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15.06.23
11:49 Uhr
SPD

Serpil Midyatli zu TOP 22: Die schleswig-holsteinische SPD steht weiter für eine humane Geflüchtetenpolitik

Heimo Zwischenberger Pressesprecher der SPD-Landtagsfraktion
Adresse Düsternbrooker Weg 70, 24105 Kiel Telefon 0431 988 1305 Telefax 0431 988 1308 E-Mail h.zwischenberger@spd.ltsh.de Webseite www.spd-fraktion-sh.de Es gilt das gesprochene Wort!

Hinweis: Diese Rede kann hier als Video abgerufen werden: http://www.landtag.ltsh.de/aktuelles/mediathek

LANDTAGSREDE – 15. Juni 2023
Serpil Midyatli: Die schleswig-holsteinische SPD steht weiter für eine humane Geflüchtetenpolitik TOP 22: Ausweisung sicherer Herkunftsstaaten (Drs. 20/1058(neu))
„Seit vielen Jahren schon führen wir die immer wiederkehrenden Debatten um Geflüchtetenpolitik, im Land, Bund und in Europa. Die Debatten fangen immer gleich an, zunächst beteuern alle, dass man sich ausdrücklich der humanitären Verpflichtung Europas zur Aufnahme von Schutzbedürftigen und dem Grundrecht auf Asyl bekennt, um dann sofort im gleichen Atemzug weitere, härtere Maßnahmen der Abschottung und der Abschreckungspolitik vorzuschlagen.
Seit 1993 drehen wir diese Schraube immer fester und fester, um dann festzustellen, es muss noch fester angedreht werden. Wir hinterfragen nicht einmal, nicht ein einziges Mal, warum es eigentlich nicht funktioniert. Um es gleich vorweg zu sagen: Ich lehne die Vorschläge der EU- Innenminister:innen zur Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems ab, weil ich Zweifel an der Umsetzbarkeit habe. Meine Zweifel beruhen nicht allein darauf, dass die humanitären Mindeststandards für Unterbringung und ein faires Asylverfahren durchgeführt werden können und somit das individuelle Recht auf Asyl in Gefahr ist. Meine Sorge ist auch mehr als berechtigt, denn bereits einen Tag später hat schon Ungarn lautstark Protest ankündigt und die Union ruft nach mehr sicheren Herkunftsländern, als ob das das Problem an den EU-Außengrenzen lösen könnte. Dazu später mehr.
Jahrelang wird schon über eine gemeinsame und vor allem solidarische EU Asylpolitik gerungen. Jetzt liegt ein Kompromiss vor – ein minimaler Kompromiss, denn mehr war auch dieses Mal nicht drin. Dabei haben wir doch gerade erst bewiesen, dass es geht. Dass wir in der EU solidarisch, geeint und vor allem schnell handeln können. Mit der Aufnahme von Millionen ukrainischen Kriegsgeflüchteten haben die europäischen Mitgliedstaaten eine beispiellose und historisch einmalige Solidarität zum Ausdruck gebracht. Die einstimmige Aktivierung der Richtlinie über vorübergehenden Schutz im europäischen Rat hat eine unbürokratische und schnelle Aufnahme der Menschen, die vor Krieg und Zerstörung
1 durch russische Bomben flüchten mussten, ermöglicht. Die erfolgreiche kooperative Aufnahme von über vier Millionen Kriegsflüchtlingen hätte bei der Reform des europäischen Asylsystems und der deutschen Aufnahmepraxis in vieler Hinsicht lehrreich sein können: bei der Freisetzung der Gesellschaft zu engagierter Hilfe, bei der Aufhebung von Arbeitsverboten, bei der raschen Entscheidung über das Bleiberecht und bei der europäischen Zusammenarbeit.
Immer wieder höre ich, wir müssen doch ohne Schaum vor dem Mund darüber sprechen können. Gerne, wie gerne würde ich einmal - nur ein einziges Mal - an den Fakten orientiert über Aufnahme, Rückführung und Bleibeperspektive sprechen. Schauen wir uns mal die Zahlen von 2022 an: 2022 sind 193 T Asylanträge in Deutschland gestellt worden. Wir erinnern uns, von der CDU wurde mal eine Obergrenze von 200.000 gefordert. Mehr als die Hälfte davon aus Syrien und Afghanistan – also eine hohe Schutzquote in Deutschland.
Schauen wir uns weiter die Fakten an. Wie kommen diese Schutzquoten zustande? Syrien muss ich an der Stelle nicht weiter ausführen – hoffe ich zumindest. Aber schauen wir uns Afghanistan an, ohne Schaum vor dem Mund hier die Praxis. Hier sehen wir, dass in 95% der Fälle diese im Klageverfahren recht bekommen auf einen Schutzstatus, weil das Bamf, eine Bundesbehörde, fehlerhaft beschieden hat. Diese Fälle verstopfen dann die Gerichte. Die Überschrift, die wir aber lesen ist: Gerichte überlastet wegen Asylverfahren. Dabei liegt der Fehler eindeutig beim Bamf und nicht bei den Gerichten. Ein weiterer Fakt ist, dass der politische Diskurs sich ausschließlich auf die Zahl der Abschiebungen konzentriert, also die zwangsweise Außerlandesbringung. Deutlich höher liegt jedoch die Zahl der sogenannten »freiwilligen Ausreisen«, obwohl diese im Ausländerzentralregister (AZR) nur sehr mangelhaft erfasst wird. Zuverlässige Angaben gibt es nur zu den vom Bund geförderten Ausreisen: über diese Programme sind im vergangenen Jahr 7.900 Menschen aus Deutschland ausgereist, was einem Plus von 16 % entspricht. Damit stieg diese Zahl prozentual doppelt so stark wie die Zahl der Abschiebungen.
Zahlen zu Ausreisen, die von den Bundesländern gefördert werden, liegen aber weiterhin nicht vor, obwohl im AZR ein entsprechender Speichersachverhalt geschaffen wurde. Diesbezüglich geben die offiziellen Statistiken aber keinerlei Überblick, der für eine Versachlichung der Debatten aber dringend notwendig wäre.
Die Diskussion über sichere Herkunftsländer ist auch wieder so eine Scheindebatte, die so tut, als wäre das eine Lösung. Wir haben doch schon jetzt die Möglichkeit, die Verfahren von Ländern, die keine hohe Bleibeperspektive haben, in den Landesunterkünften zu bescheiden, um sie dann sofort zurückzuführen. Und mal ganz ehrlich zu den Geflüchtetenzahlen von



2 Georgien und Moldau, die jeweils 0,4% und 0,2% ausmachen: Das sollte nicht unsere Priorität sein.
Unsere Priorität sollte sein, und an dieser Stelle möchte ich mit einem Zitat von Filippo Grandi abschließen: „Wir beobachten eine veränderte Realität. Vertreibung betrifft aktuell nicht nur viel mehr Menschen, sondern sie ist auch kein kurzfristiges und vorübergehendes Phänomen mehr. Wir brauchen eine grundlegend neue und positivere Haltung gegenüber allen, die flüchten, gepaart mit einem viel entschlosseneren Bestreben, Konflikte zu lösen, die jahrelang andauern und die Ursache dieses immensen Leidens sind.“



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