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31.03.20
08:17 Uhr
Landtag

Migrant*innen und Flüchtlinge in der Corona-Pandemie

Nr. 9 / 31. März 2020

Migrant*innen und Flüchtlinge in der Corona-Pandemie

Gemeinsam mit den Integrationsbeauftragten acht weiterer Bundesländer hat der schleswig-holsteinische Beauftragte für Flüchtlings-, Asyl- und Zuwanderungsfragen, Stefan Schmidt, Vorschläge zur Verhinderung von Notlagen für Migrant*innen und Geflüchtete in Zeiten der Corona-Pandemie formuliert.
In einer gemeinsamen Erklärung zeigen neun Landesintegrationsbeauftragte, darunter der schleswig-holsteinische Beauftragte für Flüchtlings-, Asyl- und Zuwanderungsfragen, dringendste bundespolitische Handlungs- und Regelungsbedarfe auf, um besondere Härten für Flüchtlinge und Zugewanderte in Deutschland zu verringern.
„Die Corona-Pandemie und daraus folgende gesellschaftliche Einschränkungen treffen die gesamte Bevölkerung sehr schwer und verlangen von vielen Menschen Mut, Engagement und Selbstlosigkeit“, sagt Stefan Schmidt, „Es gibt aber auch Einschränkungen, die die Mehrheit der Bevölkerung nicht betreffen, Migrant*innengruppen dafür umso härter. Für diese Menschen, für die schon der ‚normale Alltag‘ weniger Spielräume gelassen hat als für einen großen Teil der Bevölkerung, stellen sich nun existentielle Fragen. Mit der gemeinsamen Erklärung kommen wir unserer gesetzlichen Aufgabe nach, Konsequenzen der aktuellen Maßnahmen für Zugewanderte im Blick zu haben.“
Auch das Land sollte nach Ansicht des Flüchtlingsbeauftragten aktiv bleiben, um der Situation von Menschen mit eingeschränkten rechtlichen Möglichkeiten wie Ausländer*innen mit unterschiedlichen Aufenthaltstiteln, Geflüchteten, die sich im Asylverfahren befinden, oder auch Ausreisepflichtigen angemessen zu begegnen. „Dass sich wenigstens in dieser Zeit eine Abschiebungshaft verbietet, ist nur einer von vielen Punkten, an denen das Land selbst aktiv werden kann und sollte“, so der Zuwanderungsbeauftrage.
Die gemeinsame Erklärung der Integrationsbeauftragten von Berlin, Brandenburg, Bremen, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Rheinland-Pfalz, Sachsen-Anhalt, Schleswig-Holstein und Thüringen lautet wie folgt: 2
Erfurt, 27. März 2020
Im Zusammenhang mit den aktuellen Maßnahmen zur Eindämmung des SARS-CoV-2 besteht bun- desseitig dringender Handlungs- und Regelungsbedarf zu folgenden zuwanderungs- und integrati- onsrelevanten Punkten:
1. Abschiebungen
Zur Eindämmung der COVID-19 Pandemie und zur Verhinderung weiterer Infektionsketten inner- halb der EU wurde das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge angewiesen, alle Dublin-Überstel- lungen von und nach Deutschland vorübergehend auszusetzen. Auf der Ebene der Bundesländer werden weitgehend Abschiebungen ausgesetzt mit Ausnahmen für bestimmte Gruppen.
Bislang wurde noch kein bundesweit einheitlicher Abschiebestopp erlassen. Im Hinblick auf die Rechtssicherheit der Betroffenen, aber auch auf die weitere Ausbreitung des SARS-CoV-2 und die sehr dynamische Entwicklung in vielen Herkunftsländern sind klare Regelungen geboten. Es bedarf eines generellen vorübergehenden Abschiebestopps in allen Bundesländern.
