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08.10.14
15:22 Uhr
Landtag

Landtagspräsident Schlie: Schleswig-Holstein kann stolz auf neue Verfassung sein

109/2014 Kiel, 8. Oktober 2014


Landtagspräsident Schlie: Schleswig-Holstein kann stolz auf neue Verfassung sein

Kiel (SHL) – Landtagspräsident Klaus Schlie hat den Beschluss zur Änderung der Ver- fassung als einen Meilenstein in der Geschichte des Landes gewürdigt. In seiner Rede hob er die Notwendigkeit hervor, die Verfassung den gesellschaftlichen Realitäten anzu- passen. „Wenn sich die Lebenswirklichkeit der Menschen verändert, sich vielleicht sogar von der Verfassungsnorm weg- oder weiterentwickelt, verliert die Verfassung ihren prä- genden Charakter und bleibt nur noch Symbol“, sagte Schlie heute vor den Abgeordne- ten des Schleswig-Holsteinischen Landtages. Es sei deshalb die Aufgabe aller Abgeord- neten, der Lebenswirklichkeit der Bürger Rechnung zu tragen. Der Landtag stelle sich mit dem heutigen Beschluss dieser wichtigen Aufgabe, „wir schaffen gemeinsam eine bürgernahe und moderne Landesverfassung“.


Die Rede im Wortlaut:

Die Demokratie versteht sich als ein offenes und stets verbesserungsbereites und vor allem verbesserungsfähiges politisches System. Zwar bilden unverhandelbare Grundrechte das stärkste Fundament dieser Ordnung – aber in einem demokratischen Land darf es keinen ver- fassungspolitischen Stillstand geben.

Deshalb haben wir uns in den vergangenen Monaten der Aufgabe gestellt, unsere Landesver- fassung zu überprüfen, neue Impulse aufzunehmen und uns über grundsätzliche Elemente – hier sei die Präambel genannt – zu verständigen. Eine Verfassung ist die entscheidende Grundlage des politischen Handels, sie ist Ausdruck des politischen Grundwillens einer Ge- meinschaft und ihrer Werte und Normen. Deshalb sind Verfassungsänderungen vorsichtig und sparsam vorzunehmen.


Verantwortlich für diesen Pressetext: Tobias Rischer, Düsternbrooker Weg 70, 24105 Kiel ǀ Tel. 0431 988-1120 ǀ Fax 0431 988-1119 E-Mail: pressesprecher@landtag.ltsh.de ǀ Medien-Informationen im Internet:www.ltsh.de ǀ Der Landtag im Internet: www.sh-landtag.de 2


Hat sich aber die Wirklichkeit verändert, sich vielleicht sogar von der Verfassungsnorm weg- oder weiterentwickelt, verliert die Verfassung ihren prägenden Charakter und bleibt nur noch Symbol. Es ist deshalb auch die Aufgabe des Schleswig-Holsteinischen Landtages, der Le- benswirklichkeit der Bürgerinnen und Bürger Rechnung zu tragen. Wir stellen uns daher die- ser wichtigen Aufgabe, die Verfassung weiterzuentwickeln, und schaffen gemeinsam eine bürgernahe und moderne Landesverfassung.

Lassen Sie mich aus den wichtigen Änderungen unserer Landesverfassung einige Punkte kurz herausgreifen, die mir in dem eben geschilderten Zusammenhang besonders wichtig sind. Dabei ist zu betonen, dass um diese Punkte in der Verfassung zwischen uns oft hart gerungen wurde. Das ist gut so, denn das ist Ausdruck dafür, welchen Stellenwert die Verfas- sung für uns alle hat. Eine Verfassung muss die Lebenswirklichkeit der Menschen berücksich- tigen, denen sie dient. Diese Wirklichkeit ist in den letzten Jahrzehnten in noch unabsehbarem Maße von der digitalen Entwicklung geprägt worden. Wir leben in einer digital vernetzten Welt mit digital vernetzten Gesellschaften.

Diese Entwicklung ist nicht allein eine Herausforderung, der eine Verfassung nicht nur mit Impulsen für die Weiterentwicklung des Rechts in der digitalen Gesellschaft begegnen muss. Die moderne digitale Welt eröffnet vor allem neue Chancen für eine Weiterentwicklung der politischen Teilhabe und sie kann entscheidend dazu beitragen, den für unsere Demokratie so wichtigen Gemeinsinn zu stärken. Deshalb kann und darf eine Verfassung zu dieser Entwick- lung nicht schweigen.

In unserer Verwaltung spielen die neuen technologischen Möglichkeiten eine immer größere Rolle, und das zum Wohle der Gesellschaft. Erstmals greift eine Landesverfassung diese Entwicklung auf und benennt sie als Teil der Lebenswirklichkeit der Menschen. Wir haben es im Übrigen bei dieser Entwicklung mit einem Prozess zu tun, der erst in seinen Anfängen steckt. Wir sind also gut beraten gewesen, hier die Verfassung mit Blick auf die Zukunft um diesen Aspekt zu bereichern.

