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14.12.01
11:24 Uhr
CDU

Jost de Jager: PISA führt zum Wettstreit über bessere Konzepte

LANDTAGSFRAKTION S C H L ES WI G - H O LS T EI N

Pressesprecher Bernd Sanders Landeshaus 24100 Kiel Telefon 0431-988-1440 Telefax 0431-988-1444 Internet: http://www.landsh.de/cdu-fraktion/ e-mail:fraktion@cdu.landsh.de
PRESSEMITTEILUNG Nr. 511/01 vom 14. Dezember 2001
TOP 23a Jost de Jager: PISA führt zum Wettstreit über bessere Konzepte Wer Augen hatte zu sehen und Ohren zu hören, der konnte von Pisa nicht wirklich überrascht sein. Der Pisa-Schock beruht nicht auf der Tatsache, dass wir im internationalen Vergleich schlecht abgeschnitten haben, sondern darauf, wie schlecht wir abgeschnitten haben. Besonders besorgniserregend ist deshalb nicht der Blick auf die Länder, die vor uns liegen, sondern die Erkenntnis, welche Länder hinter uns liegen.
Zum Beispiel bei der Bemessung der Lesefähigkeit. Wörtlich heißt es in der Zusammenfassung von Pisa auf der S. 13: „In der unterdurchschnittlich erfolgreichen Gruppe befinden sich neben Deutschland alle fünf der ehemaligen Ostblockländer, die an Pisa teilgenommen haben, vier Länder aus dem südeuropäischen Raum sowie zwei südamerikanische Staaten.“ Eines dieser beiden Länder ist Brasilien, doch die können zumindest Fußball spielen, sagte mir ein Landeshauskorrespondent neulich im Scherz.
Doch im Ernst: Pisa ist eben keine Bundesligatabelle, sondern bei Pisa geht es um die Bildung von jungen Menschen, es geht um deren persönliche und berufliche Zukunftsaussichten und es geht nicht zuletzt um unsere Zukunft als Industrienation, die im wesentlichen von ihren Köpfen lebt.
Aus diesem Grund gehen die wesentlichen Erkenntnisse von Pisa nicht nur Bildungspolitikern unter die Haut.
1. Der durchschnittliche Leistungsstand der 15-jährigen Schüler in Deutschland ist schlecht. Pisa hat die Lesefähigkeit, das Textverständnis von Schülerinnen und Schülern der westlichen Welt untersucht, und stellt fest: „Mit etwa 20 % des Altersjahrgangs ist der Anteil schwacher und schwächster Leser in Deutschland ungewöhnlich groß.“
Dies ist so etwas wie ein bildungspolitischer Offenbarungseid. Denn die Tatsache, dass jeder fünfte deutsche Schüler diesen Alters zur Risikogruppe gehört, ist schon schlimm genug; sie wird dadurch noch schlimmer, dass das Leseverständnis erwiesenermaßen die Grundvoraussetzung ist für weiteres eigenständiges Lernen und für das Erlernen mathematischer und naturwissenschaftlicher Zusammenhänge. Und hier geraten wir in eine fatale Wirkungskette.
2. Die Pisa-Zusammenfassung stellt fest: „Offensichtlich gelingt es in Deutschland nicht so wie in anderen Ländern die schwachen Schülerinnen und Schüler zu fördern. Auf der anderen Seite gibt es aber auch keine Hinweise auf einen überdurchschnittlich großen Anteil von Schülerinnen und Schülern in Deutschland, die Leistungen auf einem Spitzenniveau erbringen. Im Unterschied zum Vereinten Königreich aber gibt es in Deutschland keine ausgeprägte Elite.“
Das deutsche Schulwesen fördert offenbar schlecht. Wir schaffen es weder, die Guten zu fördern, noch die ganz Schwachen, die es auch in besonderer Weise bedürfen. Dies ist ein Punkt, den wir uns merken müssen.