2. Asylentscheidungen und -bescheide durch das BAMF
Die Rechtsmittelfristen bei Asylbescheiden des BAMF in Bezug auf (teil-)ablehnende Bescheide sind angesichts der aktuellen Beschränkungen zu kurz (mit zweiwöchiger Rechtsmittelfrist bei „un- begründet“, bei Ablehnung als „offensichtlich unbegründet“ mit nur einer Woche). Unter den gege- benen Umständen kann innerhalb dieser Frist der Zugang zu einer Rechtsberatung und zu Rechtsan- wältinnen und Rechtsanwälten nicht mehr gewährleistet werden. Der Anspruch auf einen effektiven Rechtsschutz ist somit nicht gegeben. Solange dies der Fall ist, ist die Zustellung negativer Be- scheide durch das BAMF auszusetzen.
Es wird begrüßt, dass das BAMF bis auf weiteres alle Dublin-Überstellungen von Amts wegen aus- setzt. Die Bewertung des BAMF, wonach in diesem Fall eine Aussetzung nach § 80 Abs. 4 VwGO i.V.m Art. 27 IV Dublin III VO vorliege, welche lediglich zu einer Unterbrechung der Überstel- lungsfrist führe, sollte überdacht werden. Es ist nicht absehbar, wie lange die Maßnahmen gegen die Corona-Pandemie erforderlich sein werden. Eine Unterbrechung der Aussetzungsfrist ohne Ent- scheidung über die Zuständigkeit auf unbestimmte Zeit verstößt gegen das Beschleunigungsgebot der Dublin III VO. Sachgerechter, insbesondere mit Blick auf die gravierende Situation in Italien und Spanien, die sich mit Sicherheit langfristig auf Wirtschaft und Gesundheitssystem auswirken wird, wäre die Ausübung des Selbsteintrittsrechts für die betroffenen Personen.
3. Verteilungen aus Landeserstaufnahmeeinrichtungen und Ankerzentren
Wo erforderlich sollte eine Entzerrung der beengten Wohnverhältnisse in Landesunterkünften mög- lich sein durch Verteilungen in die Regionen. Dies muss besonders Menschen aus den Risikogrup- pen betreffen, unabhängig von Herkunftsland, der Frage der Mitwirkungshandlungen oder dem Stand des Verfahrens.
Hier bedarf es einer Ausnahmeregelung zu § 47 Abs.1 AsylG.,
4. Fiktive Verlängerung von Aufenthaltstiteln
Vorsprachen bei für aufenthalts- und passrechtliche Maßnahmen und Entscheidungen nach dem AufenthG oder Asyl zuständigen Behörden, bei denen die Gefahr der Ansteckung, sowohl der 3
Schutzsuchenden wie auch der Befragenden besteht, sollten unterbleiben können. Vor diesem Hin- tergrund sollten alle abgelaufenen Aufenthaltstitel und Statusbescheinigung in allen Bundesländern fiktiv ihre Gültigkeit behalten.
5. Beschäftigungsduldung
Beschäftigungsunterbrechungen, die im Zusammenhang mit den aktuellen Einschränkungen zum Zwecke der Eindämmung des Virus SARS-CoV-2 stehen (zum Beispiel Begegnungssperren oder auftragsbedingte Kündigungen) dürfen die Anwartschaftszeit zum Erhalt einer Beschäftigungsdul- dung nicht beeinflussen.
Beschäftigungsunterbrechungen, die zeitlich über die in § 60 d Abs. 3 AufenthG genannte „kurz- fristige Unterbrechung“ hinausgehen, dürfen den Erhalt oder den Bestand einer Beschäftigungsdul- dung nicht beeinflussen.
Hier bedarf es Ausnahmeregelungen zu § 60 d Abs. 1 Nr. 3ff und Abs. 3 AufenthG.
6. Ausbildungsduldung
Ausbildungsunterbrechungen und -abbrüche, die im Zusammenhang mit den aktuellen Einschrän- kungen zum Zwecke der Eindämmung des Virus SARS-CoV-2 stehen (zum Beispiel Abbrüche und Unterbrechungen aufgrund von Begegnungssperren oder auftragsbedingte Kündigungen), dürfen nicht zu einem Erlöschen der Ausbildungsduldung führen. Hier bedarf es einer Ausnahmeregelung zu § 60 c Abs. 4 und 5 AufenthG für die Verlängerung einer Ausbildungsduldung.
