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23.11.23
10:50 Uhr
SPD

Thomas Losse-Müller zu den TOP's 10+30: Es geht beim Klimaschutz nicht mehr um das Ob? Sondern um das Wie!

Heimo Zwischenberger Pressesprecher der SPD-Landtagsfraktion
Adresse Düsternbrooker Weg 70, 24105 Kiel Telefon 0431 988 1305 Telefax 0431 988 1308 E-Mail h.zwischenberger@spd.ltsh.de Webseite www.spd-fraktion-sh.de Es gilt das gesprochene Wort!

Hinweis: Diese Rede kann hier als Video abgerufen werden: http://www.landtag.ltsh.de/aktuelles/mediathek

LANDTAGSREDE – 23. November 2023
Thomas Losse-Müller Es geht beim Klimaschutz nicht mehr um das Ob? Sondern um das Wie! TOP 10+30: Entwurf eines Gesetzes zur Errichtung eines Sondervermögens "Transformationsfonds des Landes Schleswig-Holstein" sowie Antrag auf Einrichtung eines Transformationsfonds des Landes Schleswig-Holstein (Drs. 20/1590, 20/1589)
„Sehr geehrte Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen, das Ziel, dass Schleswig-Holstein bis 2040 klimaneutrales Industrieland sein soll, wird in diesem Haus oft wiederholt. Von schwarz-grün, von Ihnen, Herr Minister Goldschmidt, von Ihnen, Frau Ministerin Heinold, und Ihnen, Herr Ministerpräsident. Gesetzlich festgelegt ist, dass die Treibhausgasemissionen in Schleswig-Holstein bis 2030 auf 12 Millionen Tonnen reduziert werden müssen. So steht es sowohl im Klimagesetz des Bundes und des Landes. Das Landesgesetz ist zuletzt von CDU, Grünen und FDP entsprechend verschärft worden. 12 Millionen Tonnen in 2030 bedeuten, dass Schleswig-Holstein in den nächsten 8 Jahren – 8 Jahren bis 2030 – den Ausstoß von CO2 und Methan um die Hälfte reduzieren muss. Wir stoßen nämlich das doppelte aus. 24 Millionen Tonnen.
Das ist ein gewaltiger Einschnitt in 8 Jahren, der nur zu schaffen ist, wenn wir schon heute mit den entsprechend großen Maßnahmen anfangen. Wir müssen massiv in Wärmenetze, Bus und Bahn und Wasserstoff investieren, damit wir dahin kommen, ohne einfach überall in den Unternehmen und Wohnhäusern das Licht auszuschalten, Heizungen stillzulegen und das Autofahren zu verbieten. Es geht heute beim Klimaschutz nicht mehr um das Ob? Sondern um das Wie! Über das Ob sprechen Sie gern, aber über die Frage, WIE das gehen kann und was es kostet, dahin zu kommen - darüber schweigen Sie lieber. Das muss sich ändern! Es ist sehr wichtig, dass wir eine ehrliche und offene Diskussion über die Frage führen, ob und wie die Ziele erreichbar sind. Deshalb haben wir versucht, mit unseren bescheidenen Ressourcen als Oppositions-fraktion eine möglichst seriöse Kalkulation für die Klima-Investitions-bedarfe in Schleswig-Holstein bis zum Jahr 2030 vorzulegen. Das ist nur möglich gewesen, weil uns viele Dutzende Expertinnen und Experten aus dem ganzen Land mit ihrem Rat geholfen haben. Deshalb geht zunächst mein Dank an alle, die uns auf dem Weg unterstützt haben. Darunter waren Stadtwerke, Wissenschaftler*innen, Praktiker*innen, Kommunalpolitiker*innen,


