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22.11.23
11:28 Uhr
SPD

Thomas Losse-Müller zu TOP 1: Deutschland muss investieren können - Die Schuldenbremse ist zu einem Wachstums- und Transformationshemmnis geworden

Heimo Zwischenberger Pressesprecher der SPD-Landtagsfraktion
Adresse Düsternbrooker Weg 70, 24105 Kiel Telefon 0431 988 1305 Telefax 0431 988 1308 E-Mail h.zwischenberger@spd.ltsh.de Webseite www.spd-fraktion-sh.de Es gilt das gesprochene Wort!

Hinweis: Diese Rede kann hier als Video abgerufen werden: http://www.landtag.ltsh.de/aktuelles/mediathek

LANDTAGSREDE – 22. November 2023
Thomas Losse-Müller: Deutschland muss investieren können - Die Schuldenbremse ist zu einem Wachstums- und Transformationshemmnis geworden TOP 1: Aktuelle Stunde „Auswirkungen des Urteils des Bundesverfassungs-gerichts vom 15. November 2023 auf den Landeshaushalt und den finanzpolitischen Kurs der Landesregierung“
„Sehr geehrte Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen, wir stehen vor einem Jahrzehnt außergewöhnlicher Investitions¬Bedarfe. Deutschland ist eine der größten Volkswirtschaften der Welt und mit Abstand die wichtigste Volkswirtschaft in Europa. Wir sind Wachstumsanker, Sicherheitsanker und sollten Vorbild sein. All das wird gerade durch das rücksichtslose Agieren der Union und ihrer Claqueure in Frage gestellt. Das ist verantwortungslos. Wir als SPD wollen und stehen für andere Politik.
In Situationen wie dieser hilft manchmal der Blick von außen, um selbst klarer zu sehen. Internationale Wirtschaftsexperten und Wirtschaftspresse schauen beim Thema Schuldenbremse mit Erstaunen - sogar mit Unglauben - auf Deutschland. Der Economist schrieb über den Spruch des Bundesverfassungsgerichts aus der vergangenen Woche: „Auf subtilere Weise ist das Urteil auch eine Rüge für Deutschland als Ganzes, die zeigt, wie die nationale Besessenheit von der Schulden-bremse zu allen möglichen Dummheiten führt.“
Das trifft es auf den Punkt. Die Schuldenbremse ist ein sehr deutscher Fetisch geworden. Er sorgt dafür, dass sich Deutschland immer weiter vom Rest der Welt entfernt. Deutschland müsste eigentlich den Karren ziehen, stattdessen diskutieren wir darüber, ob es okay ist, die gebrochene Achse zu reparieren. Die einzigen, die noch fest an der Seite der deutschen Schuldenbremsen- Fanatiker stehen, sind die Boris Johnson-Tory-Brexit Fraktion in England und die ultra-libertären Trump/Tea Party-Jünger in den USA. Alle anderen hoffen darauf, dass Deutschland Vernunft walten lässt.
In einer Zeit, in der unsere Partner und Wettbewerber in den USA und China massiv in den Umbau ihrer Wirtschaft und in ihre Zukunftsfähigkeit investieren, verzwergen wir uns selbst. Die Schuldenbremse ist zu einem Wachstums- und Transformations-Hemmnis geworden.

