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13. Juni 2018 – Top 5: Landesverfassung

Verfassungsbeschwerde für Bürger entzweit das Plenum

Schleswig-Holsteins Bürger sollen ihre Grundrechte künftig auch vor dem Landesverfassungsgericht einklagen können. Das fordert der SSW im Landtag und legte einen entsprechenden Gesetzentwurf vor, der auf ein geteiltes Echo stieß.

Landesverfassungsgericht Richter
Bürger haben bisher nicht das Recht, das Landesverfassungsgericht anzurufen. Foto: dpa, Birgitta von Gyldenfeld

In seinem Gesetzentwurf greift der SSW auch einen Wunsch auf, den Gerichtspräsident Bernhard Flor anlässlich des zehnjährigen Bestehens des Landesverfassungsgerichts Anfang Mai an die Politik formuliert hatte: Sie soll nach seiner Auffassung auch jedem Bürger die Möglichkeit geben, individuelle Verfassungsbeschwerden einzureichen. Dies ist bisher nicht möglich.

„Wer sich in seinen Grundrechten beeinträchtigt sieht, muss den Gang vor das Bundesverfassungsgericht nach Karlsruhe antreten. Und wenn es sich um landesspezifische Grundrechte handelt, etwa das Recht auf gewaltfreie Erziehung, die Bekenntnisfreiheit zu einer nationalen Minderheit oder das Recht auf freie Schulwahl, bleibt den Menschen gar selbst diese Möglichkeit verwehrt“, kritisiert der Vorsitzende des SSW im Landtag, Lars Harms, in einer Pressemitteilung vom 25. Mai 2018.

Nicht nur Grundrechte im Fokus

Deshalb will der SSW den Bürgern über das Einklagen von Grundrechten hinaus die Möglichkeit geben, „Verfassungsbeschwerde gegen Landesgesetze zu erheben, um deren Wirkungen verfassungsrechtlich hinterfragen zu können.“

Das Recht zur Anrufung des Landesverfassungsgerichts haben die Landesregierung, ein Drittel der Mitglieder des Landtages, zwei Fraktionen oder eine Fraktion gemeinsam mit den Abgeordneten, denen die Rechte einer Fraktion zustehen (gemeint ist der SSW). Auch Kommunen können sich ans Gericht wenden, ebenso wie Vertreter von Volksinitiativen, deren Vorstoß vom Landtag abgelehnt wurde.

Mehr Informationen:
Aufgaben und Zuständigkeiten des Landesverfassungsgerichts (S-H-Portal der Landesrgierung)

Stichwort: Landesverfassungsgericht

Am 1. Mai 2008 hat Schleswig-Holstein als letztes Bundesland ein eigenes Verfassungsgericht bekommen. Nach Beschluss des Landtages bildet es anstelle des bislang zuständigen Bundesverfassungsgerichts die höchste juristische Instanz des Landesrechts und damit das oberste Organ der Rechtsprechung, der Judikative.

Das Gericht besteht aus sieben ehrenamtlichen Richtern, die vom Landtag gewählt werden. Es hat seinen Sitz in Schleswig. Das Gericht tritt nur zusammen, wenn es angerufen wird – etwa bei Streitigkeiten über die Auslegung der Landesverfassung oder über die Vereinbarkeit von Landesgesetzen mit der Verfassung. Auch eventuelle Eingriffe der Landesebene in die kommunale Selbstverwaltung oder die Zulässigkeit von Volksinitiativen können das Gericht beschäftigen.

Das Recht zur Anrufung des Gerichts haben die Landesregierung, ein Drittel der Mitglieder des Landtages oder zwei Fraktionen. Auch Kommunen können sich ans Gericht wenden, ebenso wie Vertreter von Volksinitiativen, deren Vorstoß vom Landtag abgelehnt wurde. Klagen einzelner Bürger sind hingegen nicht möglich.

Das Landesverfassungsgericht hat in den vergangenen Jahren mehrere weitreichende Entscheidungen getroffen. Dazu gehörten die Anordnung einer Neuwahl des Landtages (2010), die Bestätigung der Befreiung des SSW von der Fünf-Prozent-Sperrklausel (2013) und die Forderung nach Nachbesserungen am kommunalen Finanzausgleich (2017).

Der Landtag steht einer Öffnung des Landesverfassungsgerichts für individuelle Beschwerden von Bürgern gespalten gegenüber. In Erster Lesung stößt der SSW mit seinem entsprechenden Gesetzentwurf bei SPD und Grünen auf Sympathie, CDU, FDP und AfD zeigen sich wie Justizministerin Sabine Sütterlin-Waack (CDU) hingegen skeptisch.

„Wir wollen den Bürgern noch mehr Möglichkeiten einräumen, sich an demokratischen Prozessen zu beteiligen und diese auch zu hinterfragen“, begründete Lars Harms (SSW) den Vorstoß. Es sei jetzt der richtige Zeitpunkt, um das Thema „in Ruhe und ohne Zeitdruck“ anzugehen. Gerichtspräsident Bernhard Flor hatte anlässlich des zehnjährigen Bestehens des Landesverfassungsgerichts Anfang Mai selbst die sogenannte Individual-Verfassungsbeschwerde befürwortet.

SPD und Grüne sehen „Gewinn“ für Bürger

In elf der 16 Bundesländer gebe es diese Möglichkeit bereits, machte Stefan Weber (SPD) deutlich. Es wäre „inkonsequent“, wenn es in Schleswig-Holstein nun nicht eingeführt werde. Burkhard Peters (Grüne) zeigte ebenfalls „sehr viel Sympathie“ für den SSW-Gesetzentwurf. Für rechtssuchende Bürger sei das „ein Gewinn“.

Der CDU-Abgeordnete und Koalitionskollege der Grünen Claus Christian Claussen forderte hingegen, „vorsichtig“ mit dem Thema umzugehen. Eine Änderung der bisherigen Regelungen bedürfe „guter Gründe“. Die sehe er noch nicht, sagte er.

Ministerin mahnt vor Mehrbelastung der Richter

Ähnlich äußerte sich auch die Justizministerin, die zudem auf steigende Kosten und vor allem auf die Mehrarbeit für die ehrenamtlich tätigen Richter hinwies. „Die Arbeitsbelastung würde deutlich wachsen“, so Sütterlin-Waack. Sie geht bei einem Bürger-Klagerecht von 20 bis 60 Verfassungsbeschwerden pro Jahr aus.

Auch Jan Marcus Rossa (FDP) vertrat die Ansicht, dass das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe den Bürgern genügend Schutz gebe. „Ihr Gesetzentwurf kommt zu früh. Wir würden den zweiten vor dem ersten Schritt machen“, sagte er. Und Claus Schaffer (AfD) bemerkte, im schlimmsten Fall führe eine individuelle Verfassungsbeschwerde zu mehr Bürokratie. „Das wollen wir verhindern.“

Der Gesetzentwurf wird im Innen- und Rechtsausschuss weiter beraten. 

Erste Lesung

Entwurf eines Gesetzes zur Zulassung von Verfassungsbeschwerden
Gesetzentwurf der Abgeordneten des SSW – Drucksache 19/719