1 Bürgermeister*innen, Verbands-Vertreter*innen, Energieberater*innen, Handwerker*innen, Unternehmer*innen, Gewerkschafter*innen und viele mehr. Ihnen allen sage ich herzlich: Danke! Was wir Ihnen hier heute vorlegen, wäre eigentlich die Aufgabe der Landesregierung gewesen. Wir beschreiben, welche Investitionen und welche Investitionsmittel erforderlich sind, um die gesetzlich vorgeschriebenen CO2-Reduktionsziele im Jahr 2030 zu erreichen. Sie hatten angekündigt, bereits im Herbst einen Klimaplan vorzulegen, der darstellt, wie die Ziele eingehalten werden. Ich stelle fest: Das haben Sie nicht getan. Trotz aller neuen Stäbe, zusätzlicher Staatssekretäre und Budgets für Beratung waren Sie nicht in der Lage das zu tun. Es ist offensichtlich, dass Sie diesen Plan gar nicht vorlegen wollen, weil Sie wissen, was darinstehen würde. Es würde zeigen, dass Sie weit davon entfernt sind, Schleswig-Holstein bis 2040 klimaneutral zu machen. Das beweisen unsere Kalkulationen. Ich will mir kurz die Zeit nehmen, um den Weg zu beschreiben, wie wir die Zahlen erarbeitet haben. Wir haben zunächst einmal festgelegt, welche Ziele bis 2030 erreicht werden sollen: - 400.000 Wege sollen 2030 täglich mit dem öffentlichen Nahverkehr zurückgelegt werden. Also doppelt so viele wie heute. - Alle Busse in Schleswig-Holstein sollen 2030 klimaneutral fahren. - Alle Autofahrer*innen sollen 2030 Zugang zu ausreichender Ladeinfrastruktur für E- Autos haben. - Fünf Mal mehr Wege sollen 2030 mit dem Fahrrad zurückgelegt werden - 40 Prozent aller Gebäude - und damit mehr als die Hälfte aller Wohnungen - sollen bis 2030 an ein Wärmenetz mit klimaneutraler Wärmeversorgung angeschlossen werden. - Alle Haushalte sollen bis 2030 auf klimaneutrale Wärme umstellen können. - Alle Schulen und 25 Prozent aller öffentlichen Liegenschaften von Land und Kommunen sollen bis 2030 energetisch saniert werden. - Sicherung der bestehenden 225.000 Arbeitsplätze im produzierenden Gewerbe. - Schleswig-Holstein soll bis 2030 Wasserstoff-Standort Nummer 1 in Deutschland werden. - Bis 2030 sollen 20.000 neue Arbeitsplätze durch die Ansiedlung klimaneutraler Industrieunternehmen entstehen. - Der Katastrophenschutz in Schleswig-Holstein ist bis 2030 auf veränderte Einsatzlagen durch Klimawandel vorbereitet. - Städte und Gemeinden haben ihre Infrastrukturen auf die Auswirkungen des Klimawandels (z.B. Starkregenereignisse und Hitzeschutz) ausgerichtet. - Schleswig-Holstein wird seiner besonderen Verantwortung für den biologischen Klimaschutz gerecht.
Das sind alles Ziele, die hier im Raum Konsens sind. Viele der Ziele finden sich in den Strategien der Landesregierung oder sind daraus abgeleitet.



