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§ 68

Ausschließung von Abgeordneten

(1) Wegen gröblicher Verletzung der Ordnung kann die Präsidentin oder der Präsident eine Abgeordnete oder einen Abgeordneten für die Dauer des Sitzungstages ausschließen, ohne daß ein Ordnungsruf ergangen ist. Die oder der Abgeordnete hat den Sitzungssaal sofort zu verlassen. Geschieht dies trotz Aufforderung der Präsidentin oder des Präsidenten nicht, so wird die Sitzung unterbrochen oder aufgehoben. Die oder der Abgeordnete zieht sich hierdurch ohne weiteres den Ausschluß für die Dauer von weiteren drei Sitzungstagen zu; die Präsidentin oder der Präsident stellt dies bei Wiedereröffnung der Sitzung oder bei Beginn der nächsten Sitzung fest.

(2) Gegen den Ausschluß ist der Einspruch bei der Präsidentin oder dem Präsidenten bis zum nächsten Sitzungstag zulässig. Der Einspruch ist schriftlich zu begründen. Gibt die Präsidentin oder der Präsident dem Einspruch nicht statt, so entscheidet der Landtag darüber in der nächsten Sitzung ohne Beratung.

(3) Für die Dauer des Ausschlusses ruht die Berechtigung, an Ausschußsitzungen teilzunehmen.

Kommentar

1. Vorbemerkung

§ 68 regelt den Ausschluss von Abgeordneten. Es handelt sich um die schärfste von der Geschäftsordnung vorgesehene Ordnungsmaßnahme (vgl. auch § 17a, § 8 Abs. 4). Ihre grundsätzliche Zulässigkeit wurde vom Bundesverfassungsgericht unter Hinweis auf die der verfassungsrechtlich gewährleisteten Redebefugnis vom Parlament kraft seiner Autonomie gesetzten Schranken bejaht (BVerfGE 10, 4, 13).

2. Persönlicher Geltungsbereich des § 68

Von der Sitzung ausgeschlossen werden können nur Abgeordnete. Diese Ordnungsmaßnahme kann gegen Abgeordnete, die zugleich Mitglied der Landesregierung sind, grundsätzlich nicht eingesetzt werden; denn nach Artikel 27 Abs. 2 Satz 1 LV haben Mitglieder der Landesregierung zu den Sitzungen des Landtags Zutritt. Die Präsidentin oder der Präsident hat insoweit allerdings die Möglichkeit, eine Ermahnung auszusprechen; das kann etwa in der Weise geschehen, dass eine Ordnungsverletzung festgestellt und darauf hingewiesen wird, dass das beanstandete Verhalten bei einer oder einem Abgeordneten mit einem Ausschluss geahndet worden wäre. Außerdem kann die Präsidentin oder der Präsident gegebenenfalls auf § 69 zurückgreifen und die Sitzung zur Wiederherstellung der Ordnung unterbrechen. Auf die Erläuterungen zu § 70 Abs. 1 wird im Übrigen Bezug genommen. Ein Szenario, bei dem ein Mitglied der Landesregierung seine Befugnisse während einer laufenden Plenartagung in einer Art und Weise missbraucht, dass ein Ausschluss gerechtfertigt sein könnte, dürfte allerdings ohnehin nur theoretischer Natur sein.

3. Sachliche Voraussetzungen für den Ausschluss

Materielle Voraussetzung für einen Ausschluss ist eine „gröbliche Verletzung der Ordnung“. Wegen des Begriffs der Ordnungsverletzung wird auf Erl. 2 zu § 66 verwiesen. Es muss sich um eine besonders schwerwiegende Verletzung der Ordnung handeln, auf die mit milderen Maßnahmen nicht hinreichend reagiert werden kann (vgl. BbgVerfG, Beschluss vom 21. September 2018, Az.: 31/17, RN 75, juris; HmbVerfG, Urteil vom 2. März 2018, Az.: 3/17, RN 75 ff., juris; VerfG M-V, Urteil vom 23. Januar 2014, Az.: 4/13, RN 57, juris). Wann dies der Fall ist, lässt sich nur anhand der besonderen Umstände des Einzelfalles entscheiden. Die „gröbliche Verletzung der Ordnung“ ist ein unbestimmter Rechtsbegriff, bei dessen Anwendung der amtierenden Präsidentin oder dem amtierenden Präsidenten ein Beurteilungsspielraum zusteht. Ob ein als gröbliche Verletzung der Ordnung qualifiziertes Verhalten einer oder eines Abgeordneten mit einem Ordnungsruf oder einem Ausschluss zu ahnden ist, ist eine Entscheidung, die im pflichtgemäßen Ermessen liegt („kann ... ausschließen“). Der Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes kommt in diesem Zusammenhang eine besondere Bedeutung zu.

Anders als § 67 setzt § 68 weder mehrmalige vorhergehende Ordnungsrufe noch eine Androhung voraus.