Es ist seit jeher eine wichtige Stärke der Demokratie, neue Impulse und auch technologischen Fortschritt zum Wohle der Menschen und vor allem im Sinne der eigenen unverhandelbaren Werte und Grundsätze aufzunehmen und vor allem auch anzunehmen.

Ein zweiter Punkt ist mitunter heftig unter uns diskutiert worden: Die Frage danach, ob die Landesverfassung in Ihrer Präambel einen Bezug auf Gott beinhalten sollte oder nicht. Ich selbst habe mich immer für den Bezug auf eine zweifache Verantwortung ausgesprochen, und halte es deshalb für wichtig, sich zur Verantwortung vor Gott und zur Verantwortung vor den Menschen an prominenter Stelle der Verfassung zu bekennen.

Das Bekenntnis zur Verantwortung vor Gott – nicht lediglich: zu Gott – und den Menschen gesteht ein, dass weder Staaten noch Menschen aus sich heraus vollkommen sind, sondern 3


ihrer immer sich erneuernden Rechtfertigung bedürfen. Dieses Bekenntnis ist vielen Men- schen im Land identitätsstiftend. Viele von uns haben – auch und gerade heute! – eine leben- dige Beziehung zu Gott, aus der sie ihre Verantwortung schöpfen.

Wir bringen sie im stillen Gebet und in fröhlichen Feiern, in Freud und Leid zum Ausdruck, wir gehen in die Kirche, in die Moschee, in die Synagoge und finden dort einen Raum, mit ande- ren gemeinsam Glauben zu leben und weiterzuentwickeln. Wenn wir nun eine Präambel erst- malig einführen und in ihr erstrebenswerte und wichtige Grundwerte niederlegen, die wir nicht in Rechtssätze fassen können, aber dieses Bedürfnis so vieler Bürgerinnen und Bürger igno- rieren, ja verschweigen, welches Signal senden wir dann aus?

Ein Signal, dass die Beziehung vieler zu Gott scharf von den übrigen, in die Verfassung einge- führten Werten zu trennen sei, jedenfalls aber nicht dazugehört. Ein sehr bedenkliches Signal, wie ich finde. Lassen Sie mich konkreter werden. Die Verfassung wird dann ein starkes und integrierendes Element für die Gesellschaft, wenn sie ihren gesamten Wertepluralismus abbil- det und nicht gezielt einen Teil der Gesellschaft – dazu einen sehr großen Teil – ausspart.

Das Bekenntnis zu der Verantwortung vor Gott und den Menschen hat durch den Wandel un- serer Gesellschaft eine ganz neue Bedeutung erlangt. Menschen unterschiedlicher Herkunft leben in unserem Land, sie bringen unterschiedliche Sprachen und Lebensweisen mit. Aber für viele von ihnen ist die gelebte Verantwortung vor Gott ein gemeinsames Band, das sie mit dem Großteil der in unserem Land lebenden Menschen teilen.

Aus welchem Selbstverständnis sollen wir ein Signal aussenden, dieses gemeinsame, integ- rierende Band gebe es nicht in unserem Land? Umgekehrt ist doch die Verantwortung vor Gott ein multikulturelles, vielfältiges Bekenntnis, das so unterschiedlich gelebt werden kann! Ein Glück, dass dieses Land so reich ist – bekennen wir uns doch in unserer Verfassung zu diesem Reichtum!

Es ist – meine ich – deutlich geworden, um welche ganz wichtigen grundsätzlichen Fragen unter uns gerungen wurde. Das Ergebnis, unsere Landesverfassung, muss immer zwei An- sprüchen genügen: dem Anspruch, allgemeingültige und nicht an zeitliche Entwicklungen ge- bundene Werte und Normen zu verankern, und dem Anspruch, gesellschaftlichen Verände- rungen gegenüber offen zu sein und darauf angemessen zu reagieren. Ich denke, unsere Landesverfassung hat sich beiden Ansprüchen erfolgreich gestellt.

Ich möchte deshalb die Gelegenheit nutzen, Allen zu danken, die zum Gelingen dieser Aufga- be beigetragen haben. Eine Verfassung zu überprüfen und Änderungen daran vorzunehmen ist ja nicht alltäglich für ein Parlament. Umso wichtiger war es deshalb, bei aller Diskussion in der Sache, eben das eine nicht aus den Augen zu verlieren, nämlich die Tatsache, dass eine Verfassung vor allem auch von Einigkeit in fundamentalen Fragen unseres Lebens geprägt sein muss.