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26. März 2021 – März-Plenum

Notparlament für Krisenzeiten eingerichtet

Während einer Notlage ist der Landtag auch in kleiner Besetzung arbeitsfähig. Hybride Sitzungen bleiben umstritten. Parteien können ihre Kandidaten nun auch digital aufstellen.

Koch (CDU), Stegner (SPD) Schlie (LP) Vogt (FDP
Letzte Besprechung vor der Verfassungsänderung: (v. li.) Die Fraktionsvorsitzenden von CDU und SPD, Koch und Stegner, Landtagspräsident Schlie und FDP-Fraktionschef Vogt. Foto: Thomas Eisenkrätzer

In einer absoluten Krisensituation kann künftig ein elfköpfiger Notausschuss die Rolle des Landtages einnehmen – etwa, wenn ein Großteil der Abgeordneten an Covid-19 erkrankt oder in Quarantäne sein sollte. Das sieht eine Verfassungsänderung vor, die der Landtag mit großer Mehrheit verabschiedet hat. „Wir machen unsere Demokratie damit krisenfest“, betonte der CDU-Fraktionsvorsitzende Tobias Koch. Sein SPD-Amtskollege Ralf Stegner wies darauf hin, dass der Schleswig-Holsteinische Landtag das erste deutsche Parlament sei, dass eine solcher Absicherung für den Notfall beschließe. „Unsere frei gewählte Volksvertretung ist kein Luxus auf den man mal ein paar Wochen verzichten kann“, so Stegner.

Das Notparlament soll allerdings erst dann einberufen werden, wenn auch hybride Sitzungen nicht möglich sind. Umstritten blieb, ob derzeit die technischen Voraussetzungen für hybride Landtagssitzungen vorliegen, an denen alle Abgeordneten störungsfrei und sicher teilnehmen können. Landtagspräsident Klaus Schlie, der sich als CDU-Abgeordneter an der Debatte beteiligte, bezeichnete Tagungen, in denen ein Teil der Abgeordnete aus der Ferne dabei ist, als „letzten Notanker“. Der persönliche Austausch sei ein zentrales Element der Debatte. Der Grünen-Abgeordnete Andreas Tietze, Vorsitzender des Wirtschaftsausschusses, sagte dagegen: „Digitale Sitzungen sind nicht unbedingt schlechter als Präsenzsitzungen.“ Er forderte mehr Mut in dieser Frage und weniger „Pessimismus und Bürokratismus“.

„Hoffe, dass wir das Notparlament nie einberufen werden“

Die Kernpunkte der Verfassungsänderung: Der Notausschuss gibt die Stärken der Fraktionen wieder. Falls mehr als elf Abgeordnete anwesend sind, wird der Notausschuss nach einem Verteilungsschlüssel aufgestockt. Der Ausschuss darf nur Maßnahmen treffen, um die Handlungsfähigkeit des Landes während der Notlage aufgrund einer Naturkatastrophe, Seuchengefahr, eines besonders schweren Unglücksfalls oder einer drohenden Gefahr für die freiheitliche demokratische Grundordnung zu sichern. Die Befugnis, dem Ministerpräsidenten das Misstrauen auszusprechen, Wahlen vorzunehmen oder die Verfassung zu ändern, steht ihm nicht zu. Wenn der Landtag wieder in voller Stärke zusammenkommt, sollen die Not-Beschlüsse außer Kraft treten – außer, der Landtag bestätigt sie.

Die Grünen-Fraktionsvorsitzende Eka von Kalben betonte, die Entscheidung für ein Notparlament erfolge „in der Hoffnung, dass wir es niemals einberufen werden“. Jan Marcus Rossa (FDP) wies darauf hin, dass jeder Abgeordnete das Recht habe, gegen einen Beschluss des Notausschusses vor das Landesverfassungsgericht zu ziehen. Der Parlamentsbeschluss trete erst dann in Kraft, wenn die Schleswiger Richter ihre Zustimmung gegeben haben. Es sei ein „Vorratsbeschluss für den absoluten Notfall“, unterstrich Lars Harms (SSW), und „keine Trittleiter in eine Diktatur“.

Die fraktionslose Abgeordnete Doris von Sayn-Wittgenstein monierte hingegen, dass Parlamentarier ohne Fraktionszugehörigkeit bei der Regelung nicht vorgesehen seien und „mundtot“ gemacht werden sollten. Sie deutete rechtlich Schritte an: „Das werde ich nicht hinnehmen.“ Sayn-Wittgenstein und die Abgeordneten des AfD-Zusammenschlusses stimmten als einzige gegen die Verfassungsänderung.  