4. Zeitpunkt und Form des Ausschlusses

Der Ausschluss gemäß Absatz 1 Satz 1 ist eine Reaktion, die sich unmittelbar an die gröbliche Verletzung der Ordnung anschließt. Durch eine derartige Sofortmaßnahme kann die verletzte Ordnung am ehesten wiederhergestellt und eine Wiederholung der Verletzung vermieden werden. Im Hinblick auf die mit dieser Ordnungsmaßnahme für Betroffene verbundenen Folgen hat die Präsidentin oder der Präsident allerdings die Möglichkeit, sich die abschließende Prüfung eines möglicherweise ordnungswidrigen Verhaltens bis zur Verfügbarkeit der stenographischen Aufnahme oder der Aufzeichnung auf Tonträger vorzubehalten. Da der Ausschluss nur während der Sitzung erfolgen kann, muss diese gegebenenfalls unterbrochen werden. Nach Wiederaufnahme der Sitzung kann dann – je nach dem Ergebnis der Prüfung – die gröbliche Ordnungsverletzung durch Ausschluss geahndet werden. Einen nachträglichen Ausschluss nach Schließung der Sitzung bei einer der Präsidentin oder dem Präsidenten zunächst entgangenen gröblichen Verletzung der Ordnung sieht § 68 im Gegensatz zu § 66 Abs. 1 Satz 2 nicht vor.

Die Entscheidung der Präsidentin oder des Präsidenten muss deutlich erkennbar machen, dass sie auf der Grundlage des § 68 getroffen worden ist.

5. Geltungsdauer des Ausschlusses

Absatz 1 Satz 1 legt fest, dass die oder der Abgeordnete „für die Dauer des Sitzungstages“ ausgeschlossen wird. Die Ordnungsmaßnahme gilt also nur für den Rest desjenigen Sitzungstages, an dem die Ordnung gröblich verletzt wurde. Zum Begriff des Sitzungstages wird auf § 45 Abs. 1 Satz 2 verwiesen.

6. Folgen des Ausschlusses

Der Ausschluss begründet für Betroffene die Verpflichtung, den Sitzungssaal sofort zu verlassen (Absatz 1 Satz 2). „Sofort“ bedeutet nach dem allgemeinen juristischen Sprachgebrauch „ohne schuldhaftes Zögern“. Kommt die oder der Betroffene dieser Verpflichtung trotz entsprechender Aufforderung der Präsidentin oder des Präsidenten nicht nach, muss die Sitzung unterbrochen oder aufgehoben werden (Absatz 1 Satz 3). „Aufhebung“ bedeutet Beendigung der Sitzung. Demgegenüber führt eine Unterbrechung nur zu einer zeitlich begrenzten Zäsur; nach Wiederaufnahme der Verhandlungen wird in der Beratung der noch nicht abgeschlossenen Punkte der Tagesordnung fortgefahren. Aufhebung und Unterbrechung aufgrund des Nichthinausgehens der oder des ausgeschlossenen Abgeordneten haben nach Absatz 1 Satz 4 den Ausschluss für drei weitere Sitzungstage zur Folge (vgl. hierzu VerfGH BW, Urteil vom 22. Juli 2019, Az.: 1 GR 1/19, RN 174 ff., juris). Dieser Ausschluss tritt ohne weiteres ein; einer entsprechenden Entscheidung oder Erklärung der Präsidentin oder des Präsidenten bedarf es also nicht. Die Präsidentin oder der Präsident ist lediglich gehalten, die sich aus der Pflichtverletzung ergebende zwingende Rechtsfolge bei Wiedereröffnung der Sitzung (im Fall der Unterbrechung) oder bei Beginn der nächsten Sitzung (im Fall der Aufhebung) festzustellen. Hinzuweisen ist im Übrigen darauf, dass ausgeschlossene Abgeordnete, die sich weigerten, den Sitzungssaal zu verlassen, einen Hausfriedensbruch (§ 123 StGB) begingen. Hinsichtlich der sich aus der Verletzung des Hausrechts ergebenden Konsequenzen wird auf die Erläuterungen zu § 5 verwiesen.

Da die oder der betroffene Abgeordnete sofort den Sitzungssaal zu verlassen hat und ihn während der Dauer des Ausschlusses auch nicht wieder betreten darf, kann sie oder er zeitweise das aus dem Abgeordnetenstatus folgende Anwesenheits-, Rede- und Stimmrecht nicht ausüben. Dies stellt sich gerade im Hinblick auf das Stimmrecht als besonders einschneidend dar. Gleichwohl ist der mit einem Sitzungsausschluss verbundene Entzug des Stimmrechts grundsätzlich zulässig; anderenfalls würden die mit diesem Ordnungsmittel verfolgten Ziele erheblich ihrer Wirkung beraubt. „Dass der Sitzungsausschluss mit einem zeitweisen Entzug des Stimmrechts verbunden ist, kann und muss allerdings bei der Beurteilung der Verfassungsmäßigkeit eines ausgesprochenen Sitzungsausschlusses berücksichtigt werden“ (VerfGH BW, Urteil vom 22. Juli 2019, Az.: 1 GR 1/19, RN 140, juris). Wenn bei einer besonders wichtigen Abstimmung gleichwohl eine ausgeschlossene Abgeordnete oder ein ausgeschlossener Abgeordneter zugelassen werden soll, so ist dies als Abweichung von der Geschäftsordnung möglich (§ 75).

