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08.10.14
15:38 Uhr
SPD

Martin Habersaat zu TOP2: Große Ziele

Es gilt das gesprochene Wort!
Kiel, 8. Oktober 2014


TOP 2 Änderung der Verfassung des Landes Schleswig-Holstein (Drucksachen 18/2115, 18/2116, 18/2268)



Martin Habersaat:
Große Ziele

Heute Vormittag haben wir gezeigt, was vermeintlich typisch ist für Schleswig-Holstein. Da ging es um Rücktritte, vermeintliche Skandale und Zoff in der Politik. Heute Nachmittag zeigen wir, was tatsächlich typisch ist für Schleswig-Holstein. Weltoffenheit, Toleranz und ein selbstbewusstes Parlament, das sich über Partei- und Fraktionsgrenzen hinweg auf große Ziele verständigen kann.
Eine Verfassung ist das zentrale Rechtsdokument eines Staates oder auch eines Bundeslandes. Eine Verfassung gibt man sich nicht alle Tage. Man ändert sie nicht leichtfertig. Allerdings schrieb schon Lord Babington Macaulay im 19. Jahrhundert: „Die große Ursache der Revolutionen ist die, daß, während die Völker fortschreiten, die Verfassungen stille stehen.“ Eine Revolution ist in Schleswig-Holstein nicht zu fürchten, das wünscht sich ja nicht einmal der kampfeslustige neue Oppositionsführer, wenn er auch heute Vormittag einige Male über das Ziel hinaus geschossen hat.
Aber uns eint die Erkenntnis, dass so eine Verfassung von Zeit zu Zeit wachsen sollte, nicht im Umfang, aber in ihrem Geiste, wie sich auch die Gesellschaft Schleswig-Holsteins im Laufe der Jahrzehnte weiterentwickelt hat und weiter entwickelt. Diese Entwicklung zeigte sich immer auch an den Änderungen in der Verfassung, beispielsweise 2012 mit der Aufnahme der Sinti und 2



Roma als anerkannter und zu schützender Minderheit. Da war zuvor ein Reifeprozess auch für dieses Haus erforderlich.
Erstmals stellen wir unserer Verfassung künftig eine Präambel voran. Carlo Schmid sagte 1948 vor dem parlamentarischen Rat über die Präambel des im Entstehen begriffenen Grundgesetzes: „Die Präambel wird gewissermaßen die Tonart des Stückes angeben und sie wird darum alle konstitutiven Merkmale kennzeichnen und in sich enthalten müssen.“ Sie sei ein wesentliches Element, quasi eine Wegweisung. Nun schreiben wir also einen neuen Wegweiser in unsere Verfassung.
In dieser Präambel heißt es nun, wir wollen Demokratie, Freiheit, Toleranz und Solidarität auf Dauer sichern und weiter stärken. Weiterhin sind wir laut Präambel bestrebt, „durch nachhaltiges Handeln die Interessen gegenwärtiger wie künftiger Generationen zu schützen.“ Wir wollen kulturelle und sprachliche Vielfalt bewahren, die Zusammenarbeit der norddeutschen Länder ebenso vertiefen wie die grenzüberschreitende Partnerschaft der Regionen an und Nord- und Ostsee.
Große Ziele, die da auf dem Wegweiser stehen. Allein anhand dieser Ziele ließe sich ein Landtagswahlprogramm für 2017 – 2022 und darüber hinaus entwerfen.
Es lohnt sich vielleicht, gelegentlich innezuhalten und auch bei den teils robusten Debatten, die wir hier erleben, uns zu vergegenwärtigen, dass diese Ziele – ich gehe davon aus, dass wir heute mit sehr großer Mehrheit eine neue Verfassung verabschieden werden – unsere gemeinsamen Ziele sind.
Die SPD will Toleranz, Solidarität und Nachhaltigkeit. Die CDU auch. In den Wegen zu diesen Zielen werden wir uns weiterhin unterscheiden, möglicherweise auch in der einen oder anderen definitorischen Feinheit. Für mich gehört es beispielsweise selbstverständlich zu Freiheit, Toleranz und Solidarität, dass homosexuelle Paare Kinder adoptieren dürfen. Für andere möglicherweise nicht. Für mich gehört zur Vertiefung der norddeutschen Zusammenarbeit ein gemeinsamer Ausschuss mit den Hamburger Kollegen. Für andere nicht. Für mich gehört die Stärkung der freien Wohlfahrtspflege zu einem Land, das diese Ziele anstrebt. Andere stärkten diese nicht immer. 3