Wahlplakate sollen sichtbarer werden

Ein weiterer Punkt in der Debatte: Das schleswig-holsteinische Wahlgesetz wird mit Blick auf die Corona-Pandemie ergänzt. Die Wahl von Kandidaten und die Aufstellung von Landeslisten sind nun auch ohne die bisher notwendige körperliche Anwesenheit der Delegierten und Parteimitglieder möglich. Wenn der Landtag mit Zwei-Drittel-Mehrheit eine „Notlage“ feststellt, können Kandidatenvorschläge sowie die Vorstellungsreden der Kandidaten per Videokonferenz erfolgen. Die endgültige Abstimmung über die Bewerber soll dann „im Wege der Urnenwahl, der Briefwahl oder einer Kombination aus Urnen- und Briefwahl“ stattfinden. Dies soll sowohl für Landtags- als auch für Kommunalwahlen gelten. „Unsere Demokratie wird in der Pandemie nicht vertagt“, so SPD-Mann Stegner.

Außerdem können Volksinitiativen während einer Notlage eine Fristverlängerung von drei Monaten beantragen, um auch unter erschwerten Bedingungen ausreichend Unterstützer zu finden. Ein weiterer Punkt: Im Wahlgesetz wurde festgeschrieben, dass das Aufhängen von Wahlplakaten nur noch unter sehr strengen Bedingungen untersagt werden darf. Lediglich aus „herausragenden“ Gründen des Denkmal- oder Naturschutzes oder zur Wahrung der Verkehrssicherheit dürfen Gemeinden die Wahlwerbung sechs Wochen vor dem Wahltermin und zwei Wochen danach verbieten. „Einige Kommunen haben die Plakatierung so weit zurückgedrängt, dass demokratische Wahlen kaum noch sichtbar waren“, begründete die Grüne von Kalben die Neuregelung.

Für extreme Ausnahmesituationen will der Landtag ein Notparlament in der Landesverfassung verankern. Ein Gesetzentwurf von CDU, SPD, Grünen, FDP und SSW sieht vor, dass ein Notausschuss gebildet werden kann, falls der Landtag aufgrund einer außergewöhnlichen Gefahr nicht handlungsfähig sein sollte. Der Ausschuss soll aus „mindestens 11 Mitgliedern“ bestehen, die Stärke der Fraktionen soll erhalten bleiben. Auch Abgeordnete, die dem Ausschuss nicht angehören, haben das Recht auf Teilnahme. Sie dürfen Fragen und Anträge stellen. Nach intensiver Beratung im Innen- und Rechtsausschuss soll die endgültige Formulierung in einer Ausschusssitzung am Rande des Plenums beschlossen werden.

Jamaika, SPD und SSW haben bereits ein Papier vorgelegt, das den Ursprungsentwurf aus dem vergangenen November ändert und ergänzt. „Während einer Notlage hat der Notausschuss als Notparlament die Stellung des Landtages und nimmt dessen Rechte wahr“, heißt es in dem Änderungsentwurf. Und weiter: „Der Notausschuss darf nur die erforderlichen Maßnahmen treffen, um die Handlungsfähigkeit des Landes während der Notlage zu sichern.“ Die Befugnis, dem Ministerpräsidenten das Misstrauen auszusprechen, Wahlen vorzunehmen oder die Verfassung zu ändern, soll ihm nicht zustehen. Wenn der Landtag wieder in voller Stärke zusammenkommt, sollen die Not-Beschlüsse außer Kraft treten – außer, der Landtag bestätigt sie.

Technik muss sicher sein

Allerdings zeichnet sich ab, dass der Notausschuss nur dann zusammenkommen soll, wenn auch eine hybride Sitzung (präsenz/online) des gesamten Landtages nicht möglich ist. Ansonsten hat eine gemischte Sitzung aus anwesenden und zugeschalteten Abgeordneten Vorrang. Hierauf hatten während einer Anhörung im Januar zahlreiche Experten gedrungen. Der Änderungsentwurf legt Kriterien für die Hybridsitzung fest: „Es hat eine Bild-und Tonübertragung der gesamten Sitzung zu erfolgen. (…) Beschlüsse des Landtages in hybrider Sitzung erfolgen ausschließlich in namentlicher Abstimmung. Die Stimmrechtsausübung der Abgeordneten über elektronische Kommunikation muss ebenso wie die Rede-, Frage- und Antrags-befugnisse der Abgeordneten im Wege der sicheren elektronischen Kommunikation gewährleistet sein.“

