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Heiner Garg zu TOP 6+20 "Situation der Eingliederungshilfe in Schleswig-Holstein"
16.10.2025 | SozialesHeiner Garg zu TOP 6+20 "Situation der Eingliederungshilfe in Schleswig-Holstein" In seiner Rede zu TOP 6+20 (Gemeinsame Beratung a) Situation der Eingliederungshilfe in Schleswig-Holstein, b) Bericht zu den Auswirkungen der Kommunalisierung der Eingliederungshilfe nach dem schleswig-holsteinischen Gesetz zur Ausführung des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch) erklärt der Parlamentarische Geschäftsführer und sozialpolitische Sprecher, Heiner Garg: „Zunächst einmal einen wirklich ehrlichen herzlichen Dank an Sie, Frau Ministerin, und Ihr Haus, weil ich weiß, dass die Beantwortung von Großen Anfragen nun nicht unbedingt nur Freudenjubel in den entsprechenden Referaten auslöst. Frau Hesser, herzlichen Dank auch an Ihr Team für die umfangreiche Beantwortung der Großen Anfrage unserer Fraktion und zwar auch an all diejenigen, die mitgewirkt haben, beispielsweise die Kommunalen Landesverbände. Jetzt kann man sich ja fragen, warum stellt der eigentlich diese Anfrage, nachdem er acht Jahre lang mit dem System auch auf der anderen Seite zu tun hatte? Ich will, ähnlich wie die Ministerin, mal ganz anders anfangen. Wenn man nach dem System der Eingliederungshilfe fragt, auf der Straße beispielsweise, dann kommt von ‚Ist das für Strafgefangene, die zurückkommen?‘ bis hin zu ‚Irgendwas für Menschen mit Behinderung‘ alles Mögliche raus. Nein, es ist das Leistungssystem für Menschen mit speziellen Bedürfnissen, für Menschen mit Behinderungen, damit diese Menschen gleichberechtigt am Leben teilhaben können. Und mit diesem Leistungssystem, das viel Geld im Landeshaushalt einnimmt, nicht erst seit dieser oder der letzten Legislaturperiode – haben schon Vorgängerinnen von Ihnen und mir immer wieder zu kämpfen gehabt. Aber auf dieses Leistungssystem kann man auch stolz sein, denn es ermöglicht Menschen, am Leben teilzuhaben.Ich will das vor folgendem Hintergrund sagen. Das erste Mal wirklich Angst bekam Sarah Baumgart im Jahr 2018 bei einer Kleinen Anfrage der AfD im Bundestag. Darin ging es um die Zahl von behinderten Menschen in Deutschland und den vermeintlichen Zusammenhang von Behinderungen mit Inzucht und Migration. ‚Da wurde mir klar, die hören beim Thema Migration nicht auf‘, sagt Sarah Baumgart. Sechs Jahre später, im Mai 2024, sitzt sie auf einer Bühne in Freiburg und spricht über ihre Ängste. ‚Als behinderter Mensch bin ich wie kaum jemand anderes in dieser Gesellschaft abhängig von staatlichen Strukturen‘, sagt die heute 39 -Jährige. Und genau eine solche staatliche Struktur, genau das stellt das System der Eingliederungshilfe her. Unsere Aufgabe ist es, meiner Auffassung nach jedenfalls, dass wir auf Dauer garantieren, dass dieses System leistungsfähig bleiben kann. Dazu gehören die fachlichen Anforderungen und dazu gehört natürlich auch die Finanzierbarkeit dieses Systems.Auf meiner Sommertour haben wir zwei Einrichtungen besuchen können, unter anderem das Haus Komet in Niebüll. Ich weiß nicht, ob Sie das kennen, aber ich finde es sensationell, was dort für Menschen mit speziellen Bedürfnissen geleistet wird. Ich finde es faszinierend, wie die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sich jeden Tag