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09.11.99
12:45 Uhr
CDU

Zum 10. Jahrestag "Fall der Mauer" erklärte der Vorsitzende der CDU-Landtagsfraktion und Oppositionsführer im Schleswig-Holsteinischen Landtag, Martin Kayenburg:

LANDTAGSFRAKTION S C H L ES WI G - H O LS T EI N

Pressesprecher Bernd Sanders Landeshaus 24100 Kiel Telefon 0431-988-1440 Telefax 0431-988-1444 Internet: http://www.landsh.de/cdu-fraktion/ e-mail:fraktion@cdu.landsh.de
PRESSEMITTEILUNG Achtung! Sperrfrist: 9. November 1999, 14.00 Uhr, Es gilt das gesprochene Wort


Nr. 508/99 vom 9. November 1999

Zum 10. Jahrestag „Fall der Mauer“ erklärte der Vorsitzende der CDU-Landtagsfraktion und Oppositionsführer im Schleswig- Holsteinischen Landtag, Martin Kayenburg:
Gedenktage bieten, wie es Theodor Heuß, unser erster Bundespräsident formulierte, die Möglichkeit, sich im grundsätzlichen Nachdenken über die Vergangenheit von den Zwängen des Alltags zu lösen. Wir sind hier heute zu einem solchen Gedenken an den 9. November 1989 zusammengekommen, dem Tag, an dem die Mauer fiel, nachdem auch 3 Tage später in den Stacheldrahtzaun hier bei Mustin ein großes Loch geschlagen wurde. Den Ort des Gedenkens haben wir bewusst hier nach Mustin an den „Stein der Einheit“ gelegt. Ich finde es beeindruckend und positiv zugleich, in welchem Umfang und in welcher Vielfältigkeit die Medien, Politiker, Kommunen, Vereine und Verbände in diesen Tagen über jene Tage berichten, die eine ganze Nation in einen Freudentaumel versetzt haben. Dies kann nur ein gutes Zeichen für die Zukunft sein, vor dem Hintergrund mancher Irritationen in der Vergangenheit, die mir durchaus bewusst sind.
In der Nacht vom 2. auf den 3. Oktober 1990 haben wir, die CDU Schleswig-Holstein und die CDU Mecklenburg-Vorpommern nach einem Jahr deutscher Einheit hier genau auf der Linie der ehemaligen innerdeutschen Grenze diesen Gedenkstein gesetzt: Einigkeit und Recht und Freiheit sollten und sollen dabei Vergangenheit und Zukunft gleichermaßen symbolisieren. Es war ein wirklich großes Fest!
Ein Jahr zuvor, am 9. November, war in Berlin die Mauer eingerissen, waren die Tore in die Freiheit aufgemacht worden. Hier bei Mustin kamen die Trabbikolonnen aus Roggendorf, Gadebusch und Schwerin erstmals am 12. November 1989 über die Grenze und wurden von den hiesigen Bürgerinnen und Bürgern mit kaum beschreibbarer Freude begrüßt.
Bis zu diesem Zeitpunkt hat der CDU-Kreisverband Herzogtum Lauenburg über 20 Jahre mit dem Kreisvorsitzenden Meinhard Füllner alljährlich zum 17. Juni an dieser Stelle große Demonstrationen organisiert, • um den Gedanken an die deutsche Einheit wachzuhalten, • um gegen die unmenschliche Mauer in Berlin zu protestieren • und das Einreißen des menschenverachtenden Stacheldrahtzaunes einzufordern.
Die CDU war aber nicht nur hier der einzige aktive Anwalt für die Unteilbarkeit des Deutschen Volkes.
Namhafte Politiker der CDU haben in dieser Zeit den Weg nach Mustin gefunden. Die CDU war es, die den Gedanken an die Deutsche Einheit wach und lebendig gehalten hat.
Nach dem Fall der Mauer wollten es plötzlich auch die anderen Parteien in dieser Region gewesen sein, voran die Grünen, die vorher noch dafür eingetreten waren, die Hinweisschilder „Zonengrenze“ oder „ Schwerin 46 km“ abzubauen. Und diese Unehrlichkeit ist es, die uns noch heute empört.
