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09.07.14
11:06 Uhr
Landtag

Landtagspräsident Schlie: Neue Verfassung ein Gewinn für unser Land

68/2014 Kiel, 9. Juli 2014


Landtagspräsident Schlie: Neue Verfassung ein Gewinn für unser Land

Kiel (SHL) – Landtagspräsident Klaus Schlie hat die Reform der Landesverfas- sung als „ein Gewinn“ für Schleswig-Holstein bezeichnet. „Wir bringen eine moderne Verfassung auf den Weg. Sie greift die Herausforderungen unserer Zeit auf und lässt dabei niemanden zurück. Die Verfassung ist der Grundstein unseres Zusammenlebens. Darauf können wir zu Recht stolz sein“, sagte Schlie heute im Kieler Landeshaus. Bei der Vorstellung des Abschlussberichtes wür- digte der Landtagspräsident zudem die Bürgerbeteiligung bei der Reform. Die Schleswig-Holsteiner waren zu Beginn des Prozesses aufgerufen, eigene Ände- rungsvorschläge einzubringen.


Die Rede im Wortlaut:
Sehr geehrte Damen und Herren,
der Sonderausschuss Verfassungsreform legt Ihnen nach einer etwa einjährigen Arbeit sei- nen Abschlussbericht mitsamt den Empfehlungen des Sonderausschusses zur Änderung der Landesverfassung vor. Der Sonderausschuss ist auf Antrag aller Fraktionen durch Beschluss des Landtags vom 26. April 2013 eingesetzt worden. Sein Auftrag lautete, Vorschläge zur Änderung oder Ergänzung der Landesverfassung zu prüfen und dem Landtag vorzulegen. Ihm gehörten sieben Mitglieder – ein Mitglied je Fraktion sowie ich selbst als Vorsitzender – an.

Die Arbeit des Sonderausschusses haben drei renommierte Staatsrechtslehrerinnen und Staatsrechtslehrer als wissenschaftliche Berater unterstützt.



Verantwortlich für diesen Pressetext: Tobias Rischer, Düsternbrooker Weg 70, 24105 Kiel ǀ Tel. 0431 988-1120 ǀ Fax 0431 988-1119 E-Mail: pressesprecher@landtag.ltsh.de ǀ Medien-Informationen im Internet: www.ltsh.de ǀ Der Landtag im Internet: www.sh-landtag.de Der Ausschuss ist von der konstituierenden Sitzung am 3. Juni 2013 bis zum vorläufigen Ab- schluss seiner Arbeiten am 30. Juni 2014 zu zehn öffentlichen Ausschusssitzungen zusam- mengetreten und hat seine Beratungen in zehn weiteren internen Arbeitsgruppensitzungen vorbereitet. Der Ausschuss hat 66 schriftliche und sechs mündliche Stellungnahmen und 16 Gutachten und Beratungsbeiträge des Wissenschaftlichen Dienstes eingeholt.

Bis zum Abschluss der Arbeiten hat sich der Ausschuss mit insgesamt 144 Beratungsunterla- gen befasst. Zudem sind die Mitglieder des Ausschusses zu einer Klausurtagung zusammen- getreten. Ziel war es auszuloten, welche politischen und gesellschaftlichen Weiterentwicklun- gen eine Verfassungsänderung erfordern und welche Verfassungsänderungen konsens- und mehrheitsfähig sind.

Wie im Einsetzungsbeschluss vorgesehen, hat der Sonderausschuss Verfassungsreform auch die Bürgerinnen und Bürger des Landes Schleswig-Holstein an seiner Arbeit beteiligt. Die Öffentlichkeit erhielt für einen längeren Zeitraum Gelegenheit, sich schriftlich oder per E- Mail mit Vorschlägen zur Verfassungsreform an den Sonderausschuss zu wenden. Die ein- gegangenen Vorschläge hat der Sonderausschuss ausgewertet und in seine Beratungen ein- bezogen.

Die Änderungsvorschläge, die detailliert im Abschlussbericht erläutert werden, stehen in ei- nem größeren Zusammenhang. Die schleswig-holsteinische Landesverfassung ist am 12. Januar 1950 als „Landessatzung“ in Kraft getreten. Sie sollte zunächst lediglich ein Orga- nisationsstatut mit vorläufigem Charakter sein, da man einer Neuordnung der Länder nicht vorgreifen wollte.