Dieser Punkt gilt als das größte Hindernis auf dem Weg zu hybriden Sitzungen. „Gegenwärtig ist davon auszugehen, dass die technischen Möglichkeiten einer rein virtuellen Parlamentssitzung nicht vorliegen“, heißt es in dem Änderungsentwurf. „Vor diesem Hintergrund ist für den virtuellen Teil der hybriden Sitzung ein System zu entwickeln, dass die authentifizierte, sichere Teilnahme und Stimmenabgabe der Abgeordneten sicherstellt.“

Eine weitere Neuerung gegenüber dem Entwurf aus dem November deutet sich an: Ursprünglich war geplant, dass das Landesverfassungsgericht innerhalb eines Tages entscheiden sollte, ob tatsächlich ein Notfall vorliegt, der die Einberufung des Notausschusses nötig macht. Diesen Passus hatten mehrere Juristen kritisiert. Nun heißt es: „Auf Antrag eines Abgeordneten kann eine einstweilige Anordnung des Landesverfassungsgerichts erwirkt werden, wenn die Voraussetzungen der Notlage (…) oder die Unmöglichkeit einer hybriden Sitzung (…) von der Landtagspräsidentin oder von dem Landtagspräsidenten nicht glaubhaft gemacht werden.“

Virtuelle Parteitag können Kandidaten aufstellen

Auch das schleswig-holsteinische Wahlgesetz soll mit Blick auf die Corona-Pandemie ergänzt werden. Das sieht ein gemeinsamer Antrag von Jamaika, SPD und SSW vor, der ebenfalls erst während der Plenarsitzung abschließend im Ausschuss behandelt wird. Das Ziel: Die Wahl von Kandidaten und die Aufstellung von Landeslisten sollen auch ohne die bisher notwendige körperliche Anwesenheit der Delegierten und Parteimitglieder möglich sein.

Vorgesehen ist, dass der Landtag mit Zwei-Drittel-Mehrheit eine „epidemiologische Notlage“ feststellt. Ist dies geschehen, dann können Kandidatenvorschläge sowie die Vorstellungsreden der Kandidaten per Videokonferenz erfolgen. Die endgültige Abstimmung über die Bewerber soll dann „im Wege der Urnenwahl, der Briefwahl oder einer Kombination aus Urnen- und Briefwahl“ stattfinden. Dies soll sowohl für Landtagswahlen als auch für Kommunalwahlen gelten. Das Ende der „epidemiologischen Notlage“ stellt der Landtag dann wiederum mit Zwei-Drittel-Mehrheit fest. Die nächste Landtagswahl ist turnusmäßig für Frühjahr 2022, die nächste Kommunalwahl für Frühjahr 2023 geplant.

Mehr Zeit für Volksinitiativen

Außerdem ist vorgesehen, dass Volksinitiativen während einer „epidemiologischen Notlage“ eine Fristverlängerung von drei Monaten beantragen können, um auch unter erschwerten Bedingungen ausreichend Unterstützer zu finden. Die Frist kann demnach mehrmals verlängert werden, solange die Notlage besteht. Die Entscheidung trifft der Landtagspräsident.

Ein weiterer Punkt: Es soll im Wahlgesetz festgeschrieben werden, dass das Aufhängen von Wahlplakaten nur noch unter sehr strengen Bedingungen untersagt werden darf. Lediglich aus „herausragenden“ Gründen des Denkmal- oder Naturschutzes dürfen Gemeinden die Wahlwerbung sechs Wochen vor dem Wahltermin und zwei Wochen danach verbieten. Ansonsten gehe die „überragende Bedeutung“ der Wahl für die Demokratie vor.

(Stand: 22. März 2021)

Zweite Lesung

Entwurf eines Gesetzes zur Änderung der Verfassung des Landes Schleswig-Holstein
Gesetzentwurf der Fraktionen von CDU, SPD, Grünen und FDP sowie der Abg. des SSW – Drs. 19/2558
(Ausschussüberweisung am 20. November 2020)
Bericht und Beschlussempfehlung des Innen- und Rechtsausschussausschusses – Drucksache 19/2777

Zweite Lesung

Entwurf eines Gesetzes zur Änderung wahlrechtlicher Vorschriften
Gesetzentwurf der Fraktionen von CDU, SPD, Grünen, FDP und der Abg. des SSW – Drs. 19/2790
(Ausschussüberweisung am 26. Februar 2021)
Bericht und Beschlussempfehlung des Innen- und Rechtsausschusses – Drucksache 19/2859(neu)