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27. Juli 2020 – Porträt-Reihe / 4

Anita Klahn: Anpacken für die Bildung

Wie sieht der Alltag von Abgeordneten aus? Die Online-Redaktion des Landtages hat in den vergangenen Monaten mehrere Parlamentarierinnen und Parlamentarier einen Tag lang begleitet. Heute im Porträt: Anita Klahn (FDP).

Anita Klahn (FDP, Bildmitte) mit weiteren Bildungspolitikerinnen und -politikern sowie Schülervertreterinnen und -vertretern im Plenarsaal
Anita Klahn (Bildmitte) bei einem Treffen mit Schülervertreterinnen und -vertretern zusammen mit weiteren Bildungspolitikern im Landtag Foto: Landtag, Nadine Otte

„Ach, sind das dicke Bretter, die man hier bohren muss!“ Anita Klahn lacht, als sie sich zurückerinnert. So hat sie gedacht nach ihren ersten Arbeitstagen als Berufspolitikerin. Damals, das war Anfang Oktober 2009, nachdem sie mit der FDP in den Landtag eingezogen war. Ihre Wortwahl ist kein Zufall. Anita Klahn stammt aus einer Handwerkerfamilie. Ihr Vater war Glaser, ihre Onkel KFZ-Mechaniker, Tischler und Maurer. Nach der Mittleren Reife noch das Abitur machen? Lieber nicht. Für Klahn stand fest: „Ich möchte etwas mit den Händen machen.“

Wie wurde aus der jungen Frau, die eine Ausbildung zur Industriemeisterin Druck machte, ein Politikprofi mit dem Schwerpunkt Bildung, der inzwischen bereits seit über zehn Jahren im Landtag sitzt? Und warum ist die FDP die richtige Partei für sie? Ein Tag im Leben der stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden liefert Antworten.

Hinweis: Das Porträt ist im Frühjahr 2020 vor dem Ausbruch der Corona-Pandemie entstanden.

Lesen, lesen, lesen – und immer ein offenes Ohr haben

8:00 Uhr. Ein Einfamilienhaus mit Garten in Bad Oldesloe. Kaffeeduft liegt in der Luft. Eine Frau Anfang sechzig streicht eine Strähne ihres kurzen, blonden Haares hinters Ohr. Schwarz-weiß gestreifte Chiffon-Bluse, roter Blazer, dunkle Hose, dezenter Goldschmuck – sauber gebügelt, perfekter Sitz, sorgfältig ausgewählt. 

Dieser Tag beginnt für die Landtagsabgeordnete Anita Klahn im Homeoffice am Laptop. Das ist nicht immer so. Als Berufspolitikerin ist jeder Tag anders. Aber jeder Tag ist lang: „Ich habe keinen normalen Arbeitstag von siebeneinhalb Stunden, sondern das sind locker Zehn-Stunden-Arbeitstage“, sagt sie und nippt an ihrer Kaffeetasse. Von den zehn Stunden verbringt Anita Klahn drei, vier Stunden am Tag online, nicht nur um E-Mails zu beantworten. 

Denn als Abgeordnete muss sie immer am Puls der Zeit sein. „Wir müssen lesen, lesen, lesen… rausfiltern, wo findet was statt“. Dabei ist es nicht damit getan, die Tagesschau zu sehen oder eine Tageszeitung zu lesen. Der Schrank in ihrem Büro etwa quillt inzwischen vor Fachliteratur über: „Wir bekommen monatlich mindestens fünf, sechs Fachzeitschriften, wo ich sagen muss, die schaffe ich auch nicht alle komplett, die lese ich selektiv.“ 

Trotz all des Inputs muss sie immer ein offenes Ohr haben, da ist sich die Politikerin sicher. „Einfach hinhören und feststellen: Was ist gerade das Problem? Was wird in der Gesellschaft diskutiert?“ Darum unterstützen Klahn zwei wissenschaftliche Mitarbeiter in ihrem Büro im Landtag dabei, die Informationsflut zu bändigen. Apropos Büro: Anita Klahn schaut auf die Uhr. Zwischen Terminplanung, E-Mailsschreiben und Lektüre ist es elf Uhr geworden. Höchste Zeit, von Bad Oldesloe in Richtung Kieler Landtag aufzubrechen.