Erst als sich Schleswig-Holstein längst als lebenskräftiges Land in der Bundesrepublik Deutschland erwiesen hatte, erhielt die bisherige Landessatzung die Bezeichnung „Landes- verfassung“. Sie schrieb die Eigenstaatlichkeit des Landes fest und nahm erstmals Staats- zielbestimmungen auf.

Seit 1990 sind 15 weitere Verfassungsänderungen vorgenommen worden. Darunter waren Meilensteine wie die Errichtung des Landesverfassungsgerichts und die Rezeption der Grundrechte des Grundgesetzes, die damit in Schleswig-Holstein unmittelbar als Landesrecht gelten.

Wir sehen aus dieser Entwicklungsgeschichte unserer Verfassung: Es gibt keinen Stillstand. Nur ein dynamisches Verfassungsverständnis schafft den Brückenschlag zwischen politischer Theorie und demokratischer Praxis. Deshalb müssen auch Verfassungen immer wieder über- prüft und angepasst werden.



2 Der Sonderausschuss hat sich der Aufgabe gestellt, die Landesverfassung auf ihre Zeitge- mäßheit zu überprüfen und, wo geboten, Modernisierungen vorzuschlagen. Richtig ist: Verfassungsänderungen sind nur vorsichtig und sparsam vorzunehmen. Hat sich aber die Wirklichkeit verändert, sich vielleicht sogar von der Verfassungsnorm weg- oder weiterentwickelt, verliert die Verfassung ihren prägenden Charakter.

Bevor ich auf einzelne Punkte eingehe, lassen Sie mich eines vorweg schicken: Auch wenn der Ausschuss nicht in allen Punkten Übereinstimmung erzielen konnte, herrscht doch in ganz wesentlichen Punkten Einigkeit! Einigkeit darüber, gemeinsam eine bürgernahe und moderne Landesverfassung zu schaffen.

Wir empfehlen deshalb, die Orientierung der Verwaltung an den Grundsätzen der Bürgernä- he, Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit als Grundsatz in der Verfassung festzuschreiben. Was dies konkret bedeuten kann, ergibt sich auch aus einer Reihe weiterer Bestimmungen, die wir zur Aufnahme in die Landesverfassung empfehlen. So greifen wir neue, digitale Her- ausforderungen auf.

Wir empfehlen, dass das Land digitale Basisdienste der Verwaltung gewährleistet, die den Bürgerinnen und Bürgern die digitale Kommunikation mit der Verwaltung und die elektroni- sche Abwicklung von Vorgängen erleichtern.

Wir empfehlen, bereits jetzt den elektronischen Zugang zu den Behörden und Gerichten in der Landesverfassung - gleichwertig neben dem persönlichen und schriftlichen Zugang - zu verankern.

Bundesweit wird das Land Schleswig-Holstein damit zum Vorreiter einer modernen Kommu- nikation zwischen der Verwaltung und den Bürgerinnen und Bürgern. Wir empfehlen darüber hinaus, dem bereits hohen Standard des Informationszugangsgesetzes mit einer neuen Ver- fassungsbestimmung über „Transparenz“ Verfassungsrang zu verschaffen.

Eine bürgernahe Verwaltung lebt ganz maßgeblich davon, dass sie den Bürgerinnen und Bürgern amtliche Informationen zur Verfügung stellt. Diese Grundregel kann aber einge- schränkt werden, soweit entgegenstehende öffentliche oder schutzwürdige private Interessen überwiegen.

Wir wollen aber auch, dass die Bürgerinnen und Bürger die Gesetzgebung leichter und schneller nachvollziehen können. Deshalb empfiehlt der Ausschuss, die elektronische Veröf- fentlichung von Gesetzen und Rechtsverordnungen unmittelbar nach ihrer Verkündung vor- zusehen.



3 Es handelt sich um einen Online-Zugang auf das Gesetz- und Verordnungsblatt, der sicher- stellen soll, dass Gesetzesänderungen schnell und niedrigschwellig nachvollzogen werden können.

In einer Zeit, in der mobile Kommunikation, die elektronische Speicherung von Daten und das Internet unverzichtbarer Bestandteil der privaten Lebensgestaltung geworden sind, beschäf- tigt die Sicherheit in der digitalen Welt vor allem die Bürgerinnen und Bürger. Welchen Nach- holbedarf Recht und Politik hier gegenüber den technischen Möglichkeiten haben, können wir seit Monaten täglich den Nachrichten entnehmen.