3. Dies gilt auch für den Umstand, dass es in Deutschland schlecht gelingt, Defizite, die Schülerinnen und Schüler von zu Hause mitbringen, im Laufe der Schulzeit auszugleichen. In kaum einem anderen untersuchten Land wirkt sich die soziale Herkunft so deutlich auf die Schulaussichten und Lernperspektiven aus. Anspruch und Wirklichkeit im deutschen Schulwesen klaffen also meilenweit auseinander.
4. Die Integration ausländischer Kinder durch die Schule gelingt kaum. Dies hat allerdings auch damit zu tun, dass in anderen europäischen Ländern wie etwa Frankreich und Großbritannien der Großteil der ausländischen Kinder die gleiche Sprache sprechen, weil sie aus den ehemaligen Kolonien kommen. Das ist in Deutschland anders und insofern kann man nicht die Schule dafür verantwortlich machen, sondern das Fehlen weiterer Integrationsmaßnahmen ergänzend zur Schule oder ihr vorgeschaltet.
Die bisher veröffentlichten Ergebnisse von Pisa sind nur die halbe Wahrheit. Im Verlauf des Jahres 2002, wahrscheinlich in der zweiten Jahreshälfte, werden die regionalisierten Ergebnisse der Pisa-Studie vorgestellt, sprich der Vergleich der Bundesländer untereinander. Und erst bei diesem Vergleich geht es bildungspolitisch zu Sache. Zwar ist es ohne Abstriche wichtig zu wissen, wie Deutschland im Bildungsvergleich mit Großbritannien, den USA oder Finnland abschneidet. Landespolitisch wird es aber erst richtig interessant, wenn wir wissen, wie Schleswig- Holstein im Vergleich zu Bayern, Baden-Württemberg oder Sachsen abschneidet. Oder wenn wir wissen, wie Nordrhein-Westfalen im Vergleich zu Hessen dasteht.
Und so wie man sich in etwa im Vorwege der Veröffentlichung die Ergebnisse von Pisa 1 ausmalen konnte, so kann man sich auch die Ergebnisse dieses Bundesländervergleiches vorstellen. Vor diesem Hintergrund ist der Appell des SPD- Fraktionsvorsitzenden Lothar Hay zu verstehen, die weiteren Schritte im Konsens zu gehen. Ich bin mir nicht sicher, ob wir diesen Konsens erreichen werden, Herr Hay, denn ich glaube nicht, dass die richtige Reaktion auf die bestürzenden Ergebnisse von Pisa nun ausgerechnet in einem schulpolitischen Schulterschluss liegt. Ich glaube eher, dass wir jetzt den Wettstreit über die besseren Konzepte und Ideen für eine Verbesserung der Bildungspolitik in Deutschland dringend brauchen. Wann, wenn nicht jetzt.
Ich gebe Ihnen ausdrücklich Recht, Herr Hay, die bildungspolitischen Grabenkämpfe zu beenden. Auch wir glauben, dass es vertane Zeit wäre, die Debatten der 70er Jahre fortzuführen. Das gilt vor allem für die bemerkenswerten Äußerungen der Grünen- Politikerin Birk und der SSW-Vertreterin Frau Spoorendonk, die als Ergebnis von Pisa zu der Feststellung gelangen, dass nur die 6-jährige Grundschule und die Gesamtschule die Schulformen der Zukunft sein könnten. Ich antworte Ihnen: Das ist keineswegs die Schlussfolgerung aus Pisa, sondern das sind in der Tat die Floskeln vergangener Zeiten. Wer so etwas heute noch sagt, gehört nach Pisa zu den Risikogruppen der Deutschen Schulpolitik.