12:00 Uhr. Auf dem Flur der FDP-Landtagsfraktion. Anita Klahn erreicht das Landeshaus. Nachdem sie ihr Büro aufgeschlossen hat, spricht sie kurz mit einem engen Mitarbeiter. Er zieht seine Chefin mit der Farbe ihres Blazers auf. Schließlich steht Rot für die Konkurrenzpartei SPD. Die frühere Industriemeisterin Druck lacht und stellt klar: Rot ist nicht gleich Rot. Ahornrot, Amaranthrot, Ampelrot, Apfelrot. Anita Klahn trägt all diese Farben oft und gerne. Wie ist die Tochter eines Glasers eigentlich zur FDP gekommen? Schließlich sind Arbeiterfamilien klassisches SPD-Klientel. Wäre die SPD da nicht naheliegender gewesen? „Eine hundertprozentige Übereinstimmung in den Sachthemen wird man nie haben“, räumt sie ein. Nichtsdestotrotz ist sie überzeugte Liberale: „Eigenverantwortung übernehmen, relativ frei entscheiden, was ich machen möchte, niemand schreibt mir etwas vor. Es sei denn, es ist zum Nachteil eines anderen. Meine Freiheit endet dort, wo die Freiheit des anderen anfängt. Nicht zu moralisieren. Das ist wirklich meine Lebenshaltung. Das bin ich.“

Ausbildung, Familie – ein klassischer Lebensweg

Dabei hielt sie sich selbst lange Zeit für „politisch neutral“, wie sie selbst sagt. In ihrem ersten Beruf als Industriemeisterin Druck hat sie für Hamburgs große Verlagshäuser und Agenturen Titelbilder und Anzeigenkampagnen gestaltet. Eine Aufgabe für Perfektionisten. Die britische Ausgabe der „Vogue", die „Bild der Frau“ oder ein aufwändig gestaltetes Format für angehende Bräute, die „Brides“, waren darunter. Einmal, sie sollte Käseprodukte vermarkten, hat sie es mit ihrem Perfektionismus auf die Spitze getrieben: „Ich bin wirklich in den Laden gegangen und habe mir die ganzen Produkte geholt, um zu sehen, wie sehen die in Natura aus, damit wir sie entsprechend farblich bearbeiten können.“ Ihre Kolleginnen und Kollegen hätten sie alle für verrückt erklärt. Die gebürtige Lübeckerin ließ sich davon nicht beirren: „Der Erfolg hat uns nachher Recht gegeben, der Kunde war schwer begeistert“, so ihr Fazit.

Sie hat sich in dem männerdominierten Beruf durchgesetzt. „Es hat mir wahnsinnig viel Spaß gemacht“, gerät die Abgeordnete auch heute noch ins Schwärmen. Dabei hat sie zunächst der künstlerisch-kreative Aspekt gereizt. Später, als sie den Meister machte, wurde der Beruf dann technischer. Bei einem Vorstellungsgespräch schließlich fielen ihre kommunikativen Fähigkeiten auf. „Sie sind eloquent, Sie haben ein gutes Auftreten, Sie haben ein Verkaufstalent. Haben Sie nicht Lust über eine interne Schulung in den Verkauf zu gehen?“ Sie sagte „Ja“ und löste sich zum ersten Mal von ihrer Vorstellung, am Ende eines Arbeitstages ein greifbares Ergebnis in den Händen zu halten. Das ist inzwischen lange her.

