Navigation und Service des Schleswig-Holsteinischen Landtags

Springe direkt zu:

Diese Webseite verwendet ausschließlich für die Funktionen der Website zwingend erforderliche Cookies.

Datenschutzerklärung

Pressefilter

Zurücksetzen
22.02.23
10:22 Uhr
CDU

Tobias Koch: TOP 1 - Aktuelle Stunde: Lehren aus dem Fall Brokstedt

Brokstedt | 22.02.2023 | Nr. 57/23
Tobias Koch: TOP 1 - Aktuelle Stunde: Lehren aus dem Fall Brokstedt Es gilt das gesprochene Wort!
Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren,
Anlass für die heutige Aktuelle Stunde sind die irritierenden öffentlichen Aussagen von Bundesinnenministerin Faeser zum Messerangriff in Brokstedt.
Ich will deshalb zuallererst sagen, dass ich es gut und richtig fand, dass sich die Bundesinnenministerin gleich am nächsten Tag vor Ort über den Tathergang informiert hat und dass sie mit ihrem Besuch zugleich ihre persönliche Anteilnahme gegenüber den Opfern und deren Familien zum Ausdruck gebracht hat.
Von einer Bundesinnenministerin erwarte ich in einer solchen Krisensituation allerdings auch, dass sie gut informiert ist, dass sie mit Ruhe und Besonnenheit agiert und vor allem, dass sie zur Aufklärung beiträgt. Stattdessen hat Nancy Faeser gleich mehrfach für zusätzliche und unnötige Verwirrung gesorgt.
„Wie konnte es sein, dass Ibrahim A. so früh aus der Untersuchungshaft entlassen wurde?“ diese Frage meinte die Bundesinnenministerin bei ihrem Besuch in Brokstedt stellen zu müssen, obwohl die Antwort darauf zu diesem Zeitpunkt längst öffentlich bekannt war. Die einjährige Haftzeit aus dem ergangenen Urteil war nämlich nahezu bis auf den letzten Tag verbüßt, weshalb die Haftentlassung gerichtlich angeordnet war.
Die in der Fragestellung zum Ausdruck kommende Unkenntnis der Faktenlage ist schon für sich allein genommen mehr als blamabel für eine Bundesinnenministerin.
Noch viel schlimmer ist aber, dass sie mit dieser Frage den Anschein erweckt hat, dass die Tat hätte verhindert werden können. Das ist wirklich ein Hohn für die Hinterbliebenen der Toten und für die Verletzten! Das Agieren der Bundesinnen- ministerin mit einer haltlosen Vermutung war in dieser Situation absolut unverantwortlich und ist durch nichts zu entschuldigen!
Wenn man aber einen solchen Fehler einmal begeht, dann sollte man ihn auf gar keinen Fall ein zweites Mal wiederholen.



