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11.10.07
10:58 Uhr
B 90/Grüne

Detlef Matthiessen zu TOP 11 - Klimaschutz

Fraktion im Landtag PRESSEDIENST Schleswig-Holstein Pressesprecherin Es gilt das gesprochene Wort Claudia Jacob Landeshaus TOP 11 Klimawandel Düsternbrooker Weg 70 24105 Kiel
Dazu sagt der umweltpolitische Sprecher Durchwahl: 0431/988-1503 Zentrale: 0431/988-1500 der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, Telefax: 0431/988-1501 Detlef Matthiessen: Mobil: 0172/541 83 53 E-Mail: presse@gruene.ltsh.de Internet: www.sh.gruene-fraktion.de

Nr. 421.07 / 11.10.2007

Wir haben kein Erkenntnisdefizit. Wir müssen nur anfangen. Zunächst möchte ich der Landesregierung und den Mitarbeitern für die Erarbeitung der Antworten zu der Anfrage danken. Natürlich ist der Bericht noch mal eine gute Zusammen- fassung der wichtigsten Daten zum Treibhauseffekt, zur Emission von klimaverändernden Gasen, zu den Emissionsquellen, zur Energieerzeugung und –nutzung. Weltweit, in Euro- pa, in Deutschland, in Schleswig-Holstein.
Trotzdem, und das ist vor allem an die CDU-Fraktion adressiert, bleibt eine entscheidende Feststellung: Wir haben kein Erkenntnisdefizit. Wir ein Handlungsdefizit.
Wir wissen, dass wir radikal umsteuern müssen. Wir müssen handeln. Wir haben nicht die Luxussituation, aus einem bunten Strauß von Möglichkeiten einige wenige der schönsten Blumen langwierig auszusuchen, und bitte nur die ohne Stacheln, weil Großkoalitionäre doch so empfindlich sind. Wir müssen jedes sich bietende Instrument im Kampf um den Klimaschutz nutzen.
Es gilt nicht, den Klimawandel zu verhindern, denn wir sind mitten drin. Das Ziel lautet, den Anstieg der Durchschnittstemperatur auf mehr als zwei Grad zu verhindern. Wir sind mitten drin im Klimawandel. Der Klimaforscher Professor Mojib Latif wurde vorgestern in Lübeck von der Moderatorin Maybrit Illner befragt. Das war in einer Podiumsdiskussion auf dem Wirtschaftstag der Volksbanken. Seit wann warnt die Wissenschaft vor dem Klimawandel? Seit über 20 Jahren, antwortete der Professor.
Es mag für die CDU neu sein, dass "der Klimawandel kommt" und dass dieses "unter den führenden Fachleuten unumstritten" sei. So erstaunte sich der Sprecher ihrer Fraktion. Die CDU ist immer noch in der Phase der Verwunderung, dass es den Treibhauseffekt wirklich gibt, nachdem die Erkenntnisse der "führenden Fachleute" jahrzehntelang an ihr vorbeige- gangen sind. Wir müssen jetzt anfangen.
Der Bericht unterscheidet sich in Teilen durch ein hohes Maß an Realismus wohltuend von den Ausführungen im so genannten Grünbuch des Wirtschaftsministeriums. Jeder 1/2 weiß, dass der Ausbau der Kraft-Wärme-Kopplung eine Schlüsseltechnologie für die ökolo- gische Energiewende ist. Minister Austermann schlägt in seinem Grünbuch vor, den derzei- tigen KWK-Anteil in Schleswig-Holstein von derzeit 15 Prozent auf 19 Prozent in 2020 zu steigern. Unglaublich! In der Antwort zur großen Anfrage steht jedoch: Dänemark (fast 50 %), die Niederlande (ca. 40 % KWK Anteil an der Stromerzeugung) so- wie Österreich und Finnland (jeweils ca. 30 %) zeigen, dass in Abhängigkeit von den Rand- bedingungen erheblich höhere Potenziale erschließbar sind, als bisher in Deutschland rea- lisiert wurden.
Diese richtige Feststellung stört Energieminister Austermann genauso wenig, wie folgende Stelle: Sowohl die EU, als auch die Bundesregierung räumen der KWK einen hohen Stel- lenwert ein. So hat sich die Bundesregierung das Ziel gesetzt, bis 2020 eine Verdopplung des Anteils von Strom aus Kraft-Wärme-Kopplung auf etwa 25 % zu erreichen.
Der Bericht macht auch folgendes deutlich: CCS, Cabon Capture Sequestration, also das CO2-freie Kohlekraftwerk ist ein Hirngespinst. Die Technik gibt es nicht. Wenn sie mal kommt, kommt sie zu spät. Der Wirkungsgrad wird verschlechtert, man braucht viel mehr Kohle und hohen technischen Aufwand. Das wird teuer.