Deshalb empfehlen wir, das Land durch ein Staatsziel zu verpflichten, den Schutz der digita- len Privatsphäre der Bürgerinnen und Bürger zu gewährleisten. Dieser Schutz umfasst die informationelle Selbstbestimmung der Bürgerinnen und Bürger gegenüber staatlichen und nichtstaatlichen Beeinträchtigungen und die Vertraulichkeit und Integrität ihrer digitalen Kom- munikation.

Die vorgeschlagene Verfassungsreform stärkt darüber hinaus die demokratische Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger.

Wir empfehlen in großer Übereinstimmung, das Unterstützerquorum für das Volksbegehren von fünf Prozent aller Stimmberechtigten, also 112.000, auf 80.000 Stimmberechtigte zu sen- ken.

Volksentscheide über einfache Gesetze sollen bereits dann erfolgreich sein, wenn neben der Mehrheit der abgegebenen Stimmen auch die Zustimmung von mindestens 15 Prozent – statt bisher 25 Prozent – der Stimmberechtigten erreicht wird. So die mehrheitliche Auffassung im Ausschuss.

Sollen direktdemokratische Beteiligungsmöglichkeiten ernst genommen werden, hält es der Ausschuss für geboten, die bisherigen Hürden zu senken und dabei sicherzustellen, dass das Volksbegehren beziehungsweise der Volksentscheid von einer hinreichenden Anzahl Stimm- berechtigter getragen wird.

Eine besondere Form der Bürgerbeteiligung ist das Petitionswesen, speziell die öffentliche Petition. In Zukunft sollen öffentliche Sitzungen des Petitionsausschusses grundsätzlich mög- lich sein, um die angemessene Behandlung insbesondere öffentlicher Petitionen im Landtag zu gewährleisten. Denn dies sind Petitionen, die in aller Regel von allgemeinem Interesse sind.

Es wäre inkonsequent, solche Petitionen, die von mehreren Tausend Petenten unterstützt werden können, zwingend in nicht öffentlicher Sitzung des Petitionsausschusses zu behan- deln.

4 Zum Schutz eines jeden Petenten verbleibt es aber bei der Grundregel, dass der Petitions- ausschuss Petitionen in nicht öffentlicher Sitzung behandelt.

Der Ausschuss empfiehlt ferner, den von den Bürgerinnen und Bürgern unmittelbar gewähl- ten Landtag weiter gegenüber der Landesregierung zu stärken. Gegenüber der weitreichen- den Verfassungs- und Parlamentsreform des Jahres 1990 empfiehlt der Ausschuss kleinere, aber – wie sich in der Vergangenheit gezeigt hat – notwendige Ergänzungen.

So soll die Landesregierung künftig verpflichtet sein, auf Verlangen des Landtags ein Verfah- ren vor dem Bundesverfassungsgericht zur Wahrung seiner Rechte anhängig zu machen. Hintergrund ist die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur bundesrechtlichen „Schuldenbremse“, gegen deren Einführung der Landtag nicht selbst vor dem Bundesverfas- sungsgericht vorgehen konnte.

Zum Schutz seiner landesverfassungsrechtlichen Befugnisse soll er daher die Landesregie- rung verpflichten können, ein Verfahren anhängig zu machen.

Eine bürgernahe und moderne Landesverfassung sollte auch soziale und kulturelle Heraus- forderungen aufgreifen. Wir empfehlen daher die Aufnahme eines alle Träger staatlicher Ge- walt verpflichtenden Staatsziels Inklusion in die Landesverfassung. Das Land setzt sich da- nach für die Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderung sowie ihre gleichberechtigte gesellschaftlichen Teilhabe ein.

Ein deutliches Signal setzt der Ausschuss mit seinen Empfehlungen zum Schulverfassungs- recht. Sind bereits jetzt der Schutz und die Förderung der nationalen dänischen Minderheit und der friesischen Volksgruppe allgemein in der Verfassung niedergelegt und in einigen ein- fachen Gesetzen ausgeprägt, soll die Verfassung nun konkreter werden. Das Schulwesen der nationalen dänischen Minderheit soll in der Verfassung verankert und institutionell gewährleistet werden.

Überwiegend empfiehlt der Ausschuss darüber hinaus, auch die Finanzierung der dänischen Schulen durch das Land in einer der Finanzierung der öffentlichen Schulen entsprechenden Höhe festzuschreiben. Die Finanzierung der anderen privaten Ersatzschulen überlässt der Sonderausschuss der künftigen einfachen Gesetzgebung. Eine Initiative, auch für diese Schulen eine Gleichstellung in der Verfassung zu erreichen, fand keine Mehrheit.

