Heimkinder, Jugendliche und auch Erwachsene sind in Schleswig-Holstein in Einrichtungen der Behindertenhilfe und in Psychiatrien bis in die 1970er Jahre Medikamentenversuchen ausgesetzt worden. Das Land gewährt seit einigen Jahren den von Leid und Unrecht betroffenen Menschen Unterstützungszahlungen für ihr heutiges Leben. Jetzt fordert der Landtag überfraktionell dazu auf, weitere 6,2 Millionen Euro für diesen Zweck – verteilt nach Bedarf auf die Jahre bis 2030 – zur Verfügung zu stellen.
Begünstigte sind Betroffene, die sich nicht rechtzeitig beim ehemaligen Fonds Heimerziehung und nach Ablauf der Anmeldefrist für die Stiftung Anerkennung und Hilfe gemeldet und daher keine Leistungen aus diesen Sondervermögen erhalten haben, heißt es in dem entsprechenden Antrag. Außerdem sprechen sich die Fraktionen von CDU, SPD, Grünen, FDP sowie die Abgeordneten des SSW dafür aus, die Arbeit der schleswig-holsteinischen Anlauf- und Beratungsstelle der „Stiftung Anerkennung und Hilfe“ solange wie nötig fortzusetzen.
Über sieben Millionen Euro bereits ausgezahlt
Vor mehr als drei Jahren hatten NDR-Recherchen zutage gebracht, dass es zwischen 1949 und 1975 in Einrichtungen der Behindertenhilfe sowie der Erwachsenen-, Kinder- und Jugendpsychiatrie schwere Verfehlungen gab, Versuche mit Psychopharmaka inklusive. Ende November 2018 berichteten Betroffene auf einem Symposium über ihre Erlebnisse. Auch ein Bericht vom Institut für Medizingeschichte und Wissenschaftsforschung belegt das Elend der Heimkinder. Die Wissenschaftler erforschten die Versuche sowie das Leid und Unrecht der Betroffenen im Auftrag des Sozialministeriums.
Demnach hat es bis 1976 in Deutschland keine strengen Regeln für die Prüfung von Arzneimitteln gegeben. Ein Ergebnis der Aufarbeitung ist, dass knappe Kassen etwa bei psychiatrischen Krankenhäusern ein Grund für die Medikamententests waren. Die Folgen der Tests, bei denen es sich nicht um isolierte Einzelfälle gehandelt habe, reichten für die ehemaligen Kinder und Jugendlichen in Heimen von Hautausschlag bis zu Atemstillstand.
Angaben des Sozialministeriums zu Beginn vergangenen Jahres zufolge sind seit 2017 über 7,1 Millionen Euro an Betroffene ausgezahlt worden, die zwischen 1949 und 1975 als Kinder oder Jugendliche Leid und Unrecht erfuhren und noch immer an den Folgen leiden.
(Stand: 22. Februar 2021)
Vorherige Debatte zum Thema:
Januar 2019
Mehr Informationen:
Sitzung des Sozialausschusses (Januar 2019)
Symposium im Landtag (November 2018)