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09.07.14
11:29 Uhr
SPD

Birgit Herdejürgen zu TOP 11a, 11b, 43: Eine moderne, ausgewogene Verfassung

Es gilt das gesprochene Wort!
Kiel, 9. Juli 2014


TOP 11A, 11B, 43: Reform der Landesverfassung (Drs. 18/2095, 18/2115, 18/2116)



Birgit Herdejürgen:
Eine moderne, ausgewogene Verfassung

Als im Jahr 1988 die Enquete-Kommission zur Landesverfassung eingerichtet wurde, geschah dies vor dem Hintergrund von Ereignissen, die aus Sicht des Landtages eine grundlegende Umsteuerung der bis dahin geltenden Landessatzung notwendig machten.
Im Ergebnis wurden die Rechte des Parlaments in Gänze und die der Opposition im Besonderen deutlich gestärkt, neue Instrumente der Kontrolle und der Sicherstellung transparenten Regierungshandelns und Beteiligungsmöglichkeiten von Bürgerinnen und Bürgern eingeführt. Seitdem haben wir z.B. die eben schon beschriebenen Akteneinsichtsrechte.
Zu Recht wurde in der damaligen Diskussion betont, dass eine Landesverfassung auf dauerhaften Bestand angelegt und nicht dem politischen Zeitgeist unterworfen sein darf. Dass dies seit nunmehr 25 Jahren der Fall ist, wird durch die Arbeit des damaligen Landtages möglich gemacht, der eine vorbildliche, schlanke, moderne Verfassung beschlossen hat. Dennoch hat es in der jüngeren Vergangenheit Verfassungsänderungen gegeben. Die Rahmenbedingungen der politischen Arbeit haben sich verändert durch technische Entwicklungen, durch erweiterte Anforderungen an Transparenz und Beteiligung und durch Verschiebung der Gewichte zwischen den unterschiedlichen Ebenen der politischen Willensbildung. Daher die Notwendigkeit einer Überarbeitung der Verfassung nach ausführlicher Diskussion und Expertenbefragungen. 2



Wir mussten also das Rad nicht neu erfinden. Vieles, was wir im Ausschuss diskutiert haben, hat letztendlich keinen Eingang in den neuen, vorliegenden Entwurf gefunden. Dies gilt für Themen, die aus unserer Sicht an anderer Stelle geregelt werden müssten, sowie für Vorschläge, für die erkennbar keine Zweidrittelmehrheit herzustellen ist.
Ich möchte mich an dieser Stelle ausdrücklich bedanken: bei Ausschüssen und Arbeitsgruppen, die zum Teil schon in der vergangenen Legislatur Vorschläge zur Parlamentsreform vorgelegt haben, bei den Experten, die uns umfangreich beraten haben. Das, was in Papier vorliegt, ist ja im Ausschuss in den Diskussionen noch ergänzt worden. Vor allem aber bedanke ich mich bei den Kollegen. Wir haben eine Reihe von Themen zum Teil sehr kontrovers diskutiert. Aber das Bemühen, am Ende einen gemeinsamen Vorschlag vorzulegen, war immer und bei allen Beteiligten erkennbar und die Verständigungsbereitschaft war sehr groß. Ich glaube, dass dieser Ausschuss deutlich gemacht hat, dass wir im schleswig-holsteinischen Parlament sehr verantwortungsvoll und respektvoll mit unterschiedlichen politischen Überzeugungen umgehen können. Gleichzeitig tragen wir die Grundlagen unseres parlamentarisch- demokratischen Verständnisses mit großer Einigkeit.
Auch um dieses herauszustellen, hat der Sonderausschuss entschieden, der Verfassung eine Präambel voranzustellen, die diesem breiten Konsens Ausdruck verleiht.
So lag unserer Fraktion besonders am Herzen, die besondere Stellung Schleswig-Holsteins in der Nord- und Ostseeregion herauszustellen. Die Bundesländer sind nicht zuständig für die Außenpolitik. Dennoch hat Schleswig-Holstein eine besondere Stellung im Rahmen von Partnerschaften und politischen Gremien im nordeuropäischen Raum. Damit nimmt unser Land auch eine besondere Verantwortung im europäischen Einigungsprozess wahr. Wir waren der Auffassung, dass dies in der Verfassung zum Ausdruck kommen muss und dass wir dies selbstbewusst nach außen tragen können.
Umstritten ist nach wie vor die Aufnahme eines Gottesbezuges in diese Präambel, wobei auch hier von Streit, wie wir in einigen Schlagzeilen lesen konnten, keine Rede sein kann. Wir sind uns, glaube ich, alle einig, dass sich dieses Thema nicht zur Überzeugungsarbeit eignet. Die Diskussion innerhalb meiner Fraktion ist dabei ein Abbild der unterschiedlichen Positionen im Ausschuss und in der öffentlichen Reaktion. 3