Über die bisher erwähnten Folgen hinaus ergeben sich aus dem Ausschluss weitere Konsequenzen für Betroffene. Aus Absatz 3 ergibt sich, dass die oder der Ausgeschlossene nicht an solchen Ausschusssitzungen teilnehmen darf, die während der Ausschlussfrist stattfinden. Das Recht betroffener Abgeordneter, während des Ausschlusses z. B. Anträge zu stellen oder sich an der Einbringung von Großen Anfragen zu beteiligen, wird durch den Sitzungsausschuss dagegen nicht tangiert. Denn § 68 betrifft die schärfste Disziplinarmaßnahme gegen Abgeordnete und darf daher nicht extensiv interpretiert werden. Wenn diese Norm lediglich den Ausschluss von Sitzungen des Landtags und seiner Ausschüsse zulässt, so ist davon auszugehen, dass betroffene Abgeordnete ihre parlamentarischen Aufgaben im Übrigen wahrnehmen können (Ritzel/Bücker/Schreiner, aaO., § 38 GO-BT, Erl. 7. a).

Zu erwähnen bleibt, dass ausgeschlossene Abgeordnete – unter Beachtung der insoweit geltenden allgemeinen Voraussetzungen – die weiteren Verhandlungen von der Tribüne aus verfolgen können (vgl. Ritzel/Bücker/Schreiner, aaO., § 38 GO-BT, Erl. 7. a).

7. Weitere Behandlung des Ausschlusses und Rechtsbehelfe

Wie beim Ordnungsruf (vgl. Erl. 5 zu § 66) findet auch beim Ausschluss eine Diskussion über die Ahndung der Ordnungsverletzung nicht statt. Weder die oder der betroffene Abgeordnete noch andere Abgeordnete können daher zum Ausschluss selbst oder zum Anlass für diese Maßnahme vor dem Plenum Stellung nehmen.

Die oder der betroffene Abgeordnete hat lediglich gemäß Absatz 2 Satz 1 die Möglichkeit, gegen den Ausschluss Einspruch bei der Präsidentin oder beim Präsidenten einzulegen, und zwar bis zum Ende des nächsten Sitzungstages. Die Einspruchsfrist ist eine Ausschlussfrist; eine Fristverlängerung oder eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gibt es nicht. Anders als beim Einspruch gegen den Ordnungsruf muss der Einspruch nicht nur schriftlich eingelegt, sondern auch schriftlich begründet werden (Absatz 2 Satz 2). Hinsichtlich der Bedeutung des Gebots der Schriftlichkeit wird auf Erl. 5 zu § 66 verwiesen. Die oder der Abgeordnete muss nach alledem nicht nur angeben, inwieweit sie oder er den Ausschluss angreift, sondern auch die Gründe darlegen, die nach ihrer oder seiner Auffassung gegen die Zulässigkeit oder Begründetheit der Maßnahme sprechen.

Nach Absatz 2 Satz 3 hat die Präsidentin oder der Präsident die Möglichkeit, dem Einspruch stattzugeben, d. h. – je nach dem Petitum der oder des Abgeordneten – den Ausschluss aufzuheben oder zeitlich zu begrenzen. Sieht sich die Präsidentin oder der Präsident zu einer solchen Abhilfeentscheidung nicht in der Lage, muss der Landtag in der nächsten Sitzung (vgl. zu diesem Begriff Erl. 5 zu § 66) über den Einspruch entscheiden. Der Einspruch ist daher – trotz Fehlens einer § 66 Abs. 3 Satz 1 entsprechenden Regelung – auf die Tagesordnung der nächsten Sitzung zu setzen; eine Dispositionsbefugnis besteht insoweit nicht. Über den Einspruch, der als Drucksache zu verteilen ist (vgl. Erl. 5 zu § 66) entscheidet der Landtag ohne Beratung (Absatz 2 Satz 3). Es findet also keine Aussprache, sondern lediglich eine Abstimmung statt. Der Landtag kann dem Einspruch nur stattgeben oder ihn zurückweisen, nicht aber die Ordnungsmaßnahme abändern. Wie bei der Entscheidung über den Einspruch gegen einen Ordnungsruf ist auch hier weder eine Vertagung noch eine Ausschussüberweisung zulässig.

Hat die oder der betroffene Abgeordnete mit ihrem oder seinem Einspruch keinen Erfolg, so kann sie oder er die beanstandete Entscheidung gemäß Artikel 51 Abs. 2 Nr. 1 LV zur Überprüfung dem Landesverfassungsgericht vorlegen (vgl. Ritzel/Bücker/Schreiner, aaO., Vorbem. 5. d zu den §§ 36 bis 41).

Kommentar zur Geschäftsordnung des Schleswig-Holsteinischen Landtages

Stand: 14. April 2023

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