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22.02.24
16:20 Uhr
B 90/Grüne

Nelly Waldeck über die Sicherung von Teilhabe am Arbeitsleben für Menschen mit Behinderung

Presseinformation

Es gilt das gesprochene Wort! Landtagsfraktion Schleswig-Holstein TOP 15+41 – Menschen mit Behinderung eine uneingeschränkte Teilhabe am Arbeitsleben sichern Pressesprecherin Claudia Jacob Dazu sagt die Abgeordnete der Landeshaus Landtagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen, Düsternbrooker Weg 70 24105 Kiel Nelly Waldeck: Zentrale: 0431 / 988 – 1500 Durchwahl: 0431 / 988 - 1503 Mobil: 0172 / 541 83 53
presse@gruene.ltsh.de www.sh-gruene-fraktion.de
Nr. 077.24 / 22.02.2024


Elementar für die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben ist die Möglichkeit, arbeiten zu können
Sehr geehrte Frau Präsidentin, liebe Kolleg*innen,
“Recht haben heißt nicht unbedingt Recht bekommen.” Mit diesen Worten wird in den Tätigkeitsbericht der Landesbeauftragten für Menschen mit Behinderungen eingeführt und er beschreibt die Situation der UN-Behindertenrechtskonvention sehr gut. Der Wille ist da, aber die Umsetzung eben noch nicht überall.
Ich nenne mal ein Beispiel: Wenn ich einen Termin bei einer Gynäkologin brauche, ma- che ich einen Anruf. Ich fahre hin, werde untersucht und gehe wieder. So einfach so gut. Möchte eine behinderte Frau dasselbe tun, zum Beispiel eine Rollstuhlfahrerin oder eine sehbehinderte Frau, ist der Vorgang unvergleichbar schwieriger. Möglicherweise gibt die Website der Praxen Auskunft über die Barrierefreiheit, aber die Website selbst ist nicht unbedingt barrierefrei. Ist dann erstmal die Praxis gefunden und der Eingang barrierefrei, geht es in die Untersuchung. Aber wie viele Praxen in Schleswig-Holstein haben Hebe- lifte, um zum Beispiel Frauen mit hoher Querschnittslähmung in den Untersuchungsstuhl zu liften? Hinzu kommen fehlende medizinische Kenntnisse zu behinderungsspezifischen Erfordernissen in der Behandlung.
Diese Situation ist nur eine von vielen, die uns deutlich aufzeigen, wie weit wir nach wie vor von einer inklusiven Gesellschaft entfernt sind. Ich möchte an dieser Stelle der Lan- desbeauftragten, aber auch dem Beirat für Betroffene danken. Der Bericht gibt Eindrücke, die für nicht behinderte Menschen manchmal schwer zu greifen sind und stellt klare For- derungen auf, damit Situationen wie die obige sich endlich verändern. Der Bericht doku- mentiert aber keine Untätigkeit, sondern das Begleiten vieler politischer Veränderungen,
Seite 1 von 3 die im Rahmen der letzten zwei Jahre passiert sind. Eine Veränderung, die für den Bericht und vor Allem für die Arbeit der Landesbeauftragten wie für den Beirat die letzten zwei Jahre bedeutend war, ist die Coronapandemie.
Die besondere Betroffenheit vieler behinderter Menschen durch die Pandemie ebenso wie durch die Schutz-Maßnahmen selbst hat einen unwahrscheinlich schweren Konflikt zwischen Gesundheitsschutz und Selbstbestimmung aufgemacht. Gerade in diesen Si- tuationen wurde klar, wie wichtig feste Partizipationsstrukturen sind, die auch kurzfristig zur Rückkopplung von Entscheidungen zur Verfügung stehen. Der Leitsatz “Nur mit uns über uns” hat in den letzten Jahren deutliche Fortschritte gemacht, auch wenn natürlich noch immer Luft nach oben ist. Elementar für die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben ist nach wie vor die Möglichkeit, arbeiten zu können.
Leider scheitert aber die Erwerbstätigkeit von Menschen mit Behinderungen in den aller- meisten Fällen nicht am Willen, sondern an Absagen. Man muss sich mal vorstellen, wenn ich “Beschäftigung von Menschen mit Behinderungen” google, dann ist der erste Google-Eintrag nicht etwa der, welche Unterstützungsmöglichkeiten es gibt, sondern ei- ner, der erklärt, wie man behinderten Menschen ohne rechtliche Konsequenzen eine Job- absage erteilt. Das ist unfassbar!
Das gibt einen guten Vorgeschmack: Fragt man Menschen, wie sie an einen Job gekom- men sind, ist die Geschichte allzu häufig dieselbe: Langwierige Beharrlichkeit und Durch- haltevermögen, immer wieder Absagen zu erhalten und trotzdem weiterzumachen. Das darf nicht die Normalität sein! Gerade vor dem Hintergrund, dass arbeitssuchende Men- schen mit Schwerbehinderung durchschnittlich höher qualifiziert sind als nicht schwerbe- hinderte Arbeitssuchende, ist es bezeichnend, dass sie trotzdem seltener einen Job fin- den.
Besonders betroffen hiervon sind behinderte Frauen. Sie erleben am häufigsten Diskri- minierung im Bewerbungsprozess und - verdienen im Schnitt 667 Euro netto weniger im Monat als Männer im Branchenvergleich. Und natürlich sind für Menschen mit Hörbehin- derungen Gebärdensprachdolmetscher*innen eine zentrale Unterstützung, um selbstbe- stimmt zu arbeiten. Die 75 Euro für eine Stunde dolmetschen inklusive Pause liegen zehn Euro unter dem, was einige andere Bundesländer zahlen. Allerdings zahlt das Land dafür neben der Reisekostenvergütung, die deutlich über der regulären Reisekostenregelung liegt, eine Fahrtzeitpauschale von 75 Euro zusätzlich zu den Reisekosten. Damit wird in Schleswig-Holstein - zwar an anderer Stelle - aber definitiv im vergleichbaren Maß für Gebärdensprachdolmetscher*innen gezahlt.
Und, es kommt der vorherigen Kritik, dass onlinedolmetschen weniger effektiv ist, deut- lich entgegen. Mit dieser Struktur wird die Reisezeit ebenso vergütet und nicht nur die Spritkosten übernommen. Insofern hat auch diese Struktur ihren Vorteil. Auch der Vor- rang des Online-Dolmetschens wurde von dieser Landesregierung aufgehoben. Ohne jede Frage verzeichnet Schleswig-Holstein nach wie vor einen deutlichen Bedarf an Dol- metscher*innen. Wir stehen auch im Wettbewerb mit anderen Bundesländern.
Um mehr Dolmetscher*innen nach Schleswig-Holstein zu bekommen, wäre die Einfüh- rung einer Ausbildungsmöglichkeit ein wichtiger Schritt. Deswegen haben wir ihn auch im Koalitionsvertrag festgehalten. Das Ziel ist klar. Allerdings müssen wir genau prüfen, wie hoch das Interesse an einem solchen Angebot wäre und ob möglicherweise die Ko- operation mit anderen Hochschulen in Deutschland eine Möglichkeit wäre, zu einer kurz- fristig bezahlbaren Lösung zu kommen.

2 Vielen Dank.
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