Dass gerade angesichts der deutschen Vergangenheit ein Gottesbezug, eine Rechtfertigungsinstanz, die über dem fehlbaren menschlichen Handeln steht, für notwendig erachtet wird, ist nachvollziehbar. Genauso müssen wir aber auch nachvollziehen, dass sich auch bei einer offenen Auslegung des Gottesbegriffes ganz offensichtlich Menschen in einer religiös begründeten Werteordnung nicht wiederfinden. Und natürlich muss sich jeder einzelne entscheiden, ob aus seiner Sicht eine Verfassung der geeignete Ort ist, diese religiös begründete Verantwortung zu formulieren. Wir werden die Abstimmung in diesem Punkt freigeben. Wirkliche Freiheit heißt an dieser Stelle aber auch, dass denjenigen, die sich aus unterschiedlichen Gründen gegen einen Gottesbezug entscheiden, nicht unterstellt wird, sie würden das religiöse Erbe unserer Gesellschaft und Werteordnung nicht anerkennen oder damit irgendwelche Aussagen hinsichtlich des ganz persönlichen Glaubens treffen.
Einige wenige der diskutierten Punkte möchte ich noch herausgreifen. Der Sonderausschuss hat sich mit einer Reihe von Vorschlägen befasst, neue Staatsziele in den bisherigen Kanon aufzunehmen. Viele Ziele, denen wir inhaltlich folgen konnten, sind mit spürbaren Effekten für die Bürgerinnen und Bürger besser einzelgesetzlich zu regeln.
Wir waren allerdings der Auffassung, unabhängig von bisher geltenden Rechtsgrundlagen das Thema Inklusion als Staatsziel aufzunehmen. Inklusion findet nicht durch Gesetze und besondere Förderung von Menschen mit Behinderung statt. Ganz im Gegenteil wird dadurch ein Sonderstatus definiert. Inklusion ist jedoch die Vorstellung der Gemeinschaft von Menschen mit unterschiedlichsten Eigenschaften und dies passiert in den Köpfen der Menschen. Wir als Gesetzgeber erkennen das Konzept Inklusion als Maßstab staatlichen Handelns an.
In Bezug auf die Entstehung der geltenden Verfassung habe ich auf die damals eingeführten erweiterten Kontrollmöglichkeiten des Parlaments hingewiesen. Wir hatten an einer Stelle im Ausschuss eine Diskussion darüber, ob die faktische Kontrolle der Regierung der Opposition oder dem gesamten Parlament zugeordnet wird. Ich weiß nicht, ob dies eine schleswig-holsteinische Eigenart ist, aber alle Mitglieder des Sonderausschusses waren hier dezidiert anderer Auffassung als der Experte. Sicherlich bedienen sich Opposition und Mehrheitsfraktionen anderer Instrumente – das Selbstverständnis unseres Parlaments hat, solange ich dabei bin, aber immer auch eine Gesamtverantwortung der Einflussnahme und Kontrolle gesehen. So haben beispielsweise die damals regierungstragenden Fraktionen Bedingungen für die Eigenkapitalerhöhung und 4



Bürgschaftsübernahme bei der HSH Nordbank formuliert. Akteneinsichtsbegehren werden einstimmig beschlossen. Und auch in Regierungs-verantwortung haben wir unseren Oppositionsantrag aus der vergangenen Legislaturperiode in den Verfassungsentwurf aufgenommen, der nun die Landesregierung verpflichtet, auf Verlangen des Landtags Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht auf den Weg zu bringen. Ursprünglich ging es um die Beschneidung des Budgetrechts des Landes durch das Grundgesetz. Auf die Aufnahme weiterer Weisungsrechte hat der Ausschuss verzichtet. Für uns stand dabei Handlungsfähigkeit der Regierung bei Verhandlungen z.B. im Bundesrat im Vordergrund.
Da es unmöglich ist, alle diskutierten Themen anzuschneiden, ich meinen Kollegen noch etwas Stoff hinterlassen möchte, belasse ich es bei diesen allerdings wichtigen Schlaglichtern.
Ich glaube, wir haben mit dem Änderungsentwurf und vor allem mit der ausführlichen Befassung unterschiedlichster Themenfeldern ein in sich stimmiges Paket vorgelegt.
Wir haben zwei Gesetzentwürfe, die sich nur im Punkt „Gottesbezug“ unterscheiden und die nun in den Ausschuss überwiesen werden. Auch wenn ich ahne, welcher dieser Entwürfe letztendlich eine Zweidrittelmehrheit finden wird, wird Schleswig-Holstein am Ende dieser Beratung eine moderne, ausgewogene Verfassung haben, die, so hoffe ich, von einer sehr großen Mehrheit des Parlaments getragen wird – als Maßstab unserer politischen Arbeit und als funktionaler Rahmen für effektives staatliches Handeln.