1 Der Internationale Währungsfonds hat in seinem Jahresgutachten 2023 gerade erst eine Lockerung der Schuldenbremse auf breiter Front angemahnt: Deutschland solle jährlich 1% seines Bruttosozialprodukts zusätzliche Schulden aufnehmen können. 40 Mrd. Schulden mehr - pro Jahr! Wohlgemerkt, der IWF! Nicht unbedingt der progressivste Laden da draußen. Mehr Schulden machen. Einfach so, ohne Umwege über Notkredite etc.
Das oder ähnliches sagen uns mittlerweile alle Ökonom:innen. Deutschland muss investieren können: In neue wirtschaftliche Stärke, in neue Schulen, in Krankenhäuser, in Straßen und Brücken, in KI und digitale Verwaltung, in Schienen, in Raketenabwehrsysteme und Panzer, in Schießstände für unsere Polizei, in Wärmenetze, in Cybersicherheit, in Deiche, in Wohnungsbau und Forschung & Entwicklung. Und jede und jeder hier im Raum weiß, dass wir in allen diesen Bereichen nicht genug tun. Oft genug gar nichts tun: 1 Mrd. Lücke bei den Investitionen in Krankenhäuser. Sanierung der Landesstraßen? Nicht ausfinanziert. Bei den Deichen wird nicht genau hingeguckt, weil man Angst hat, dass man dann die Kosten tragen muss. Der Investitionsstau bei den Schulen geht in die Milliarden - so schlimm, dass die Bildungsministerin sich noch nicht einmal traut bei den Schulträgern nachzufragen, wieviel sie brauchen. Und dann fehlen uns noch 15 Milliarden, um unsere Klimaziele zu erreichen: für Bus und Bahn, Wärmenetze, Klimaanpassung, Sanierung unser Landesliegenschaften etc. Sie wissen das doch, Herr Vogt, Herr Harms, Herr Koch. Wir alle hier im Raum wissen, dass wir die Zukunft unseres Landes verspielen, wenn wir jetzt nichts tun.
Niemand kann all diese notwendigen Investitionen aus dem Landeshaushalt stemmen. Niemand. Und niemand sollte behaupten, dass das geht. Dass wir sanierte Krankenhäuser, neue Schulen, Deiche und Pflegeheime aus dem Landeshaushalt zahlen können. Gleichzeitig. Das wäre nämlich gelogen.
Die simple Wahrheit ist: Wir müssen die Schuldenbremse reformieren, wenn wir den Menschen das geben wollen, was wir ihnen versprechen und was sie von uns erwarten. Einen funktionierenden Staat, der seinen Job macht! Im Bund und in Schleswig-Holstein. Und wir müssen alle heute schon verfügbaren Freiräume nutzen. Gerade in Zeiten multipler Krisen. Deshalb machen wir gerade all die „dummen Verrenkungen“, wie der Economist sie nennt. Aber warum nutzen wir die? Der Grund ist doch nicht, dass wir schlechte Politiker oder Verschwender sind, dass wir das Geld aus Säcken in die Förde schütten wollen - wie Frau Heinold das mal in einer lustigen Wahlkampfaktion gemacht hat - oder weil wir unsere Verfassung nicht achten.
Meine tiefe Überzeugung ist diese: Entweder können Zukunftsaufgaben und Notlagen innerhalb der Schuldenbremse finanziert werden. Dann funktioniert sie. Oder das geht nicht. Dann ist die Schuldenbremse gescheitert und muss verändert werden.


2 Das Ziel der Schuldenbremse soll langfristig staatliche Handlungsfähigkeit erhalten. Deshalb schätze ich sie. Das tut sie aber nicht, wenn sie die Ansiedlung zukunftsträchtiger Industrie und Investitionen in den Klimaschutz verhindert.
Alle, die sich gerade über das Urteil aus Karlsruhe freuen - wie Herr Merz und die Kollegin aus dem Bundestag, die dazu ein Freuden-tänzchen auf TikTok tanzt - und da liebe Kolleginnen und Kollegen vom SSW und der FDP richte ich das Wort dann auch gerne an Sie - müssen dann mal sagen, worum es ihnen eigentlich geht: Wollen Sie die Ansiedlung von Northvolt oder wollen Sie sie nicht? Wollen Sie, dass wir unsere Krankenhäuser und Schulen sanieren oder wollen Sie das nicht? Wollen Sie, dass wir Wärmenetze bauen oder wollen Sie das nicht? Wollen Sie in Pflegeplätze und Kitaplätze investieren oder wollen sie das nicht? Wollen Sie, dass dieses Land klimaneutral wird oder wollen sie das nicht? Wenn Sie das alles wollen, dann geht das nur mit höheren Steuern und mit Krediten. Und zwar jeder Menge davon.
Und es braucht auch beides. Höhere Steuern in Zukunft helfen uns heute nicht bei den Investitionen. Dafür brauchen wir jetzt das Geld und das gibt es nur auf Pump. Und einfach nur Kredite aufzunehmen bringt uns auch nichts, weil wir die irgendwann natürlich durch höhere Steuern zurückzahlen müssen.
Und: Lieber Kollege Harms, wenn es Ihre Auffassung ist, dass der Weg über Notkredite nicht verfassungsgemäß ist, dann klagen Sie bitte. Es wäre schlecht für unsere politische Kultur, wenn Sie einen Verfassungs-bruch behaupten, aber ihn nicht mit den Ihnen demokratisch zur Verfügung stehenden Mittel bekämpfen. Lassen Sie sich bitte nicht von schwarz-grün mit irgendwas rauskaufen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Butter bei die Fische. Ursprung dieser Debatte ist das Urteil des Bundesverfassungsgerichts aus der vergangenen Woche. Die nüchterne Lektüre hilft. Über den Richterspruch wird nämlich viel Unsinn verbreitet. Konkret verfassungswidrig ist die Umschichtung der Corona-Mittel in den Klima- und Transformationsfonds aus drei Gründen:
- Die Notsituation wurde nicht ausreichend begründet. - Jährlichkeit und Jährigkeit des Haushaltes wurden bei der Ausgestaltung der Kreditermächtigungen nicht beachtet. - Der Nachtrag wurde erst nach Abschluss des Haushaltsjahres 2021 beschlossen.



