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11.05.23
12:40 Uhr
FDP

Christopher Vogt zu TOP 17 "Rolle der Finanzbehörden bei der Entrechtung, Ausbeutung und Deportation von Jüdinnen und Juden, von Sintize und Sinti sowie Romnja und Roma lückenlos aufklären"

11.05.2023 | Wissenschaft
Christopher Vogt zu TOP 17 "Rolle der Finanzbehörden bei der Entrechtung, Ausbeutung und Deportation von Jüdinnen und Juden, von Sintize und Sinti sowie Romnja und Roma lückenlos aufklären" In seiner Rede zu TOP 17 (Rolle der Finanzbehörden bei der Entrechtung, Ausbeutung und Deportation von Jüdinnen und Juden, von Sintize und Sinti sowie Romnja und Roma lückenlos aufklären) erklärt der Vorsitzende der FDP-Landtagsfraktion, Christopher Vogt:
„Wir möchten – in gewisser Weise nach Hamburger Vorbild – auch in Schleswig-Holstein die Rolle der Finanzverwaltung bei der Entrechtung, Ausbeutung und Deportation von Juden sowie Sinti und Roma während der Nazi-Zeit umfassend aufklären, denn vor der physischen Vernichtung erfolgte in der Regel die finanzielle durch den NS-Staat. Ich möchte mich – auch im Namen meiner Fraktion – dafür bedanken, dass wir zu diesem wichtigen Thema nun einen interfraktionellen Antrag stellen, den wir dann nachher sicherlich einstimmig beschließen werden. Es ist ein klares und wichtiges Signal, dass es der Landtag mit der Aufarbeitung der NS-Verbrechen nach wie vor sehr ernst meint.
Diese Aufarbeitung ist nach über 78 Jahren – gerade auch in Schleswig-Holstein, das ja leider eine braune Hochburg war – immer noch nicht abgeschlossen. Und es gibt mittlerweile auch kaum noch Zeitzeugen, die selbst von dem Unrecht berichten und uns alle entsprechend mahnen können. Die Verbrechen an der Menschlichkeit, die durch das NS-Regime und den damaligen Staatsapparat begangen wurden, sind sicherlich zu groß gewesen, als dass eine Aufarbeitung jemals vollständig abgeschlossen sein könnte. Doch wir sehen es als die Pflicht unserer Generation an, dabei nicht nachzulassen und auch die Verbrechen, die durch die Verwaltung begangen wurden, noch stärker aufzuarbeiten. Gerade die Rolle der Finanzverwaltung bei der systematischen Entrechtung, Ausbeutung und Deportation von Juden sowie Sinti und Roma ist in Schleswig-Holstein bisher nicht wirklich oder zumindest nur lückenhaft aufgearbeitet worden. Dies sollten und wollen wir jetzt ändern. Das sind wir den Opfern und ihren Angehörigen schuldig. Und mit der Durchführung eines Forschungsprojektes schaffen wir auch den nötigen öffentlichen Raum und dadurch ein noch größeres Bewusstsein in der Bevölkerung. Aber auch innerhalb der Verwaltung kann das Bewusstsein über die eigene Vergangenheit für das Thema noch stärker sensibilisieren. Denn die Entmenschlichung und Perversion des NS-Regimes zeigt sich auch im Zusammenspiel von Steuergesetzgebung und Finanzverwaltung. Die NS-Ideologie fand dabei schon 1934 im Rahmen des ‚Steueranpassungsgesetzes‘ ihren direkten Weg in die Steuergesetzgebung. In § 1 Absatz 1 dieses Gesetzes hieß es: ‚Die Steuergesetze sind nach nationalsozialistischer Weltanschauung auszulegen‘. So nutzte das NS- Regime zuerst die schon bestehende Steuergesetzgebung, um unter anderem über die Reichsfluchtsteuer – ein Relikt aus der Weimarer Republik – schon bei bloßem Verdacht auf eine Ausreiseabsicht das Vermögen der Betroffenen zu besteuern. Der den Finanzämtern ansonsten zugestandene Ermessensspielraum wurde bei ‚der Volksgemeinschaft nicht Zugehörigen‘ – so nannten die Nationalsozialisten unter anderem die Menschen jüdischen Glaubsens – nicht angewandt. Die Nationalsozialisten definierten aber auch Gemeinnützigkeit um, um diese an ihr Weltbild anzupassen. Gemeinnützig war fortan nur noch, was dem ‚Wohl der deutschen Volkgemeinschaft auf materiellem oder geistlichem Gebiet nutzt‘, wie es formuliert wurde. Die Folge daraus war unter anderem, dass Spenden an jüdische Vereine von da an schenkungssteuerpflichtig waren. Dies haben unter anderem die Finanzbehörden in Berlin genutzt, um jüdische Vereine und gemeinnützige Organisationen systematisch unter massiven Druck zu setzen. Die daraus resultierenden Steuernachforderungen führten schlussendlich häufig zur Zahlungsunfähigkeit der Vereine und Verbände.
Die vollständige, systematische Ausplünderung der jüdischen Bevölkerung begann mit der Einführung der sogenannten ‚Judenvermögensabgabe‘. Durch die ‚Verordnung über Sühneleistung der Juden deutscher Staatsangehörigkeit‘ wurden insgesamt 25 Prozent des Vermögens der jüdischen Bürgerinnen und Bürger durch unsere Finanzverwaltung eingezogen. Mit dem Beginn der flächendeckenden Deportation im Oktober 1941 begann die vollständige Enteignung des Vermögens. Denn wer sich im Ausland aufhielt, verlor nach November 1941 die deutsche Staatsangehörigkeit und das Vermögen dieser Menschen wurde zum Staatseigentum. Dies zeigt, mit welcher perfiden Präzision die Nationalsozialisten die Menschenwürde angriffen. Menschen, für die Deutschland seit zig Generationen Heimat war und die Teil der Gesellschaft waren, wurden zunächst enteignet, dann deportiert und letztendlich kaltblütig ermordet. Auch Menschen, die aus dem Deutschen Reich fliehen konnten, wurden meistens vollständig enteignet. Ihr Vermögen wurde durch die Finanzbehörden systematisch liquidiert. Die Besitztümer der Deportierten wurden oft noch in ihren Häusern bzw. Wohnungen durch Mitarbeiter der Finanzbehörden versteigert. Viele Mitarbeiter bereicherten sich aber auch selbst am Leid der Opfer. So wurden enteignete Gegenstände zum Beispiel für die eigene Büroausstattung genutzt, oder es wurde versucht, die dann leerstehende Wohnung für sich selbst zu sichern.
Diese Beispiele zeigen, wie tief die NS-Ideologie in der Finanzverwaltung verwurzelt war. Schleswig-Holstein war da mit sehr großer Wahrscheinlichkeit keine Ausnahme. Doch dies umfassend unter wissenschaftlichen Gesichtspunkten aufzuklären, sollte jetzt unser gemeinsames Ziel sein. Wir haben uns ja nun darauf verständigt, dass sich das Finanzministerium um diese wissenschaftliche Aufarbeitung kümmern soll. Über das Budget, die Vergabe und den Zeitplan sollte sich das Finanzministerium dann aber demnächst mit den Fraktionen abstimmen. Ich bitte um Zustimmung zu unserem Antrag!“
  Sperrfrist Redebeginn!
Es gilt das gesprochene Wort



Christopher Vogt Vorsitzender


Kontakt: Eva Grimminger, v.i.S.d.P. Pressesprecherin
Tel.: 0431 988 1488 fdp-pressesprecher@fdp.ltsh.de



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