Es war immer wieder ein erschütterndes Erlebnis für die Bürger, wenn sie beim Besuch der Grenzanlagen in die kalten Ferngläser der sie aufmerksam verfolgenden bewaffneten Soldaten der NVA schauen mussten.
Heute treffen sich unsere beiden Fraktionen und interessierte Bürger hier, • um dies damalige Unrecht nicht vergessen zu machen, • um den Entwicklungsprozess in 10 Jahren deutscher Einheit zu würdigen • und auch, um für mehr Gemeinsamkeit in der Entwicklung des immer noch nicht abgeschlossenen Einigungsprozesses zu werben.
Noch im Juni 1989 besuchte der damalige amerikanische Botschafter Vernon Walters auf Einladung des BGS diese Region und war davon überzeugt, dass er es nicht mehr erleben könne, dass diese Grenze wieder offen sein würde. Viele andere Prominente haben hier in Mustin an der B 208 gestanden und hinüber in den Osten geschaut und ihren Wunsch, ihre Hoffnung für eine friedliche Wiedervereinigung formuliert. Kaum jemand hatte aber geglaubt, dass dies in absehbarer Zeit Realität werden könnte. Das dies dann doch Wirklichkeit wurde, haben nicht wir im Westen vorrangig bewirkt, sondern das haben wir den mutigen Demonstrationen und dem Freiheitsdrang der Bürger der ehemaligen DDR zu verdanken.
Die Glasnost-Politik des sowjetischen Präsidenten Michail Gorbatschow und die von ihm eingeleiteten Reformen ermutigte den Widerstand in der DDR gegen das dortige Regime, sich stärker zusammenzuschließen. Aber an diesem Tag darf auch nicht vergessen werden, dass unser damaliger Bundeskanzler Helmut Kohl konsequent, mutig und schnell entschlossen die offensichtlich einmalige historische Chance für die Wiedervereinigung ergriffen hat. Später, als der Druck auf das DDR-Regime von außen und von innen immer größer wurde, gab es kein Halten mehr. Wir erinnern uns noch heute bewegt an die ergreifenden Szenen in Berlin an der Mauer und hier an der ehemaligen Zonengrenze.
Das rauschende Wiedersehen und Wiedervereinigen am Brandenburger Tor in Berlin am Abend des 9. November wird niemand vergessen können, der es live oder am Fernsehen miterlebte. Hoffnungen, Wünsche, Träume auf allen Seiten.
Am 9. November 1989 triumphierte die Freiheit über die Unfreiheit, die Demokratie über die Diktatur. Die Ordnung, die auf Freiheit, Gleichheit und Gerechtigkeit gründete, hatte sich letztendlich als die stärkere erwiesen.
Und heute, 10 Jahre später, müssen wir uns fragen: Was ist geworden? Ob hier blühende Landschaften entstanden sind oder nicht, darüber sollten wir nicht streiten. Zweifelsfrei und in allen Bereichen der neuen Länder erkennbar ist, dass hier eine Aufbau- und Erneuerungsleistung von unglaublichen Ausmaßen erfolgt ist – und allen Beteiligten, vor allem aber den Bürgern der ehemaligen DDR gilt heute unser besonderer Dank. Über den dafür erforderlichen finanziellen Aufwand und die damit verbundenen Opfer aller ist schon viel kritisch diskutiert worden und soll in dieser Feierstunde nicht unser Thema sein.
Aber - nach 10 Jahren Aufbauarbeit ist das Gröbste geschafft.
Und ich bin überzeugt - die Investitionen werden sich in der Zukunft mit Sicherheit auszahlen, denn sie waren und sind die unverzichtbaren Voraussetzungen für das Erreichen vergleichbarer – und ich hoffe, auch gleichwertiger Lebensverhältnisse in Ost und West.