nicht um diese Menschen kümmern, sondern mit ihnen zusammenleben und einen ganz normalen Alltag gestalten. Ich spreche absichtlich von ganz normal, weil auch die Partei, über die wir gestern hier eine Debatte geführt haben, das, was aus der Perspektive der AfD nicht normal ist, als verrückt framt. Der ja schon bekannte Maximilian Krah hat beispielsweise die Tagesschau in einfacher Sprache als Nachricht für Idioten bezeichnet. Ich möchte, dass wir über die Eingliederungshilfe ab der Ausschussbefassung häufiger, intensiver und auch anders sprechen, als das in den letzten Jahren der Fall gewesen ist.Ja, sie ist eine finanzielle Herausforderung und sie wird auch eine finanzielle Herausforderung bleiben. Ich komme an späterer Stelle noch dazu, wo aus meiner Sicht die Möglichkeit besteht, tatsächlich Effizienzgewinne aus diesem System auch wirklich zu generieren, um die Leistungsfähigkeit zu erhalten. Aber ich glaube auch, dass nach dieser Debatte von diesem Parlament, ein klares Signal ausgehen muss, dass Menschen wie Sarah Baumgart und alle anderen eben gerade keine Angst haben müssen, in einem sozialen Rechtsstaat ihre Leistungen, die ihnen zustehen, in Zukunft nicht mehr zu bekommen.Was sind für mich die vier großen Punkte, die ich aus der Beantwortung der Großen Anfrage herausgezogen habe? Den ersten Punkt, Frau Ministerin, haben Sie ja angesprochen. Ich glaube, Sie haben gemeinsam mit den kommunalen Landesverbänden dieses Kurzgutachten in Auftrag gegeben. Sie haben ja ein bisschen daraus referiert und etwas über die Kostenstruktur gesagt. Was mir fehlt, ist die Frage: Hat sich die Kommunalisierung der Eingliederungshilfe, die 2007 auf den Weg gebracht wurde und ehrlicherweise mit den beiden Teilhabestärkungsgesetzen ja 2020 nicht nur anerkannt, sondern quasi finalisiert wurde, hat sich diese Kommunalisierung tatsächlich bewährt? Die Ministerin hat gesagt, finanziell sei es egal gewesen. Ich glaube aber, was die Leistungserbringung und die Leistung für Menschen mit Behinderungen anbelangt, muss man schon noch mal fragen, ob der Vorwurf, der mir bis heute begegnet, richtig ist, dass es bisweilen Leistungen nach Postleitzahlen gibt. Dass es also sehr davon abhängt, in welchem Kreis oder in welcher kreisfreien Stadt die Hilfeplanung liegt, wie sie funktioniert, welches Angebot vor Ort vorhanden ist. Ich war damals in der Opposition und hab die Kommunalisierung nicht auf den Weg, das war die Große Koalition unter Peter-Harry Carstensen. Ich bin der Letzte, der sie einfach über Bord werfen würde. Aber ich finde, 2025 müssen wir uns in einer gründlichen Ausschussbefassung mit einer Anhörung die Frage stellen, ob sich die Kommunalisierung bewährt hat. Außerdem muss man fragen, ob es nicht richtig wäre, wenn das Land in Zukunft eine stärkere steuernde Rolle bekommt, wenn Mindeststandards gesetzt werden? Mindeststandards im Übrigen in Absprache mit den Kommunen. Der zweite Punkt ist die vollständige Digitalisierung von Prozessen: der Hilfeplanung, der Leistungsgewährung, der Dokumentation und der Steuerungsprozesse. Das zieht sich aus meiner Sicht wie ein roter Faden durch die entsprechenden Fragen bzw. Ihre Antworten in der Großen Anfrage, dass dort wirklich Riesenluft nach oben ist. Und wenn 80 Prozent der Kosten Personalkosten sind, dann sind 20 Prozent eben keine Personalkosten. Dann