7. Einreise und Rückkehr von Drittstaatsangehörigen mit deutschen Aufenthaltstiteln ins Bundesgebiet
Es herrscht derzeit große Verunsicherung bei Drittstaatsangehörigen mit deutschen Aufenthaltsti- teln (insbesondere diejenigen mit nationalen Visa), die sich außerhalb von Deutschland befinden. Eine eindeutige Regelung, ob ihnen allen zurzeit die Einreise ins Bundesgebiet gewährt wird, liegt nicht vor. Eine Klarstellung für Drittstaatsangehörige mit deutschem Aufenthaltstitel in Bezug auf die Einreise und Rückkehr zu ihrem ständigen Wohnsitz in Deutschland ist dringend erforderlich.
8. Sicherung von Sozialleistungen
Unionsbürgerinnen und -bürgern stehen grundsätzlich erst nach Ablauf der gesetzlich geregelten Zeit von drei Monaten Leistungen nach den SGB II und XII oder Kindergeld zu. Die Aussicht, Ar- beit zu finden oder als Selbständige Aufträge zu erhalten, ist wegen der aktuellen Arbeitsmarktlage allerdings deutlich verringert. Für die Personenkreise, die unter die Ausschlüsse im SGB II und XII fallen und die aktuell nur „Überbrückungsleistungen“ erhalten würden, gilt es, eine ausreichende Versorgung sicherzustellen. Andernfalls drohen der Verlust der Existenz und sogar Obdachlosig- keit.
Personen, die von Leistungskürzungen nach dem AsylbLG betroffen sind, haben im Moment nur eingeschränkte Zugänge zur rechtlichen Beratung. Sozialämter und Sozialgerichte sind für eine Klä- rung auch nur eingeschränkt zu erreichen. Etwaige Mitwirkungspflichten können aufgrund der Ein- schränkung nicht erfüllt werden. Zudem haben die Betroffenen im Moment höhere Ausgaben durch Eindeckung mit Hygieneartikeln und Vorratshaltung. Da die betroffenen Personen ihren Mitwir- kungspflichten im Moment nicht umfassend nachgehen können, sollten die Leistungskürzungen für diese Zeit ausgesetzt werden. 4
Hilfreich wäre es, wenn das BMAS dahingehend auf die Länder und Kommunen einwirken könnte, diese Aspekte bei der Leistungsgewährung angemessen zu berücksichtigen.
9. Gefahrloser Zugang zur Gesundheitsversorgung
Es sollte für die Personen, die aus Angst vor Abschiebungen untergetaucht sind, der gefahrlosen Zugang zu medizinischer Hilfe und zum Testen auf eine mögliche Coronainfektion geben, zum ei- nen zum Schutz der Menschen ohne Aufenthaltsrecht, zum anderen aber auch zum Schutz vor An- steckung Dritter. Die Gesundheitsämter und andere öffentliche Stellen, die in die Vorbeugung und Behandlung von Infizierten involviert sind und der Meldepflicht nach § 87 AufenthG unterliegen, sollten bis auf Weiteres von der Übermittlungspflicht befreit werden.
10. Aufnahme von UMF aus Griechenland
Wir begrüßen die bekundete Aufnahmebereitschaft des Bundes für unbegleitete minderjährige Schutzsuchende aus den Hotspots. Die Umsetzung darf sich aber nicht wegen der Corona-Situation verzögern. Gerade auf den griechischen Inseln ist aufgrund der Unterbringungs- und Versorgungssi- tuation eine schnelle Ausbreitung des Virus sehr wahrscheinlich und würde eine erhebliche Gefahr nicht nur für die Betroffenen bedeuten. Wir knüpfen daher an unsere Bekundung vom 3. Dezember 2019 gegenüber der Innenministerkonferenz an und bitten unter Berücksichtigung des Infektions- schutzes um schnelle Aufnahme.