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28.03.00
11:18 Uhr
SPD

Rede der Alterspräsidentin, Gisela Böhrk

Sozialdemokratischer Informationsbrief



Landtag Kiel, 28.03.00
aktuell Es gilt das gesprochene Wort! Sperrfrist: Redebeginn



Eröffnungstagung
der 15. Wahlperiode des Schleswig-Holsteinischen Landtages
am 28. März 2000



Rede der Alterspräsidentin Gisela Böhrk



Schleswig- Holstein

Herausgeber: SPD-Landtagsfraktion und SPD-Landesvorstand Verantwortlich: Sven-Hauke Kaerkes Landeshaus Postfach 7121, 24171 Kiel Tel: 0431/ 988-1309 Fax: 0431/ 988-1308 E-Mail: pressestelle@spd.ltsh.de Internet: www.spd.ltsh.de SPD -2-



Anrede

Als bisher jüngste Alterspräsidentin in der Geschichte des Schleswig- Holsteinischen Landtages begrüße ich Sie. Ich verbinde mit dieser Tatsa- che die Hoffnung auf eine politische Öffnung der Parteien für die Jugend, damit ich nicht als jüngste Alterspräsidentin aller Zeiten in die Geschichte eingehe.

Dieser Landtag ist der erste im neuen Jahrhundert. Er ist der erste im neuen Jahrtausend. Wir Abgeordnete nehmen unsere Arbeit in gewohnter Weise auf.

Die Welt aber, in der wir leben, ist in einem Umbruch begriffen.

Das Zeitalter der neuen Informationstechnologien zieht tiefgreifende - bislang ungeahnte - Veränderungen von Wirtschaft und Gesellschaft nach sich - vermutlich auch der Politik. Die Auswirkungen dieses Umbruchs sind wohl nur mit jenen vergleichbar, die die Erfindung des Buchdruckes auslöste.

Es geschieht eine rasante Veränderung, die unsere Köpfe erst zögerlich wahrzunehmen beginnen. Innerhalb von Sekunden sind Finanzmittel, Ma- schinenbaupläne, Problemlösungsvorschläge und die Debatten darüber an jedem Punkt der Welt. -3-



• Während wir hier die um die Wirtschaftspolitik und Arbeitsplätze des Landes ringen, fusionieren Banken und Wirtschaftsunternehmen zu Megakonzernen, um als „global players“ die Märkte zu erobern.

• Während wir hier den Landtag in gewohnter Art eröffnen, fragt sich die Angestellte der Deutschen Bank gleich um die Ecke, ob es ihre Filiale im nächsten Jahr noch geben wird. Und der Chef der Lübecker der Commerzbank kann nicht sicher sein, ob sein Arbeitsplatz nicht heute schon der Hongkong-Bank gehört.

• Wir werden hier demnächst vielleicht um 50000 DM für die Unterstüt- zung eines für die regionale Beschäftigungspolitik wichtigen Betriebes ringen. Mit dem Börsenwert von Vodaphone/Mannesmann könnten alle Kosten des Landeshaushalts 20 Jahre lang übernommen werden.

• Während Firmen und ihre Arbeitsplätze quasi online gekauft und ver- kauft werden - ohne irgendeine Rücksicht auf regionale, nationale und kontinentale Grenzen und ihre traditionellen Regeln und Institutionen, wird die Opposition die Regierung auffordern, endlich im Lande Schles- wig-Holstein etwas für die Rettung der Arbeitsplätze zu tun - und die Regierung wird diese Aufforderung nicht von sich weisen können.

Wenn Geld und Märkte so weltumspannend tätig und so mächtig sind,
was kann, was soll Politik - zumal Landespolitik - da noch ausrichten?
Sind wir in den Parlamentsdebatten und Ausschüssen wie die fliegenden -4-



Holländer, die unablässig dieselben Bewegungen machen und nie mehr
ans Ziel kommen können?
Sind wir wie die Artisten in der Zirkuskuppel, ratlos, aber rastlos? Und im-
mer rastloser, je ratloser wir sind?


Was die Menschen von uns verlangen - zu recht verlangen - ist wenig- stens ein Quäntchen Orientierung in der Unübersichtlichkeit. Gleichwohl müssen wir uns und ihnen gegenüber eingestehen, dass unsere traditio- nellen Instrumente weder regional noch national in gewohnter Weise wirk- sam sind. Wir müssen vor allem eins eingestehen: Auch die politische Klasse selbst ist noch dabei herauszufinden, wie die Gestaltung des Ge- meinwesens im Zeitalter der Globalisierung denn funktionieren könne.

