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22.11.23
12:34 Uhr
SPD

Thomas Losse-Müller zu den TOP's 1A+33+38: Wir haben in Schleswig-Holstein einen breiten politischen Konsens in der Migrationsfrage über Parteigrenzen hinweg

Heimo Zwischenberger Pressesprecher der SPD-Landtagsfraktion
Adresse Düsternbrooker Weg 70, 24105 Kiel Telefon 0431 988 1305 Telefax 0431 988 1308 E-Mail h.zwischenberger@spd.ltsh.de Webseite www.spd-fraktion-sh.de Es gilt das gesprochene Wort!

Hinweis: Diese Rede kann hier als Video abgerufen werden: http://www.landtag.ltsh.de/aktuelles/mediathek

LANDTAGSREDE – 22. November 2023
Thomas Losse-Müller Wir haben in Schleswig-Holstein einen breiten politischen Konsens in der Migrationsfrage über Parteigrenzen hinweg TOP 1A+33+38: Regierungserklärung zu den "Ergebnissen der Besprechung der Re-gierungschefinnen und -chefs mit dem Kanzler am 6. November 2023" sowie Umsetzung der Resolution der PSO „Sozialen Zusammenhalt stärken – Migration und Integration“ und gemeinsames Vorgehen gegen die irreguläre Migration (Drs. 20/1637, 20/1597, 20/1609, 20/1657)
„Sehr geehrte Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen, Herr Ministerpräsident, was haben wir jetzt Neues nach Ihrer Regierungserklärung erfahren? Eigentlich nichts. Sie haben uns noch einmal vorgetragen, was vor Wochen im Rahmen der Ministerpräsidentenkonferenz vereinbart und von Ihnen ja auch mehrmals in Interviews erläutert wurde.
Und dabei haben Sie die jüngsten Ereignisse sträflich erreicht. Ihre ganzen finanziellen Forderungen sind nämlich Makulatur, nachdem die Union das Land in fiskalpolitische Geiselhaft genommen hat. Ich komme darauf zurück. Aber ich sage jetzt schon einmal: Das war ein großer Fehler Ihrer Partei, der gerade in der Migrationsfrage noch viel Schaden anrichten könnte. Ich hätte erwartet, dass Sie das hier auch mal einräumen! Dann hätte ich auch diese Regierungserklärung verstanden. Schließlich haben Sie in dieser Legislaturperiode andere wichtige Gelegenheiten ausgelassen, um sich vor dem Parlament und den Bürgerinnen und Bürgern in diesem Land zu erklären. Das war ein Fehler. Aber sei es drum.
Die gemeinsamen Beschlüsse von Ländern und Bund waren wichtig, weil sie einen Schlussstrich unter eine unsägliche Eskalation der Migrationsdebatte in den letzten Monaten gesetzt haben. Setzen mussten.
Auch dieses Mal ging es – wie bei allen Migrations- und Flüchtlings-debatten der letzten Jahre – nicht vordringliche um die Probleme in der Sache, sondern vor allem um viel Getöse und kurzsichtige politische Gewinne, die am Ende keiner demokratischen Partei etwas bringen. Deshalb wäre es gut, wenn wir die Diskussion an der Stelle beendet hätten und erstmal ans Umsetzen gegangen wären. Schließlich haben sich alle 16 Ministerpräsidentinnen und