Seite 1/4
Pressesprecher Max Schmachtenberg | Düsternbrooker Weg 70, Landeshaus, 24105 Kiel 0431/988-1440 | info@cdu.ltsh.de | http://www.cdu.ltsh.de Aber genau das hat Nancy Faeser getan, als sie vor wenigen Tagen die Behauptung in den Raum stellte, Ibrahim A. hätte abgeschoben werden können, wenn die zwischenzeitlich festgestellten Behördenfehler nicht aufgetreten wären.
Auch für diese hypothetische Aussage gibt es nicht den geringsten Anhaltspunkt. Treffender als Lars Harms kann man es nicht formulieren: Auch ich wünsche mir eine Bundesinnenministerin, die sich mit dem Ausländerrecht auskennt. Nach allen Erfahrungen aus der Vergangenheit und in Kenntnis des höchst komplexen Ausländerrechts mit all seinen Klage und Widerspruchsmöglichkeiten hätte ein fehlerfreies Agieren der Behörden nicht zu einer sofortigen Abschiebung geführt.
Gegenüber den Angehörigen der Todesopfer den Eindruck zu erwecken, ihre Tochter, ihr Sohn könnte noch leben, wenn nicht dieser oder jener Fehler passiert wäre, das ist wirklich unmenschlich. Mit dieser falschen Einordnung hat die Bundesinnenministerin ein weiteres Mal für unnötiges Leid bei den Betroffenen gesorgt.
Für das Verhalten der Bundesinnenministerin kann man sich deshalb an dieser Stelle nur schämen. Es ist ein absolut bemerkenswerter Vorgang, dass ihre Aussagen wenige Stunden später durch ihr eigenes Ministerium korrigiert werden mussten.
Meine Damen und Herren, richtig ist allerdings, dass es an verschiedenen Stellen zu einem eklatanten Versagen von Behörden gekommen ist. Hierüber müssen wir offen reden, wenn wir die richtigen Schlussfolgerungen aus dem furchtbaren Ereignis in Brokstedt ziehen wollen.
Es geht dabei nicht darum, mit dem Finger auf andere zu zeigen, um damit von eigenen Fehlern abzulenken oder die Schuld hin und her zu schieben. Das gilt für das Land Schleswig-Holstein schon allein deshalb, weil wir mit keiner Landesbehörde in die relevanten Vorgänge involviert sind: Die Ausländerbehörde ist eine kommunale Behörde der Stadt Kiel, die Justizbehörde ist eine Behörde der Freien und Hansestadt Hamburg und das BAMF ist eine Bundesbehörde.
Als Landespolitik sind wir deshalb quasi unparteiischer Vierter. Unser Interesse gilt allein den Opfern, die größtenteils aus Schleswig-Holstein stammen. Und deshalb wollen wir alles dafür tun, um die gemachten Fehler zu identifizieren und die richtigen Konsequenzen zu ziehen, damit die Gefahr derartiger Taten so weit wie möglich reduziert werden kann.
Zu den eklatanten Fehlern gehört, dass die gesetzlich vorgeschriebenen Meldungen über die Einleitung des Strafverfahrens und über die begonnene Untersuchungshaft in Hamburg nicht erfolgt sind bzw. nicht auf dem korrekten Weg erfolgt sind bzw. im Falle der Haftentlassung erst mit knapp zweiwöchiger Verspätung erfolgt sind – als die Tat längst passiert war.
Dass sich die Hamburger Justizbehörde mit versuchten Anrufen und E-Mails herauszureden versucht, in denen nebenbei die Inhaftierung von Ibrahim A. erwähnt wurde, wird der Sache in keiner Weise gerecht. Hier bedarf es in Hamburg einer deutlich stärker ausgeprägten Fehlerkultur, verbunden mit der Fähigkeit zur


Seite 2/4
Pressesprecher Max Schmachtenberg | Düsternbrooker Weg 70, Landeshaus, 24105 Kiel 0431/988-1440 | info@cdu.ltsh.de | http://www.cdu.ltsh.de Selbstkritik. Das vermisse ich auf Hamburger Seite vollkommen, wenn dort immer wieder betont wird, man habe alles richtig gemacht.
Genauso erschreckend, das will ich an dieser Stelle ebenso deutlich sagen, sind aber die zwischenzeitlich bekannt gewordenen chaotischen Zustände in der Ausländerbehörde der Stadt Kiel. Das vernichtende Zeugnis des städtischen Prüfungsamtes spricht hier wirklich Bände.
Wenn im konkreten Fall eingegangene E-Mails einfach übersehen wurden oder im SPAM-Filter gelandet sind, dann trägt die Stadt Kiel eine erhebliche Mitschuld daran, dass die erforderlichen Informationen das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge nicht erreicht haben.
Lassen Sie uns deshalb an dieser Stelle die Fragen stellen, was hätte geschehen können, wenn diese Fehler vermieden worden wären:
Hätte das BAMF bereits im Januar des letzten Jahres von der Einleitung des Strafverfahrens und der Untersuchungshaft von Ibrahim A. Kenntnis erlangt, dann hätte während der Inhaftierung ein Jahr lang Zeit bestanden, um das laufende Verfahren zur Aberkennung des subsidiären Schutzstatus zum Abschluss zu bringen.
Das bedeutet zwar nicht, dass Ibrahim A. unmittelbar nach dem Ende seiner Untersuchungshaft abgeschoben worden wäre. Hiergegen wäre er wahrscheinlich genauso gerichtlich vorgegangen, wie er gegen das Hafturteil Widerspruch eingelegt hatte. Auch das Einschalten der Härtefallkommission hätte ihm noch als Instrument zur Verfügung gestanden. Bis zu einer tatsächlichen Abschiebung wäre es deshalb immer noch ein langer Weg gewesen, weshalb die Aussagen der Bundesinnenministerin so deplatziert waren.
Aber mit der frühzeitigen Information des BAMF hätte immerhin schon ein großer Schritt in Richtung Abschiebung erfolgen können.
Die mangelhafte Behördenkommunikation ist deshalb eine der wesentlichen Erkenntnisse, die wir aus dem aktuellen Fall ziehen. Und während die FDP lediglich eine verbesserte Behördenkommunikation einfordert, glauben wir, dass es an dieser Stelle eines grundlegenden Systemwechsels bedarf.
Es kann nicht sein, dass Daten weiterhin zwischen verschiedenen Behörden hin und her geschickt werden müssen. Im Zusammenspiel zwischen Polizei, Justiz- und Ausländerbehörden braucht es vielmehr einen direkten Zugriff auf alle relevanten Daten, damit die jeweiligen Behörden ihre Arbeit machen können. „Informationszugriff“ heißt das Schlüsselwort und nicht „Datenaustausch zwischen den Behörden“.
So haben es die Fraktionen von CDU und Grünen in ihrem 10-Punkte-Papier formuliert. Dazu gehört auch, dass Speicherfristen bundesweit vereinheitlicht werden müssen ebenso wie die Definition von Mehrfach- und Intensivtäterinnen und -tätern.