Im neuen Artikel 7 wird die Inklusion als Ziel in die Landesverfassung aufgenommen. „Das Land setzt sich für die Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderung und ihre gleichberechtigte gesellschaftliche Teilhabe ein.“ Hier wird deutlich: Wir sind auf dem Weg. Unsere Debatten über das Inklusionskonzept für unsere Schulen finden hier eine Einordnung. Mit den Arbeiten an diesem Konzept wollen wir einem Ziel näher kommen, das wir uns in der Verfassung gemeinsam geben. Möglicherweise streben wir das Ziel auch hier auf unterschiedlichen Wegen an, aber die Richtung muss bei einem gemeinsamen Ziel die gleiche sein.
Natürlich ist Inklusion Ziel und Aufgabe der ganzen Gesellschaft, aber ein spezieller Blick auf unsere Schulen sei hier gestattet: Ich stelle mir vor, dass wir Schulen bekommen, die offen für alle jungen Menschen in ihrer Unterschiedlichkeit sind. Offen für Kinder mit oder ohne körperliche und/oder geistige Behinderungen und sonderpädagogischen Förderbedarf. Und dass die Schulen in der Lage sind, alle diese Kinder anzunehmen und zu fördern. Ein noch fernes Ziel, aber hoffentlich ein gemeinsames.
Meine Damen und Herren, das Bekenntnis zu einer nationalen Minderheit ist frei. Das ist etwas, was man im Süden des echten Nordens manchmal erklären muss: Zur dänischen Minderheit gehört, wer sich ihr zugehörig fühlt. So einfach ist das. Die kulturelle Eigenständigkeit und die politische Mitwirkung unserer Minderheiten stehen unter dem Schutz des Landes. Selbstverständlich, möchte man hinzufügen. Wie schreibt die Flensborg Avis heute? „Minderheiten-Mobbing war gestern. Heute ist die CDU minderheitenpolitisch auf Versöhnungskurs.“
Und unsere Minderheiten stehen nicht nur unter unserem Schutz – sie dürfen sogar mitregieren! Auch wenn das für manchen erst vom Landesverfassungsgericht bestätigt werden musste.
In dieser Hinsicht ist Schleswig-Holstein so modern und aufgeklärt, wie man es sich wünschen kann. Einen ähnlichen Umgang mit nationalen Minderheiten wünschte man sich dieser Tage an vielen Orten auf der Welt. Für uns ist er Alltag. Auch das ist typisch Schleswig-Holstein! Dazu gehört für mich auch, dass wir die dänischen Schulen, die gewissermaßen die öffentlichen Schulen unserer unter Schutz stehenden nationalen Minderheit sind, so behandeln wie die öffentlichen allgemeinbildenden Schulen. Es gibt in Schleswig-Holstein allerdings nicht nur nationale Minderheiten, deren Sprache des Schutzes und der Förderung bedarf. Deshalb ist es 4



gut, dass auch das Niederdeutsche, die echte Sprache des echten Nordens, entsprechende Erwähnung in der Verfassung findet.
Schleswig-Holstein liegt in der Mitte Europas und ist ein wichtiger Teil der Nord- und der Ostseeregion – zentralen Wachstumsregionen der Zukunft. Es war Björn Engholm, der als Ministerpräsident dieses Landes so viel für die guten Beziehungen mit unseren Nachbarn getan hat, und es steht uns gut an, uns in unserer Verfassung zum Ziel vertiefter Partnerschaft in einem vereinten Europa zu bekennen.
Diese Verfassung steckt voller wichtiger Ziele und nachahmenswerter Ideen. Und doch drehte sich ein großer Teil der öffentlichen Debatte nicht darum, sondern um die mögliche Aufnahme eines Gottesbezuges in der Präambel. Bisher gibt es so einen Gottesbezug nicht. Bisher gibt es allerdings auch keine Präambel. Dazu nur wenige Sätze, weil das Thema sicherlich im weiteren Verlauf genug Raum einnehmen wird.
Zur Abstimmung stehen drei Entwürfe. Dem Kollegen Günther von der CDU gratuliere ich zu dem Kunststück, quasi alle drei gleichzeitig und damit eine ganz eigene Form der Trinität zu vertreten. Wer sich vor Gott bekennt, bekennt sich meiner Meinung nach auch zu Gott. Der Privatmann Habersaat könnte das. Der Abgeordnete Habersaat kann das nicht. Alle Abgeordneten werden hierüber heute individuell zu entscheiden haben.
Udo Di Fabio, Bundesverfassungsrichter a.D., sagte hier kürzlich, die Verfassung sei Teil unseres Wertesystems, aber sie sei nicht die Vollständigkeit des Wertesystems. Das bedeutet für mich, dass jeder und jede Einzelne sein bzw. ihr politisches Handeln auch an höheren, vielleicht göttlichen Maßstäben ausrichten kann. Der Gottesbezug wäre in ihm, er müsste nicht in der Verfassung stehen.
Unsere Kirchen und Religionsgemeinschaften haben gezeigt, dass sie am Diskurs interessiert sind. Dafür bedanke ich mich. Im Diskurs werden wir bleiben, ob Gott nun Eingang in die Präambel findet oder nicht. Und wir werden ihre Hilfe brauchen, genau wie die aller anderen Schleswig-Holsteinerinnen und Schleswig-Holsteiner. Es braucht alle: Mehrheiten und Minderheiten, Stadt und Land, Gruppen und Einzelne, wenn wir die großen mit dieser Verfassung gesetzten Ziele Stück für Stück erreichen wollen.