Wichtig ist aber: Wir müssen unbeirrt und noch mit größerer Macht als je- mals zuvor daran festhalten: Die globalisierte Ökonomie darf die Politik nicht auf den Beifahrersitz der gesellschaftlichen Gestaltung verdrängen.

Wenn die Kräfte des Marktes auf das konzentriert sind, was der Markt am besten kann: Die Menschen mit Gütern und Dienstleistungen versorgen, Eigeninitiative und Leistung fördern, wenn das Gemeinwesen nach gemeinsamen Werten von Mitmenschlich- keit, Freiheit und Gleichheit gestaltet wird, dann wird die Marktwirtschaft nicht zur Marktgesellschaft. -5-



Nicht alles und jedes darf wie eine Ware behandelt werden, vor allem Menschen nicht, ihre Arbeit, ihre Gesundheit, ihre Bildung und Kultur. Un- sere Politik darf den Anspruch nicht aufgeben, eine Gesellschaft zu ge- stalten, in der die Menschen gern leben und die den Kinder Zukunft gibt.

Wir haben als gewählte Abgeordnete, als Parlament und Regierung den Auftrag dazu . Aber wir haben keine probaten Rezepte, wie dies gelingen kann. Es gelingt sicher nicht mit den Denkgewohnheiten und Arbeitsmu- stern der Vergangenheit.

Der Weg zu einer gestaltenden Politik in diesen Zeiten ist durchaus müh- sam und frustrierend. Nicht allein für die Akteure, auch für das Publikum und die Vermittlungsinstanzen, die Medien. Und die Verlockung - die Ge- fahr - ist groß, dass die Politik aus dem Gestaltungsdilemma flieht zur Unterhaltungsshow, zur täglichen soap opera.

Dafür gibt es Gründe: Die öffentliche Wertschätzung folgt gern und häufig der ansprechenden Oberfläche. In der Unübersichtlichkeit des Umbruchs gibt es eine Tendenz weg von den Inhalten hin zu Marketingstrategien. Image bildet sich - auch in der Politik - nicht mehr zuerst über die Biogra- phie, auch nicht mehr allein über Leistung, sondern über den schönen Schein, das Design, den Event, die Inszenierung. Was sich gut verkau- fen läßt, ist gut. Was sich gut verkaufen läßt, ist erfolgreich. Das Sperrige, das Differenzierte, das, was sich nicht in 0:30 „rüberbringen“ lässt, hat es dagegen schwer. Wenn Politik entgegen aller Trends zu ihrer besonderen -6-



Verantwortung steht, dann darf sie nicht aus der unübersichtlichen Rea- lität in den schönen Schein und damit aus der Verantwortung fliehen.

Sie muss - gerade weil wir in den Zeiten des schnellen Profits, des kurzfri- stigen Erfolgs, der Kurzfristigkeit insgesamt leben - eine Kultur der Lang- fristigkeit entwickeln. Das ist im übrigen nicht nur Aufgabe der Politik. Es gilt auch für Unternehmen, für gesellschaftliche Institutionen. Das be- deutet: Für richtig gehaltene Ziele langfristig zu verfolgen, auch dann, wenn es keine täglichen medialen Streicheleinheiten dafür gibt.

Kultur der Langfristigkeit bedeutet im übrigen auch ganz praktisch, das Know-how und die Erfahrungen der ausgeschiedenen Kollegen systema- tisch in unsere Arbeit einzubeziehen.

Wenn wir ein Bewußtsein für die besonderen Schwierigkeiten politischer Gestaltung in Zeiten des Umbruchs entwickeln, wird vielleicht mehr Offen- heit möglich. Es wird vielleicht möglich, mehr und mehr auf die gängigen Pawlowschen Reflexe der Politik zu verzichten, durch die so gut wie jeder Vorschlag des politischen Gegners zurückgewiesen wird.

In einigen Bereichen ist uns das in den letzten Jahren ganz gut gelungen: In der Minderheitenpolitik, bei der Ostseekooperation. Die Sicherung der Zukunft der jungen Generation könnte eine weitere gemeinsame Zielset- zung sein. -7-



In diesem Sinne wünsche ich uns allen gute Arbeit in den nächsten fünf Jahren.