Navigation und Service des Schleswig-Holsteinischen Landtags

Springe direkt zu:

Diese Webseite verwendet ausschließlich für die Funktionen der Website zwingend erforderliche Cookies.

Datenschutzerklärung

19. Mai 2021 – Mai-Plenum

Kolonialgeschichte weiter Thema im Landtag

Der SSW stößt mit dem Wunsch nach einem Konzept zur weiteren Aufarbeitung des Kolonialismus auf ein geteiltes Echo. Ein geforderter Runder Tisch wird nicht von allen Fraktionen begrüßt.

Waldinger-Thiering, Jette SSW Plenartagung
Die SSW-Abgeordnete Jette Waldinger-Thiering wirbt für eine weitere Aufarbeitung der deutschen Kolonialgeschichte. Foto: Michael August

Der SSW ist mit seiner Forderung, einen Runden Tisch als Konsequenz aus den Ergebnissen einer Großen Anfrage zur „Aufarbeitung der Europäischen und Deutschen Kolonialgeschichte in Schleswig-Holstein“ einzurichten, auf ein geteiltes Echo gestoßen. Während SPD, Grüne und FDP Sympathien zeigten, äußerten sich CDU und AfD kritisch. Die Antwort der Landesregierung auf die Große Anfrage war vor gut einem Jahr im Plenum debattiert worden.

„Wir dürfen uns nicht mit der Auseinandersetzung mit unserem kolonialen Erbe scheuen“, begründete Jette Waldinger-Thiering (SSW) den jetzt vorgelegten Antrag. Nach mehr als zwei Jahren gemeinsamer Auseinandersetzung sei die Zeit für ein Konzept gekommen. „Besonderen Wert legen wir auf die Stärkung des zivilgesellschaftlichen Beteiligungsprozesses. Und deswegen denken wir, dass ein Runder Tisch an dieser Stelle der richtige Weg ist“, sagte sie.

Rassismus besser begreifen

Inhaltlich gehe es dem SSW darum, von Seiten des Landes einen Raum zu schaffen, in dem die Auseinandersetzung zwischen zivilgesellschaftlichen Initiativen und Wissenschaft, Verwaltung und Politik sowie interessierten Bürgern stattfinden kann. An dem Runden Tisch sollten „die Auswirkungen und Folgen imperialistischer Kolonialpolitik Europas und die Berührungspunkte Schleswig-Holsteins diskutiert werden“, so Waldinger-Thiering.  

Martin Habersaat (SPD) unterstützte das SSW-Begehren. Gedenkkultur von früher könne nicht die Gedenkkultur von heute bleiben. Geschichte ehre man, indem man sich kritisch mit ihr auseinandersetze, erklärte er. Ähnlich äußerte sich auch Aminata Touré (Grüne). Sie erinnerte daran, dass Straßennamen und Denkmäler „immer einen Menschen ehren“, auch dann, wenn man ein Schild als Erklärung danebenhänge. Wichtig bei der Aufarbeitung von Kolonialismus sei es, „Rassismus besser zu begreifen“. Jan Marcus Rossa (FDP) lobte, Schleswig-Holstein habe eine „Aufarbeitungskultur erarbeitet, die ihresgleichen sucht“. Es gelte aber die Frage zu klären, wie es möglich war, Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu begehen.

Verantwortung übernehmen

Tobias von der Heide (CDU) hingegen warnte davor, dass mit „dem Vertilgen“ von Straßen- und Platznamen oder Denkmälern ein „schwieriger Teil der Geschichte“ aus der Öffentlichkeit verdrängt werde. „Es geht darum, als Staat für die Vergangenheit auch klar und eindeutig Verantwortung zu übernehmen.“ Von der Heide zeigte sich skeptisch, ob ein runder Tisch die richtige Art sei, „das vielschichtige und breite Thema zu bearbeiten“. Volker Schnurrbusch (AfD) lehnte einen Runden Tisch ab. „Den Mehrwert sehen wir ebenso wenig wie eine Beteiligung der Landesregierung“, sagte er.