1 Ministerpräsidenten zusammen mit der Bundesregierung auf einen gemeinsamen Weg verständigt. In diesem Beschluss sind Kompromisse geschlossen worden, die halten müssen. Das wäre gut für unser Land.
Und deshalb ärgert es mich so, Herr Ministerpräsident, dass Sie sich heute hier wieder mit Ihrer staatstragenden und freundlichen Pose hinstellen, während Ihr Parteivorsitzender Friederich Merz exakt das Gegenteil tut.
Der Bundeskanzler ist in diesem Jahr wiederholt und in verschiedenen Fragen auf die Union zugegangen. Es gab eine enge Abstimmung zur Migrationspolitik vor der letzten MPK. Grüne und Sozialdemokraten haben in der Bundesregierung für uns schwere Schritte auf die Union zugemacht. Immer in der Hoffnung auf diesem Weg eine Haltelinie zu finden, um aus der immer schärferen Rhetorik gegen Geflüchtete auszusteigen. Und was macht Ihr Parteivorsitzender? Am Tag nach der Einigung zwischen Ihnen, allen anderen Unions-Ministerpräsidenten und der Bundesregierung? Er stellt sich vor die Medien und fordert sofort weitere Verschärfungen. Versucht doch wieder zu eskalieren. Offenbar geht es gar nicht um die Lösung der vorhandenen Probleme. Es geht um Show und kurzfristige Stimmungsmache. Und wenn Sie, Herr Günther, jetzt immer noch mehr Geld aus Berlin fordern, obwohl Ihre CDU/CSU-Fraktion gerade alles tut, um in der Haushaltspolitik unbändiges Chaos anzurichten und die Handlungsfähigkeit der Bundesregierung zu schwächen. Dann ist das nur eines: Nämlich dreist!
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben in Schleswig-Holstein einen breiten politischen Konsens in der Migrationsfrage über Parteigrenzen hinweg. Wenn Sie es anders sehen, widersprechen Sie bitte. Dieser Konsens beruht auf drei grundsätzlichen Aussagen: Erstens, wir wollen eine offene und humanitäre Politik für Geflüchtete. Zweitens, wir wissen, dass wir viele Fachkräfte brauchen. Und wir hoffen, dass viele von ihnen aus dem Ausland zu uns kommen werden. Drittens, wir müssen die Voraussetzungen dafür schaffen, dass Punkt eins und zwei umsetzbar sind.
Offene Politik für Geflüchtete und Arbeitsmigration funktionieren dauerhaft nur, wenn wir verhindern, dass daraus Verteilungskonflikte entstehen. Politisch heißt das: Für ausreichend Wohnraum zu sorgen. Kommunen nicht zu überfordern. Ausreichend Kapazitäten in Kitas und Schulen zu organisieren. Menschen schnell in Arbeit zu bringen. Für Integration zu sorgen. Für Sicherheit zu sorgen und Menschen ohne Bleibeperspektive auch wieder abzuschieben. Fällt Ihnen etwas auf?


2 Das alles sind Aufgaben, die vor allem beim Land liegen. Und das alles sind Aufgaben, bei denen Ihre Landesregierung eben nicht liefert. Ich will jetzt nicht auf Ihr Spiel einsteigen und Verantwortung zwischen den Ebenen verschieben. Das frustriert am Ende nur die Menschen, ohne eine Lösung zu bringen. Aber ich will schon mal ein paar simple Fakten festhalten, die politisch in Ihrem Verantwortungsbereich liegen:
- Der Wohnungsbau ist eingebrochen. Gegenüber dem bereits schlechten 1. Halbjahr 2022 sind in 2023 die Baugeneh¬mi¬gungen nochmal um 37 Prozent zurück gegangen. Die einzigen, die jetzt gerade noch im großen Stil bauen, tun das, weil ihnen die öffentliche Hand hilft oder die öffentliche Hand selbst baut. Und obwohl Schleswig-Holstein hier im Vergleich der Länder viel macht. Das reicht einfach nicht. Kurzfristig lösen wir das Wohnungsproblem vor Ort nur durch noch größere Anstrengungen des Landes und der Kommunen. - Sie haben trotz unserer Mahnungen viel zu spät angefangen, die Plätze in den Erstaufnahmen weiter aufzustocken. Und jetzt erleben wir, dass Sie selbst mit dem wenigen angekündigten Ausbau scheitern. Die Plätze kommen gar nicht. Im Niemannsweg vielleicht, aber in Neumünster reden wir jetzt nur noch über 200 Plätze auf landeseigenem Gelände und nicht über die angekündigten 600 oder 800 Plätze. - Bereits jetzt fehlen 18.000 Kita-Plätze in Schleswig-Holstein. Die Betreuungssituation ist angespannt und Ihre Kitapolitik sorgt dafür, dass Träger gerade sogar überlegen, Kitas wieder zu schließen, weil schlicht das Geld fehlt. - Im IQB-Bildungstrend rutschen wir im Ländervergleich immer weiter ab. Die Zahlen beim Unterrichtsausfall werden immer höher. Und beim Ganztag liefern Sie jetzt doch nicht. - Und Ihr Welcome-Center ist vor allem ein schickes Klingelschild, das überhaupt nicht so ausgestattet ist, dass es den vielen mittelständischen Unternehmen im Land bei der Anwerbung ausländischer Fachkräfte helfen kann.
Das ist keine gute Bilanz. Herr Günther, mein Appell an Sie ganz persönlich ist: Fangen Sie hier im Land an. Liefern Sie bei den eigenen Aufgaben. Sie sind hier in Schleswig-Holstein in der Verantwortung. Sie haben eine riesige Mehrheit in diesem Parlament. Sie haben sogar die Opposition in diesen Fragen an Ihrer Seite. Sie können hier beweisen, dass eine offene und humanitäre Politik für Geflüchtete funktioniert. Die Menschen in Schleswig-Holstein wollen das. Die wollen aber genauso eine bezahlbare Wohnung. Die wollen Kita-Plätze und gute Schulen für ihre Kinder. Die wünschen sich die gut bezahlten Arbeitsplätze der Zukunft. Und die erwarten, dass alle Menschen, die hier leben, auch ihren Beitrag zum Gelingen von Gesellschaft leisten. Da müssen Sie liefern, damit wir Gesellschaft zusammenhalten.