müssen wir uns überlegen, wie wir es hinkriegen, das Geld wirklich zielgerichtet für die Menschen, für deren Hilfe die notwendig ist, bereitzustellen. Und ich glaube, gerade bei der Frage der digitalen Prozesse ist Riesenluft nach oben, vor allem, wenn sie landeseinheitlich gestaltet sind. Dazu gehört aber auch eine entsprechende Anschubfinanzierung seitens des Landes. Also wenn man am Ende Effizienzgewinne erzielen will, dann muss man am Anfang in eine entsprechende Digitalisierung investieren, damit das auch funktioniert. Der nächste Punkt, den ich extrem spannend finde und der sich für mich aus einer ganzen Reihe von Antworten auf unsere gestellten Fragen ergibt, geht es ein bisschen in die Richtung Versäulung der Systeme. Ist für die Versorgung von Menschen, für das Miteinander von Menschen, ob mit besonderen Bedürfnissen oder ohne, nicht eine sozialräumliche Orientierung besser? Ist die Gesamtentwicklung im Quartier, also die Gesundheitsvorsorge und -versorgung, Pflegeversorgung, Jugendhilfe und Behindertenhilfe, nicht wichtiger, sodass wir die sozialräumliche Orientierung in den Kreisen und kreisfreien Städten fördern, damit Menschen besser in ihrem unmittelbaren Lebensumfeld tatsächlich versorgt werden können? Auch das ist eine Frage, die man mit den Betroffenen im Rahmen einer Anhörung erörtern muss.Und der vierte Punkt ist derselbe, den Sie angesprochen haben: Das ist die Verbesserung der Teilhabe am Arbeitsmarkt. Das System der Werkstätten, egal in welcher Funktion, ist wirklich ein wunderbarer geschützter Ort, den übrigens nicht nur die Menschen mit Behinderung oft brauchen, sondern auch deren Angehörige sind froh darüber, dass es diesen beschützten Ort gibt. Aber trotzdem gibt es eine ganze Reihe von Menschen, die würden sich auch gerne mal ausprobieren können auf dem ersten Arbeitsmarkt. Und diese Durchlässigkeit, die Rückkehrmöglichkeiten, ohne Gefahr zu laufen, die soziale Absicherung zu verlieren, das ist wirklich aller Anstrengung wert, dass man darüber spricht.Lassen Sie mich abschließend einen konkreten Vorschlag machen, der aufgrund der Kürze dieser Legislaturperiode, die uns bleibt, vermutlich eine Mammutaufgabe für die nächste Legislaturperiode wäre. Um die Eingliederungshilfe zukunftssicher zu machen, bräuchte man einen Prozess ähnlich wie wir ihn in der vergangenen Legislaturperiode bei der Kita-Reform aufgesetzt haben. Das heißt, einen ausführlichen Prozess mit den Kommunen, mit dem Land, mit den Leistungserbringern und in einer zweiten Runde auch mit Beteiligung derjenigen, für die dieses System da sein soll. Das werden wir in dieser Legislaturperiode, das ist mir klar, nicht schaffen. Aber ich glaube, dieses System ist es nicht nur aufgrund seiner finanziellen Bedeutung im Landeshaushalt, sondern vor allem aufgrund der Bedeutung für die Menschen wert. Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit von Ihnen und ich freue mich auf die Beratung im Ausschuss.“Sperrfrist Redebeginn!Es gilt das gesprochene Wort. Heiner Garg Sprecher für Soziales, Gesundheit, Familie, Kita, Jugend, Senioren, Sucht, EuropaKontakt: Eva Grimminger, v.i.S.d.P. PressesprecherinTel.: 0431 988 1488 fdp-pressesprecher@fdp.ltsh.deFDP-Fraktion Schleswig-Holstein, Düsternbrooker Weg 70, 24105 Kiel E-Mail: fdp-pressesprecher@fdp.ltsh.de, Internet: www.fdp-fraktion-sh.de