Anita Klahn (r.) mit weiteren Bildungspolitikern im Plenarsaal des Landtages
Im Gespräch mit jungen Leuten: die Bildungspolitikerinnen und -politiker Tobias von der Heide (CDU), Jette Waldinger-Thiering (SSW), Ines Strehlau (Grüne) und Anita Klahn (FDP) (v. l. n. r.) Foto: Landtag, Nadine Otte

Bildungspolitik ist Familienpolitik

13:00 Uhr. Anita Klahns Büro. Ein Fachgespräch mit dem Philologenverband steht an. Mit dem Interessenverband der Gymnasiallehrerinnen und -lehrer versucht die Politikerin, die in ihrer Fraktion für Bildung zuständig ist, etwa alle sechs Monate ins Gespräch zu kommen. Die Eingangsfrage lautet immer: Was liegt an? Gibt’s was Neues? Die Inhalte der Besprechungen sind vertraulich. Im Kern geht es immer darum, gemeinsam Probleme zu erkennen und mögliche Lösungen zu diskutieren. Neben dem Austausch mit solchen Fachgesellschaften ist ein guter Draht zum Bildungs- und Familienministerium wichtig für die Bildungspolitikerin. Auch Veranstaltungen wie Podiumsdiskussionen oder Fachtage sind ein wichtiges Instrument für ihre Arbeit. Dort kommt Klahn mit verschiedenen Menschen in lockerer Atmosphäre zusammen und kann sich entspannt ohne Block und Bleistift mit ihnen austauschen. Die Abgeordnete funktioniert wie ein Filter. Sie nimmt die Dinge auf, selektiert vor und nimmt Themen, die sie für wichtig hält, dann mit in die wöchentlich stattfindende Fraktionssitzung, um sie mit den anderen FDP-Mandatsträgerinnen und -Mandatsträgern sowie den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zu diskutieren. Wenn die Position der FDP dann feststeht, vertritt Anita Klahn diese im Bildungsausschuss, wo alle Bildungspolitikerinnen und -politiker aus den verschiedenen Fraktionen im Landtag zusammenkommen.

Aber wie entwickelt Anita Klahn ihre politischen Positionen? Wie wurde das Thema Bildung zu ihrem Steckenpferd? Durch ihre Herkunft aus einer Handwerkerfamilie und langjährige Berufserfahrung in der freien Wirtschaft ist sie Pragmatikerin durch und durch. Das offenbart sich bei ihrer Einschätzung einer aktuellen Debatte: Die Bundesregierung hat den Weg für einen Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung an Grundschulen geebnet. Von 2025 an soll jeder Grundschüler bis in den Nachmittag hinein betreut werden können. Mit einem Sondervermögen in Höhe von zwei Milliarden Euro will der Bund die eigentlich zuständigen Länder beim Ausbau der Betreuungsangebote unterstützen. Anita Klahn sieht das kritisch: „Berlin sagt ‚Rechtsanspruch auf Ganztag‘ und gibt auch ein wenig Geld für bauliche Maßnahmen dafür. Aber wenn man das jetzt mal umrechnet auf die Schulen, auf den einzelnen Schüler, dann ist das eine Summe, damit können wir wenig machen, etwa kein Personal bezahlen. Also, so gehe ich immer ran an die Sachen, relativ sachlich. Abwägen – brauchen wir das? Wie soll es gestaltet sein? Was für Empfindungen sind dahinter bei den Familien?“ 

Zweite Karriere in der Politik

Als Mutter von drei Söhnen kennt sie die üblichen Probleme in Familien. Sie selbst wollte gerne wieder in ihren gelernten Beruf einsteigen, als ihre Jungs den Windeln entwachsen waren. Die Familie war kurz zuvor in ein eigenes Haus in einem Neubaugebiet gezogen. Die Kita-Plätze waren knapp, eine Schule gab es nicht. „Nee, da misch‘ ich mich jetzt ein“, habe sie sich dann gedacht. „Wir können jetzt noch eine Stunde hier am Zaun stehen und uns beklagen, oder wir schreiben jetzt einen Brief an den Bürgermeister.“ Das haben sie und eine Freundin dann gemacht.

