Hause ein. Insbesondere Jugendliche bleiben, bis das Licht um 23:30 Uhr ausgeht.  

23:45 Uhr zurück im Auto auf dem Weg nach Eutin. Diesmal läuft das Radio nicht. Brodehl ist müde. „Wäre es nicht so spät“, sagt er, „würde ich jetzt in meinen Garten gehen, um runterzukommen“. Zwischen den Obstgehölzen verbringt er gerne Zeit zum Abschalten und füttert seine vier Hühner „Nelly“, „Braunchen“ und die zwei „Minnies“. Aber auch im Wald kann er gut entspannen. Gemeinsam mit seinem ältesten Sohn, der bereits ausgezogen ist, hackt er dort gerne Holz. Auf dem Heimweg ist er mit den Gedanken schon bei der Familie. „Wir fühlen uns wohl zu Hause und haben ein gutes Familienleben“, sagt Brodehl. Jeder kann den Dingen nachgehen, die ihm wichtig sind. Seine Frau arbeitet als Heilpädagogin und gibt Ballettunterricht. Er kickt dagegen jeden Sonntagabend mit anderen Familienvätern im Club PSV Eutin, der 5000 Mitglieder hat. Seine Söhne beschäftigen gerade Themen wie Schule, Mofa-Führerschein oder die Freundin. Sie finden es gut, dass der Vater in der Politik aktiv ist. Dennoch merkt die Familie, dass Brodehl die Debatten über die Arbeitszeit hinaus beschäftigen. „Besonders während der Plenarsitzungen weiß meine Familie, dass mit mir nichts anzufangen ist. Darum bleibe ich in dieser Zeit meist komplett in Kiel“, sagt er. Gegen 0:30 Uhr fährt Brodehl in die Einfahrt seines Grundstückes in Eutin. Seine Familie schläft schon. Wenn er einen Wunsch in seiner politischen Arbeit frei hätte, dann wäre es, dass sich die AfD im Parteienspektrum als bürgerlich-konservative Kraft etablieren kann.

Rebecca Hollmann