3 Das alles sind schwerwiegende, handwerkliche Fehler. Es sind aber Fragen der Haushaltstechnik, die der Bundesfinanzminister und der Justizminister heilen können. Mit keinem Wort hat das Verfassungs-gericht ausgeschlossen, dass wir Klimaschutzmaßnahmen über Notkredite finanzieren. Im Gegenteil.
Wir Parlamentarier können ziemlich frei bestimmen, was eine Notlage ist und wofür Notkredite innerhalb der Schuldenbremse aufgenommen werden müssen. All das ist bereits im Detail ausgeführt worden. Ich begrüße deshalb den von CDU und Grünen angekündigten Weg, auch für das Jahr 2023 und 2024 eine erneute Haushaltsnotlage festzustellen, um die jetzt notwendigen Mittel rechtssicher zu mobilisieren.
Und um ehrlich zu sein, wäre das jetzt auch der Weg, den die Ampel in Berlin gehen sollte. Ich finde sowohl die Verweigerung der FDP- Minister Lindner und Buschmann als auch das ganze Oppositionsgejaule von Herrn Merz und der CDU / CSU in Berlin ziemlich lächerlich. Alle wissen, dass es die Mittel aus dem KTF braucht. Das Verfassungsgericht hat den Weg dahin beschrieben. Die schleswig-holsteinische CDU macht vor, wie das geht. Stattdessen ergötzen sich konservative Kommentatoren und Politiker:innen gerade an Fantasien von Kürzungsorgien. Man kann ihnen die Erleichterung förmlich ansehen: Endlich haben sie einen Weg gefunden gegen Klimaschutz zu sein, ohne es aussprechen zu müssen! Puh.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU. In jeder Landtagssitzung rufen Sie hier nach dem Bund. Der Bund soll alles bezahlen und sich durch Schuldenaufnahme die Hände schmutzig machen. Und jetzt gucken Sie einfach zu, wie Herr Merz da fröhlich mit der Abrissbirne rumläuft, ohne eine einzige Alternative zu bieten? Ihre Rufe nach Berlin haben jetzt endgültig jegliche Glaubwürdigkeit verloren! Haushaltsrecht dient den Menschen und soll politisches Handeln ermöglichen. Die Schuldenbremse ist nicht gottgegeben. Sie ist auch kein Naturgesetz. Jede und jeder einzelne hier kann entscheiden, ob wir investieren wollen oder nicht. Wir wollen Menschen sicher unterbringen. Wohnungen bauen. Tolle Kitas und Schulen ermöglichen. Arbeitsplätze schaffen. Sicherheit geben. Das sind die Ziele. Dafür braucht es Investitionsmittel.
Und darüber werden wir und müssen wir in den nächsten Tagen sprechen. Und zwar einzig und allein darüber. Was ist notwendig, um die Menschen im Land nach der Jahrhundertflut vor einem Jahrhundert der Fluten und des Regens zu schützen? Was ist notwendig, damit wir allen Menschen ein klimaneutrales Leben ermöglichen? Was ist notwendig, damit wir den Menschen in Schleswig-Holstein eine gute Zukunft ermöglichen? Keine Schuldenbremse entlässt uns aus der Verantwortung, diese Fragen zu beantworten!“



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