2 Es ist auch offensichtlich, dass diese Ziele nur durch Aktivitäten und Investitionen des Landes passieren werden. Kurz. All das ist Aufgabe der Landesregierung.
Wir haben dann auf Basis aller bekannten Zahlen und Inputs der Expertinnen die notwendigen Investitionen geschätzt. Zum Beispiel. Wege mit Bus und Bahn Der Landesnahverkehrsplan der Landesregierung sieht vor, die täglich zurückgelegten Wege mit Bus und Bahn bis zum Jahr 2030 von 210.000 auf 250.000 zu erhöhen. Also nur 40.000 mehr bis 2030. Um dieses minimale Ziel zu erreichen, fehlen der Landesregierung – nach eigenen Angaben – bereits rund 700 Millionen Euro. Um die CO2-Ziele im Mobilitätssektor zu erreichen, müssten wir nach Angaben aber zusätzlich 200.000 Wege und nicht 40.000 Wege mit Bus und Bahn ermöglichen. Das Fünffache. Heißt, dass wir die 700 Millionen Euro Fehlbedarf mindestens verfünffachen müssen und kommen dadurch auf eine Gesamtsumme von 3,5 Milliarden Euro bis 2030. Das ist ein einfacher Dreisatz, aber die Zahl scheint uns ziemlich belastbar. Viele Expert*innen im Land gehen bei Mobilität sogar von höheren Zahlen aus. Und wir werden ja alle in den Beratungen zum Gesetz- entwurf hören. Ein anderes Beispiel ist der Ausbau von Wärmenetzen. Wir gehen davon aus, dass bis 2030 rund 40 Prozent aller Gebäude an ein Wärmenetz angeschlossen werden müssen, um die CO2-Ziele im Wärmebereich zu schaffen. Ein Wärmenetz kostet im Schnitt rund 30.000 Euro pro angeschlossenes Gebäude. Wenn wir das also mit den 240.000 zusätzlichen Gebäuden multiplizieren, kommen wir auf 7,2 Milliarden Euro. Hinzu rechnen wir 800 Millionen Euro Förderung für die Umrüstung der bestehenden Gas- und Kohlekraftwerke. Das macht 8 Milliarden und passt somit genau zu der Zahl, die der Verband der schleswig-holsteinischen Stadtwerke kommuniziert hat. Da es hier ein Geschäftsmodell gibt, muss das Land nicht die komplette 8 Milliarden als Fördersumme aufbringen. Wir gehen aber von zwei Milliarden neuem Eigenkapital aus, damit die Stadtwerke und Kommunen und Genossenschaften diese Investitionen stemmen können.
Die einzelnen Posten in unserer Aufstellung sind transparent. Sie können sie nachrechnen und überprüfen. Wir haben all das auf unserer Website veröffentlicht. Es sind Schätzungen und Abschätzungen, aber wir sind uns ziemlich sicher, dass diese Zahlen in dieser Größenordnung Bestand haben werden. Wenn jemand eine bessere Zahl hat – höher oder niedriger – dann ist das gut. Wir sind jederzeit bereit, über Zahlen zu diskutieren und das Zahlenwerk zu verbessern. Ich würde mich sogar darüber freuen, weil das genau die Diskussion ist, die wir brauchen! Aber: Was 8 Jahre vor 2030 nicht mehr akzeptabel ist, wäre, unsere Zahlen zu kritisieren ohne selber eine eigene Zahl und Berechnungs-grundlage vorzulegen. Deshalb bin ich auch auf Ihre Ausführungen gespannt, Herr Goldschmidt. Wir haben ja über Kleine Anfragen alle einzelnen Punkte bei Ihnen abgefragt. Da hieß es meist: Wissen wir nicht! Oder: Arbeiten wir gerade dran. Die meisten Menschen, denen wir gesagt haben, dass Sie als zuständiger Minister gar keine Idee von den möglichen Kosten haben, konnten das gar nicht glauben.