Der Startschuss für Anita Klahns zweite berufliche Karriere – als Politikerin – war damit gefallen. „Ich habe mich auf kommunaler Ebene für eine Verbesserung der Kita-Situation eingesetzt. Als Elternvertreterin habe ich darum mit 40 Jahren meine erste Demo organisiert.“ Sie selbst hätte nicht gedacht, dass ihr das einmal passieren würde. Irgendwann kam beim Einmischen in die Kommunalpolitik tatsächlich die Frage auf, wo sie sich politisch einordnet. „Wer sind Sie eigentlich? Wo gehören Sie hin?“ Das hatte sie eine SPD-Gemeindevertreterin gefragt. „Und ich habe dann überlegt, wer hat uns in dieser ganzen Zeit hier am besten unterstützt? – und das war die FDP. Dann habe ich Kontakt zu dem Vorsitzenden aufgenommen und gefragt, ob ich noch einmal vorbeikommen könnte.“

Seit 2000 ist sie Mitglied in der Partei, wurde bereits 2001 stellvertretende Vorsitzende im Bezirksverband Nordstormarn. Seit 2006 war sie für die FDP als Stadtverordnete in Bad Oldesloe aktiv. Bei der Landtagswahl in Schleswig-Holstein 2009 entschied sie sich schließlich, einfach ihr Glück zu versuchen. Und hatte Erfolg. Ganze 14,9 Prozent der Stimmen konnte ihre Partei, die inzwischen mancherorts vor der Fünf-Prozent-Hürde zittern muss, damals erzielen. Auf Platz fünf der Landesliste war ihr ein Mandat im Landtag sicher. Sie stieg in der Hierarchie der Partei auf, ihre Themen aber sind über die Jahre die gleichen geblieben.

Kita-Reform – Mission erfüllt

Anita Klahn ist vor 20 Jahren in die Politik gegangen, um sich für bezahlbare und bessere Kitas einzusetzen. Darum ist sie stolz, dass sie als Teil der regierenden Jamaika-Koalition die Kita-Reform mitgestaltet hat: „Ich wollte die Kita-Systematik verändern. Das habe ich jetzt nach 20 Jahren politischer Arbeit und zehn Jahren hier im Landtag erreicht. Wir haben die Gesetzgebungsverfahren abgeschlossen, jetzt geht’s an die Umsetzung. Das ist manchmal für mich wirklich nicht greifbar, dass ich das umsetzen konnte, wofür ich mal angetreten bin. Ich glaube, das kann nicht jeder von sich sagen.“

16:00 Uhr. Flur des Landeshauses vor dem Plenarsaal. Die bildungspolitischen Sprecherinnen und Sprecher der Fraktionen versammeln sich vor dem Eingang zum Plenarsaal. Die Stimmung ist gelöst. Anita Klahn wechselt ein paar Worte mit ihrer Kollegin Ines Strehlau von den Grünen und nimmt noch schnell einen Kuchen auf die Hand. Das Mittagessen musste leider ausfallen und nun steht schon der nächste Termin an. In den kommenden 90 Minuten stellen sich die Abgeordneten in einer Podiumsdiskussion den Fragen von Schülervertreterinnen und -vertretern aus ganz Schleswig-Holstein. Dreimal im Jahr findet ein Landesschülerparlament statt, jeweils eines davon im Landtag, um direkt mit der Landespolitik ins Gespräch zu kommen. Wie soll der Informatikunterricht an Schulen aussehen? Dürfen Lehrer ihre politische Meinung in den Schulunterricht einbringen? Welche Sprachen sollen unterrichtet werden? Zu welcher Uhrzeit soll der Schulunterricht beginnen? Die Fragen der Schülervertreterinnen und -vertreter stammen aus ihrer Lebenswelt.

18:00 Uhr. Im Parkhaus des Landtages. Anita Klahn steigt wieder in ihren Wagen. Feierabend hat sie noch immer nicht. Sie wird in ihrer Heimatgemeinde zum Grünkohl-Essen mit dem FDP-Ortsverband erwartet. Und am Wochenende? Da hilft sie einem ihrer Söhne beim Umzug: „Ich habe das Gefühl, irgendeiner von ihnen zieht immer um“, sagt Klahn und lacht. Vielleicht schafft sie es ja trotzdem noch, einen Strandspaziergang mit ihrem Mann zu machen, aber sicher nicht, ohne dabei über Politik zu diskutieren.

Nadine Otte

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