Bis heute spüren wir aber auch, dass mehr als 40 Jahre Trennung ihre Spuren hinterlassen hat. Das Erleben von Demokratie und Marktwirtschaft hatte die Bürger der Bundesrepublik Deutschland anders in Denken und Verhalten geprägt als die nahtlos von der Hitlerschen Diktatur in die SED-Diktatur hinübergeglittenen DDR- Bürger. Fast 60 Jahre Diktatur und Planwirtschaft waren und sind nicht so einfach wegzuwischen. Deshalb ist es so wichtig, wie es Wolfgang Schäuble vor kurzen erneut wiederholte, dass die Deutschen „langfristig wieder zu einem psychologischen Gleichgewicht, zu einer inneren Stabilität gelangen“.
Wir dürfen dies beim mühsamen Tagesgeschäft nicht aus dem Auge verlieren. Die Chancen, die die Wiedervereinigung für beide Seiten bedeutet, dürfen wir nicht vergessen und nicht schlecht reden. Wir müssen den Auftrag, den wir mit der Wiedervereinigung als gesamtes Volk erhalten haben, noch weiter vollenden.
Geblieben sind bei vielen die mentalen Unterschiede. Diese abzubauen ist die Aufgabe der Zukunft und wird noch lange Zeit in Anspruch nehmen. Zu unterschiedlich ist die jeweilige gesellschaftliche Prägung durch die gegensätzlichen Systeme. Eine wichtige Voraussetzung für den Abbau der vielfältigen mentalen Probleme ist eine positive wirtschaftliche Entwicklung und die Angleichung der wirtschaftlichen Lebensverhältnisse. In diesem Zusammenhang halte ich die Lösung des Problems der Arbeitslosigkeit für unsere größte gemeinsame Herausforderung. Es ist für eine Gesellschaft nicht hinnehmbar, wenn - wie in einigen Bereichen von Mecklenburg-Vorpommern - die Arbeitslosenquote über 20 % liegt. Dies ist nicht nur eine enorme existenzielle und psychologische Belastung für die Betroffenen, sondern untergräbt auch den gesellschaftlichen Einigungsprozess. Deshalb gehört zur Förderung der Einheit, dass wir uns gemeinsam für die Verbesserung der Infrastruktur der norddeutschen Region einsetzen. Wir sollten uns überlegen, wie wir trotz aller Konkurrenz unserer beiden Bundesländer in diesem Sinne mehr Gemeinsamkeiten entwickeln können. Die Werftenpolitik, die A 20 oder auch der Bau einer Transrapid-Strecke sind aktuelle Beispiele. Die Nachbarländer SH und MVP sollten Motor für eine intensivere Kooperation der norddeutschen Küstenländer werden. Damit stärken wir nicht nur unsere Wettbewerbsfähigkeit im Konzert der europäischen Regionen, sondern leisten auch einen nicht zu unterschätzenden Beitrag für ein norddeutsches Gemeinschaftsgefühl und damit auch zur wirklichen Einheit der Menschen.
Eine solche Entwicklung ist m.E. auch das wirksamste Mittel, um die Wahlerfolge der SED-Nachfolgepartei PDS auf ein Maß zu bringen, das der Gerechtigkeit der Geschichte entspricht.
Notwendig bleibt es daher für die Zukunft, dass wir uns besser kennen, besser verstehen lernen. Wir haben als CDU Schleswig-Holstein und als Landtagsfraktion nach der Wende unsere Hilfe zum Aufbau der Demokratie in Mecklenburg- Vorpommern angeboten und sie wurde dankbar angenommen. Inzwischen ist diese Hilfe nicht mehr nötig. Im Gegenteil. Es gehört zur Normalität, dass wir uns auch Rat von Ihnen, den neuen Demokratien holen.
Ich wünsche uns allen, dass dieser Tag Anstoß für eine Belebung und Vertiefung unserer Kontakte und Partnerschaften auf allen Ebenen ist. Gedenktage haben dann einen Sinn, wenn sie uns aus dem Alltagstrott reißen und wenn sie Ermüdungserscheinungen im Miteinander beheben. Das ist unsere Absicht. Die Verwirklichung und Vollendung der deutschen Einheit braucht noch viele Jahre unsere ganze Aufmerksamkeit.