3 Die gehen natürlich davon aus, dass es nach 11 Jahren grünen Klimaschutzministern und 11 Jahren grüner Finanzministerin mindestens mal ein Konzept und eine Investitionsplanung gibt, um beispielsweise die Landesliegenschaften klimaneutral zu machen. Gibt es aber nicht.
Wir kommen in der Summe auf einen Investitionsbedarf durch das Land und Kommunen von 15 Milliarden Euro. Wir haben die Kommunen mit eingerechnet, weil deren Finanz-bedarfe ja auch nur durch das Land bereitgestellt werden können. Wir hatten in unserer Rechnung angenommen, dass der Bund davon ein Viertel der Investitionssumme trägt. Das ist nach letzter Woche aber sehr unwahrscheinlich geworden. Es sei denn, die CDU / CSU Fraktion und Friederich Merz kommen zur Vernunft und unterstützen die Verankerung eines neuen Sondervermögens Klimaschutz im Grundgesetz, so wie wir das als Opposition hier im Land tun.
Damit sind wir dann auch wieder bei der Diskussion, um die Schuldenbremse: Erstens, es ist doch völlig klar, dass die 15 Milliarden an Investitions-bedarf bis 2030 nicht aus dem Landeshaushalt zu stemmen sind. Wer sagt, dass das alles im Haushalt finanziert werden kann, muss auch sagen, wo bei Schule, Kitas oder Polizei gekürzt wird. Zweitens, auch wenn wir die 12 Millionen Tonnen Emissionen „erst“ bis 2030 reduziert haben müssen und „erst“ bis 2040 klimaneutral sein wollen, ist doch völlig klar, dass wir bei den Planungs- und Bauzeiten, die dieses gewaltige Infrastrukturprojekte brauchen, schon heute anfangen müssen.
Klimaschutz braucht Zeit! Deshalb ist die Argumentation, dass Klimaschutz ja ein schon langes bekanntes Problem ist und durch staatliches Handeln auch anders abgewendet werden kann, so zynisch. Was kann denn Daniel Günther dafür, dass Gerhard Stoltenberg in den 70ern die Warnungen des Club of Rome nicht ernst genommen hat? Was können denn Jasper Balke oder Sophia Schiebe dafür, dass die Kolleginnen und Kollegen in den 90er Jahren, mit denen hier im Raum nur noch der Alterspräsident Lehnert und Kollege Buchholz mal gesprochen haben, sich anders entschieden haben. Ja, wir wissen schon lange, dass wir das Klima schützen mussten. Aber um ehrlich zu sein: Wir wussten auch schon vor Corona, dass es mal eine globale Epidemie geben wird. Wir wussten nur nicht welcher Virus. Und wir hätten auch wissen können, dass Russland nicht mit der Krim Halt macht. Und trotzdem waren es dann im konkreten Fall – in unserer gemeinsamen Einschätzung – Notlagen. Wenn im nächsten Jahr ein Teleskop den Kometen entdeckt, der die Erde in 20 Jahren treffen wird. Was machen wir denn dann mit der Schuldenbremse? Ist ja auch nur ein mittelfristiges Risiko…
Wer ernsthaft der Auffassung ist, dass uns die Schuldenbremse daran hindert, jetzt die notwendigen Investitionen zu tätigen, der muss so ehrlich sein und sagen, dass er die Klimaziele für unerreichbar hält und dann auch konsequent das Klimagesetz ändern.



4 Wer der Auffassung ist, dass man die Klimaziele auf einem anderen Weg erreicht. Durch den Neubau von Atomkraftwerken (obwohl wir dann immer noch Wärmenetze, Busse und Ladeinfrastruktur bräuchten), durch den Aufbau von riesigen CCS Speichern oder etwas Ähnlichem.
Der muss sagen, wie wir denn die neuen Atomkraftwerke und CO2 - Abscheideanlagen, die es dann braucht, in den nächsten 8 Jahren bauen wollen? Ohne öffentliche Subventionen! Wer sagt, dass die Wärmenetze und die Ladeinfrastruktur alle von der Privatwirtschaft gebaut und von Private Equity-Firmen verwaltet werden, der muss mal sagen, welches Unternehmen das eigentlich gerade plant und beantragt. Die brauchen ja auch 8 Jahre um zu bauen. Und wer sagt, dass der Markt das alles regelt, wenn wir nur den CO2 - Preis hochsetzen, der muss auch sagen, dass das heißt, dass wir nächstes Jahr die Energiekosten verdreifachen müssten. Im Kern geht es hier darum, dass wir jetzt schnell beschließen müssen, wie wir unsere Klimaziele erreichen und wie wir das finanzieren. Dazu wollen wir eine ernsthafte Debatte führen.
Wir müssen auch darüber sprechen, wie wir die nötigen Investitionen angesichts des Urteils des Bundesverfassungsgerichts absichern. Da besteht jetzt auch für uns noch weiterer Beratungsbedarf. Deshalb beantragen wir Ausschussüberweisung in den Finanzausschuss mitberatend in allen anderen Ausschüssen. Wir hoffen, dass wir durch eine umfangreiche Anhörung und weitere Beratung endlich eine gemeinsame Kosten- und Investitionsplanung erarbeiten können. Dazu dient dieser Aufschlag. Mein Dank nochmal an alle, die uns geholfen haben diesen ersten Aufschlag zu machen! Wir freuen uns auf die Beratungen!“



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