Wohin mit dem CO2? Ablagern wohin und wie sicher? Eine Leckage von 0,5 Prozent würde das ganze versteckte Kohlendioxid in 200 Jahren in die Atmosphäre entlassen, die davor für sehr lange Zeiträume geschützt werden. Aber die versammelten Kohlefreunde lassen keine Gelegenheit aus, von CO2-freien Kraftwerken zu faseln: Vattenfall Chef Cramer am Dienstag in Lübeck, Herr Austermann im Grünbuch. Dann sollen doch Kohlekraftwerke nur noch genehmigt werden, wenn sie das leisten können. Zwei Sätze in einer schönen Ge- nehmigungsauflage.
Mich erinnert das CO2-Abscheidungsversprechen an die Atommüllendlagerung. Wissen Sie, warum die Betriebserlaubnis von Atomkraftwerken an einen „Entsorgungsvorsorge- nachweis“ von nur 6 Jahren gebunden ist? Weil man glaubte, die Atommüllfrage in dieser Zeit gelöst zu haben. Hätte man damals doch nur die Bau- und Betriebsgenehmigung an eine sichergestellte Atommüllendlagerung geknüpft. Dann hätten wir heute keine AKW.
Ein anderes Luftschloss ist die Fusionsenergie, im Bericht zu finden ab Seite 44. Die Tech- nik steht vielleicht ab 2050 zur Verfügung, es seien aber Sicherheits- und Sicherungsfragen sind zum heutigen Zeitpunkt noch keineswegs vollständig geklärt. Darüber hinaus sei auch zu bedenken, dass der finanzielle Aufwand für Forschung und Entwicklung erheblich ist. Bis heute seien schon deutlich mehr als 10 Mrd. Euro in die Fusionsforschung investiert wor- den, ein Mehrfaches davon dürfte im Laufe der kommenden Jahrzehnte noch anfallen.
Ein Milliardengrab für eine Technik die wahrscheinlich gar nicht kommt, die aber für den Klimaschutz vor allem zu spät kommt. Der zuständige Minister verfasst unrealistische Grünbücher, ohne Kraft-Wärme-Kopplung, ohne Einsparung durch Effizienz, mit der Per- spektive von Kohle befeuerten Großkraftwerken, die zu einer Vervierfachung der Treib- hausgasemissionen auf der Stromseite in Schleswig-Holstein führten. 30 Prozent mal Vier. Das macht deutlich, dass keine Maßnahme in anderen Sektoren dies ausgleichen kann.
Die Landesregierung kann oder will es nicht. Genauso wenig die Bundesregierung. Bei der Begrenzung der Emissionen aus dem Verkehr tritt die Bundesregierung auf die Bremse. Die Kraftfahrzeugindustrie hat ihre Zusagen zur Reduzierung des Verbrauchs nicht eingehalten. Sie hat damit gesetzgeberisches Handeln verhindern wollen und zugesichert, dass die Her- steller 120 g CO2 durch eigenes Handeln zu erreichen. Versprochen – Gebrochen. Die Bundesregierung hat ihren Vorschlag zum Nationalen Allokationsplan II, also die Ver- pflichtung der Kraftwerkbetreiber zur Reduzierung der Treibhausgase, von der EU- Kommission postwendend zurückgeschickt bekommen, weil die Ziele absolut unzureichend waren. Sie hat die Emissionsrechte an die Stromwirtschaft verschenkt, die Stromwirtschaft hat diese jedoch umgehend in die Stromrechnungen an ihre Kunden eingepreist. Auch hier hat die Industrie viel ehrgeizigere Ziele versprochen, und nichts umgesetzt. Freiwillige Ver- einbarungen helfen offenbar wenig bis nichts.
Die Koalition hier in Schleswig-Holstein hat wie die Bundesregierung die letzte Novelle der Energieeinsparverordnung nicht genutzt, die baurechtliche Verpflichtung zur Wärmedäm- mung von Gebäuden dem technischen Stand anzupassen. Es blieb beim Stand von 1995. Sie haben unseren Antrag durch Nichtbefassung so lange verzögert, bis das Gesetzge- bungsverfahren verstrichen war. Das ist, um es deutlich zu sagen, eine Klimaschutzverhin- derungspolitik. Dies ist voller Absicht geschehen und die SPD macht alles mit.
Hier gilt in Abwandlung das Bibelwort: Herr, vergib ihnen nicht, denn sie wissen genau was sie tun. Sie opfern klimaschutzpolitisches Handeln ihrem kleinlichen parteipolitischen Kal- kül.
Sie handeln nicht. Sie erarbeiten keine eigenen Initiativen. Sie verhindern Anträge der Op- position. Dabei werden diese nicht direkt abgelehnt, sondern nicht befasst, geschoben oder durch Berichtsanträge und Abwarten auf angebliche noch zu erwartende Konzepte ver- senkt.
Wir haben im August ein Energiekonzept für Schleswig-Holstein vorgelegt, in dem wir zei- gen: Es geht auch anders. Wir können die Energiewende schaffen in unserem Land, ohne Kohle, ohne Atom. Wir haben kein Erkenntnisdefizit. Wir müssen nur anfangen.
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