Die CDU-Fraktion ist der Auffassung, dass die Bildungspolitik nach den Ergebnissen von Pisa künftig sehr viel stärker einen Schwerpunkt auf die Grundschule legen muss. Es ist wahr, dass Pisa Grundschüler nicht untersucht hat, sondern 15-jährige Schüler; es ist aber genauso richtig, dass bei diesen 15-jährigen Schülern Versäumnisse aufgetreten sind, die sie seit der Grundschule begleiten. Dies hat etwas mit dem Faktor Zeit zu tun. Gerade in der Grundschule muss wieder mehr Zeit zur Verfügung stehen, um die Grundfertigkeiten, die die Grundschule vermitteln soll, auch tatsächlich zu erlernen und einzuüben. Das bedeutet, dass insbesondere zu Beginn der Schulzeit die Stundentafeln natürlich voll erfüllt werden muss. Der Faktor Zeit spielt in der Grundschule aber auch noch in einem anderen Zusammenhang eine Rolle. Gerade die Grundschule braucht mehr zeitliche Kapazitäten, um Leistungsschwache und Leistungsstarke gleichermaßen zu fördern. Ein Teil des Dilemmas besteht doch darin, dass derzeit die Förderung derjenigen, die mit Defiziten in die Schule kommen, im Rahmen der ohnehin zu knapp bemessenen regulären Unterrichtszeit erfolgen muss. Die Forderung muss deshalb lauten, dass künftig der Nachholbedarf die Förderung außerhalb der regulären Unterrichtszeit erfolgen muss.
Die Herkules-Aufgabe, vor der die Grundschule steht, lässt sich anhand von einer Zahl vielleicht am besten beschreiben: Schulpraktiker gehen davon aus, dass 25 % der Erstklässler sprachliche, motorische oder verhaltensbedingte Auffälligkeiten mitbringen. Darauf müssen die Grundschulen eingestellt werden.
Die Kernforderung lautet: Die Grundschule muss wieder in die Lage versetzt werden, dass Erlernen der eigenen Muttersprache in Wort und Schrift sicherzustellen. Wir brauchen einen besonderen Schwerpunkt für den Deutschunterricht in der Grundschule.
Mit dieser Auffassung grenzen wir uns allerdings auch ab von dem Vorschlag der Kultusministerkonferenz, den Schulbeginn quasi in den Kindergarten zu verlegen. Es wirkt ein bisschen wie der Versuch, die Verantwortung nun in den Bereich zu verlagern, für den die Kultusminister gerade nicht verantwortlich sind und das sind die Kindertagesstätten. Ohne Zweifel brauchen wir eine Renaissance des Leistungsprinzips. Wenn wir den Leistungsstand von Schülerinnen und Schülern verbessern wollen, dann müssen wir Leistungen von ihnen fordern. Wir müssen diese Leistung fördern und wir müssen diese Leistung messen. Nicht nur die Leistung einzelner Schülern, sondern auch die Leistung einzelner Schulen.
Es kann nicht sein, dass wir auf die OECD angewiesen sind, um zu wissen, wo unsere Schulen stehen.
Voraussetzung dafür sind allerdings vergleichbare Standards. Vergleichbare Standards inhaltlicher wie organisatorischer Natur. Die CDU-Fraktion fordert deshalb ein Ende der Beliebigkeit, auch was die Lehrpläne anbelangt. Es kann nicht sein, dass die Entwurfsfassung des Lehrplanes Deutsch für die Sekundarstufe II eine weitgehend autorenfreie Zone ist. Es kann ebenso wenig angehen, dass der Lehrplanentwurf für Geschichte weitestgehend auf die Nennung historischer Namen verzichtet. Vielmehr brauchen wir wieder fest definierte Bildungsinhalte, die von allen Schülern auch tatsächlich erlernt werden müssen. Wir wollen einen Bildungskanon, weil wir nur so die Standards benennen können, die wir am Ende von den Schülerinnen und Schülern einfordern.
Zu diesen vergleichbaren Standards gehören aber auch vergleichbare Prüfungen. Die Konsequenz aus stärker festgelegten Bildungsinhalten ist, die Einführung zentraler Abschlussprüfungen in den zentralen Fächern.
Was wir nicht wollen, ist „externe Evaluation“, wie die Ministerin sie vorgeschlagen hat. Wir wollen nicht, dass Gruppen von Gutachtern von Schule zu Schule reisen. Das ist Bürokratie, keine Leistungskontrolle.
Daran, ob wir schnell dazu kommen, konkrete Forderungen auch hier in Schleswig- Holstein umzusetzen, wird sich entscheiden, wer nur über Pisa reden will und wer auch wirklich handeln will.