Mit seiner Empfehlung, den Friesisch- und Niederdeutschunterricht in öffentlichen Schulen zu schützen und zu fördern, setzt der Ausschuss ein deutliches Signal, die kulturelle und sprach- liche Vielfalt im Land ernst zu nehmen, zu bewahren und dies an prominentester Stelle zum Ausdruck zu bringen.



5 In meinen einleitenden Worten habe ich Ihnen den Weg von der Landessatzung zu einer mo- dernen Landesverfassung skizziert. Heute schlägt der Sonderausschuss nunmehr vor, dieser Landesverfassung gewissermaßen als Eingangsportal eine Präambel voranzustellen, durch die sich das Land neben universellen Werten wie Demokratie, Freiheit, Toleranz und Solidari- tät zu den historischen und kulturellen Grundlagen unseres Landes Schleswig-Holstein be- kennt.

In der Empfehlung des Sonderausschusses für die Präambel fehlt das Bekenntnis zu der Verantwortung vor Gott und den Menschen. Letztlich hat sich im Sonderausschuss nach in- tensiver Diskussion – aus meiner Sicht leider – für dieses Bekenntnis kein hinreichender Konsens herstellen lassen. Die Vermeidung des Gottesbezuges wurde mit der abnehmenden Religiosität der Gesellschaft und der religiösen Neutralität des Staates begründet, der ein Gottesbezug widerspräche.

Gestatten Sie mir die persönliche Bemerkung, dass es den Befürwortern des Gottesbezuges nicht darum geht, die Verfassung auf ein bestimmtes religiöses Bekenntnis festzulegen. Das Bekenntnis zu der Verantwortung vor Gott – nicht zu Gott – und den Menschen gesteht ein, dass weder Staaten noch Menschen aus sich heraus vollkommen sind, sondern ihrer immer sich erneuernden Rechtfertigung bedürfen.

Dies ist eine Absage an totalitäre Willkür und eine Zusage an Freiheit und Menschenrechte, die die vorgeschlagene Präambel betont, ohne aber deren Verwurzelung und die Letztver- antwortung des Staates in den Blick zu nehmen. Steht dies im Vordergrund, kann das Be- kenntnis zu der Verantwortung vor Gott und den Menschen sicherlich auch von nicht religiö- sen Menschen akzeptiert werden.

Ein letzter Gedanke dazu sei mir erlaubt: Ist ein echtes Bekenntnis zu den historischen und kulturellen Grundlagen des Landes ohne Bezug auf die rund 1000-jährigen Geschichte des Christentums und auch an 400 Jahren jüdischen Glaubens in unserem Land möglich?

Lassen Sie mich noch kurz auf zwei Punkte eingehen, auf die wir uns nicht verständigen konnten. Dies ist zum einen ein Staatsziel Wirtschaft und Arbeit, das – aus meiner Sicht – als Lebensgrundlage des Landes Schleswig-Holstein und als zusätzlicher Abwägungsgesichts- punkt in die Verfassung hätten aufgenommen werden könnten.

Zum anderen die Aufnahme eines Rechts auf gute Verwaltung über die bereits geplanten Grundsätze einer bürgernahen Verwaltung hinaus, das nach Auffassung des Ausschusses letztlich keinen Mehrwert für die Bürgerinnen und Bürger ergäbe.

Ich will hervorheben, dass das Experiment der Beteiligung der Bürgerinnen und Bürgern ein gutes war und die Sacharbeit des Ausschusses gefördert hat.



6 Ich möchte mich bei den ständigen Beratern des Ausschusses, Frau Professor Brosius- Gersdorf, Frau Professor Sacksofsky und Herrn Professor Schmidt-Jortzig für ihre wissen- schaftliche Expertise bedanken. Den Sachverständigen und angehörten Verbänden danke ich für ihre konstruktive Unterstützung und Mitarbeit.

Vertreterinnen und Vertreter der Landesregierung waren auf vielfältige Weise ebenfalls an der Arbeit beteiligt. Auch Ihnen gilt mein besonderer Dank.

Mein Dank für die gute Zusammenarbeit und Vorbereitung geht insbesondere an die Land- tagsverwaltung.

Ich danke meinen Kolleginnen und Kollegen im Sonderausschuss für die konzentrierte und konstruktive Zusammenarbeit. Wir haben trotz zum Teil erheblicher inhaltlicher Auffassungs- unterschiede gut zusammengearbeitet und heute einen Entwurf vorgelegt, der, wie ich finde, sich sehen lassen kann.



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