3 Ich bin der festen Überzeugung, dass wir das Auseinanderbrechen der Gesellschaft und Polarisierung nur verhindern können, wenn wir beweisen, dass der Staat seinen Job macht. Wir müssen Schulen bauen, die Digitalisierung hinkriegen, Krankenhäuser sichern und für die Infrastrukturen sorgen, die es allen – und nicht nur Wohlhabenden – erlauben, gut zu leben. Die allermeisten Menschen in diesem Land sind darauf angewiesen, dass Staat und Politik Probleme für sie lösen. Es ist unser Job als Politik dafür zu sorgen, dass unsere Kinder gute Bildung haben, dass alle von A nach B kommen, dass jeder ein Dach über dem Kopf hat und die Häuser warm sind. Wir müssen jetzt in Bus und Bahn investieren, in Wärmenetze, in Schulen und Wohnraum. Staat und Politik müssen ihren Job machen. Wir müssen Lösungen finden. Nicht Entschuldigungen. Deshalb müssen wir jetzt nicht nur das Finanzierungsproblem lösen – neu lösen – sondern auch die Planungen beschleunigen. Und da muss nicht nur der Bund liefern. Auch das Land. All die Möglichkeiten, die die verabredeten Änderungen im Planungsrecht schaffen, müssen wir hier vor Ort nutzen. Vor allem brauchen wir leistungsfähige Verwaltungen und Behörden, die planen und bauen können.


Wir brauchen nicht nur einen Deutschland-Pakt, wir brauchen auch einen Schleswig-Holstein Pakt mit Land und Kommunen, Regierung und Opposition, um entsprechende personelle und operative Fähigkeiten zu schaffen. Das Beispiel Northvolt zeigt doch die Dramatik. Da hängt die gesamte Bauplanung des größten Investitionsprojekts der letzten Jahrzehnte an zwei ehrenamtlichen Gemeindevertretungen und einem kleinen, sehr engagierten Amt. Und die rufen jeden Tag nach mehr Unterstützung vom Land. Die müssen sie auch bekommen!
Stellen Sie sich doch mal vor was passiert, wenn Northvolt deswegen scheitert, wenn wir die Wohnungen nicht bauen, die Kitaplätze abgebaut werden, die Bahnstrecken nicht erneuert werden und wir die Wärmenetze nicht in den Boden kriegen. In was für einem Land leben wir dann 2030? Mit Sicherheit nicht in einem Land, in dem die Menschen daran glauben, dass sie einen sicheren Platz in der Gesellschaft haben und sich im Vertrauen auf eine gute gemeinsame Zukunft für Zuwanderung öffnen.
In den USA und Großbritannien haben wir gesehen, was passiert, wenn sich große konservative Parteien auf den Pfad des Populismus verabschieden. Das zerstört Gesellschaft. Ich mache mir Sorgen um die Union. CDU und CSU haben ohne Zweifel große Verdienste um unser Land erworben.
Drei Mal sind unsere Parteien deshalb nach 2005 Koalitionen eingegangen, die uns schwergefallen sind. Ich habe den Eindruck, dass diese Qualität gerade in der CDU verschwindet.



4 Dafür muss ich nicht nur auf die Migrationspolitik schauen. Die Merz-CDU nimmt unser Land fiskalpolitisch in Geiselhaft. Sie scheint nicht mal zu merken, dass sie die Menschen trifft, wo sie den Schlag gegen die Bundesregierung führt. Die offene Freude darüber, die Regierung in eine schwierige Situation zu bringen, weil es gelungen ist, ihr 60 Milliarden an verplanten Mitteln zu entziehen, ist für mich schwer erträglich.
An dem Geld hängen wichtige Investitionen: Northvolt, Intel, TSMC, Ladesäulen, Bahninfrastruktur, Aufbau der Wasserstoff-Infrastruktur und Industriestrompreis. Die ökonomische und soziale Zukunft des Landes im Blick zu haben gehörte mal zu Ihren Kernkompetenzen. Die Union im Jahr 2023 steht nur noch für Geschrei und Fundamental- opposition.
Dass das auch konstruktiv geht, beweist meine Fraktion hier in Schleswig-Holstein. Statt gegen Sondervermögen der Regierung zu klagen, unterstützen wir sie. Weil wir wissen, dass sie wichtig für unser Land sind. Das ist der Geist, der Deutschland durch die aktuellen Krisen bringen kann. Ich hoffe, dass uns das auch bei der Migrationspolitik wieder besser gelingt. Die Leute erwarten, dass wir mit kühlem Kopf die vorhandenen Probleme vor Ort lösen. Wenn Sie das tun, haben Sie uns an Ihrer Seite.“



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