Bildungsministerin Karin Prien (CDU) hob die „Vorreiterrolle“ Schleswig-Holsteins bei der Aufarbeitung des Kolonialismus‘ hervor: „Wir sind auf einem guten Weg.“ Die Museen im Land seien federführend in der Aufarbeitung in Deutschland. Auch Kommunen und Hochschulen beteiligten sich. Dennoch gebe es noch viel zu tun, so Prien. Denn: „Wir wissen, dass fehlende Aufarbeitung sich in gesellschaftlicher Spannung entlädt.“ Die Ministerin verwies in dem Zusammenhang auf das Aussöhnungsabkommen mit Namibia, das in Kürze unterzeichnet werden soll.

Der Bildungsausschuss berät den SSW-Antrag weiter.

Als Konsequenz aus den Ergebnissen einer Großen Anfrage zur „Aufarbeitung der Europäischen und Deutschen Kolonialgeschichte in Schleswig-Holstein“ fordert der SSW einen sogenannten Runden Tisch. An ihm sollten „die Auswirkungen und Folgen imperialistischer Kolonialpolitik Europas und die Berührungspunkte Schleswig-Holsteins diskutiert werden“, heißt es in dem entsprechenden Antrag. Als wünschenswerte Ziele des Dialogs nennt der SSW unter anderem ein Konzept zur Erinnerungspolitik des Landes, den weiteren Umgang mit belasteten Straßennamen und Handlungsoptionen für umstrittene Denkmäler.

Die Anhörung um die Große Anfrage, die der SSW seinerzeit selbst gestellt hatte, habe „einen Mehrbedarf an politischer und gesellschaftlicher Auseinandersatzung mit der kolonialen Geschichte des Landes offenbart“, begründet die Vertretung der dänischen Minderheit im Landtag und fordert von der Landesregierung zudem, bei der weiteren Aufarbeitung auch die deutsch-dänische koloniale Geschichte in den Blick zu nehmen. Insofern ließe sich auch untersuchen, „inwieweit koloniale Akteure aus der Region Sønderjylland-Schleswig als Täter und Profiteure an den Geschehnissen, Auswirkungen und Spätfolgen in den früheren Kolonien beteiligt waren und welcher gesellschaftliche Umgang sich hieran anschließt“.

Expeditionen starteten im Kieler Marinehafen

Ein wesentliches Ergebnis der im Februar vergangenen Jahr veröffentlichten und im Juni 2020 im Landtag debattierten Antwort auf die Große Anfrage (Drs. 19/2005): Auch Schleswig-Holstein war Ausgangspunkt der Ausbeutung. Viele Expeditionen in die „Schutzgebiete“ des Kaiserreichs starteten im Kieler Marinehafen. Deutschland war zwischen den 1880er-Jahren und dem Ersten Weltkrieg Besatzungsmacht in Kamerun, Togo, in Deutsch-Südwestafrika (dem heutigen Namibia), in Deutsch-Ostafrika (dem heutigen Tansania), im chinesischen Tsingtau sowie auf mehreren Pazifikinseln. Viele Museen im Lande haben Exponate aus dieser Zeit, etwa die Völkerkundesammlung der Kieler Universität.

Neben staatlichen Aktivitäten gab es auch private Eingriffe, etwa die „Breklumer Mission“, die von Nordfriesland aus versuchte, Menschen in Afrika und in Britisch-Indien zum christlichen Glauben zu bekehren. Noch heute wird vielerorts in Schleswig-Holstein über Straßennamen diskutiert, die das koloniale Zeitalter verherrlichen. So wurden etwa zahlreiche Straßen nach Carl Peters benannt, der als Gouverneur in Deutsch-Ostafrika (Tansania) agierte, und der wegen seiner Brutalität gegenüber den Einheimischen als „Hänge-Peters“ galt.

(Stand: 17. Mai 2021)

Vorherige Debatte zum Thema:
Juni 2020

Antrag

Konzept zur Aufarbeitung der kolonialen Geschichte des Landes
Antrag der Abgeordneten des SSW – Drucksache 19/2880