Seite 3/4
Pressesprecher Max Schmachtenberg | Düsternbrooker Weg 70, Landeshaus, 24105 Kiel 0431/988-1440 | info@cdu.ltsh.de | http://www.cdu.ltsh.de Meine Damen und Herren, mit der Forderung nach beschleunigten Strafverfahren, schnelleren Entscheidungsprozessen beim BAMF, der Überprüfung der Strafvorschriften bei Messerdelikten, verbesserter Gewaltprävention und verstärktem Opferschutz haben wir in dem genannten 10-Punkte-Papier eine ganze Reihe von weiteren Schlussfolgerungen formuliert, auf die ich jetzt nicht näher eingehen kann, die uns aber noch parlamentarisch beschäftigen werden.
Über die Verbesserung der Sicherheit im ÖPNV werden wir direkt im Anschluss an diese Debatte ja noch weiter diskutieren.
Ich will abschließend aber noch auf das konsequente Rückführungsmanagement eingehen, das die FDP mit ihrem Antrag zur Aktuellen Stunde fordert: Ja, zu den wesentlichen Schlussfolgerungen des Brokstedter Messerangriffs gehört, dass wir bei der Abschiebung gefährlicher Mehrfachstraftäter deutlich schneller werden müssen. Sie haben ihr Aufenthaltsrecht in der Bundesrepublik Deutschland eindeutig verwirkt.
Als Land Schleswig-Holstein haben wir mit der Abschiebehafteinrichtung dafür die grundlegende Voraussetzung geschaffen – gegen alle Widerstände auch aus diesem Haus.
Idealerweise hätte man sich gewünscht, dass der mehrfach straffällig gewordene Ibrahim A. nach dem Ende seiner Untersuchungshaft unmittelbar in die Abschiebehaft überführt worden wäre und dort so lange verblieben wäre, bis seine Abschiebung ins Westjordanland oder den Gaza-Streifen hätte erfolgen können.
Dafür braucht es aber deutliche Veränderungen im Ausländerrecht sowie entsprechender Rückführungsabkommen mit den Herkunftsländern. Hier müssen wir in Deutschland sehr schnell sehr viel besser werden.
Bislang kann ich allerdings nicht einmal ansatzweise erkennen, dass sich die Berliner Ampel in diese Richtung bewegt.
Ich gebe aber die Hoffnung nicht auf, dass die Ampel mit dem neuen Sonderbevollmächtigte für Migrationsabkommen jetzt zügig ins Arbeiten kommt. Und das hat die FDP dann ja sogar selbst in der Hand.
Alleine mit schnelleren Abschiebungen werden wir allerdings solche Taten wie die in Brokstedt nicht verhindern können. Dazu braucht es ein ganzes Bündel von Maßnahmen, so wie sie CDU und Grüne mit ihrem 10-Punkte-Papier aufgezeigt haben.
Dabei kommt es darauf an, dass diese Maßnahmen auch tatsächlich umgesetzt werden und wir nicht nur eine Debatte führen, die anschließend keine Konsequenzen nach sich zieht. Jetzt ist die Zeit zum Handeln!
Herzlichen Dank!



Seite 4/4
Pressesprecher Max Schmachtenberg | Düsternbrooker Weg 70, Landeshaus, 24105 Kiel 0431/988-1440 | info@cdu.ltsh.de | http://www.cdu.ltsh.de